Die Serie »Gaslit« mit Julia Roberts über den Watergate-Skandal

Der Martha-Mitchell-Komplex

Die Serie »Gaslit« über den Watergate-Skandal folgt dem Trend, Geschichte aus der Perspektive weniger bekannter historischer Figuren zu erzählen. Gleichzeitig erzählt sie viel über die »Verfransung« der Künste in heutigen Fernsehproduktionen.

Als im Frühjahr 2017 die Debatte über die Kontakte zwischen dem Wahlkampfteam des damaligen US-Präsidenten ­Donald J. Trump und den russischen Geheimdiensten sowie die anschließenden Vorwürfe der Justizbehinderung an Dynamik gewann, führte der Comedian John Oliver in seiner Show »Last Week Tonight« ein Segment unter der Überschrift »Stupid Watergate« ein. Es beruhte auf der ­titelgebenden Prämisse, hier entfalte sich ein Skandal, dessen Ausmaße und Bedeutung an die Watergate-Affäre heranreichen könnte. Nur seien im Falle Trumps alle Beteiligten »dumm und schlecht in allem, was sie tun«.

Unter dem Stichwort »Watergate« firmieren verschiedene rechtswidrige Handlungen der Regierung Richard Nixons, maßgeblich klandestin organisiert von dem offiziell als Fundraising-Gruppe auftretenden »Committee for the Re-Election of the President«. 1972 hatte das Komitee den Einbruch in den Watergate-­Gebäudekomplex in Washington, D.C., finanziert, um im Hauptquartier der Demokratischen Partei Abhörwanzen zu installieren und Dokumente zu fotografieren.

Dass »Gaslit« im Titel das sich häufig gegen Frauen richtende »Gaslighting« aufgreift, zielt auf den Umgang mit Martha Mitchell nach ihrer Entführung ab und ist wohl auch als Kommentar zum zeit­genössischen Umgang mit Opfern von Gewalt zu verstehen.

Doch ein Wachmann bemerkte die manipulierte Eingangstür und rief die Polizei; fünf Männer, darunter ehemalige Geheimagenten und Exilkubaner, wurden festgenommen. Das Komitee zur Wiederwahl Richard Nixons versuchte zunächst, seine Verbindung zu den Einbrechern zu vertuschen, geriet im Verlauf der ­Ermittlungen allerdings immer mehr in Bedrängnis. Weitere Untersuchungen, bei denen unter anderem mitgeschnittene Telefonate aus dem Weißen Haus als Beweismaterial dienten, sowie verschiedene investigative ­Reportagen brachten schließlich das ganze Ausmaß der Affäre sowie weitere kriminelle Aktivitäten ans Licht. 1974 trat Nixon als bisher einziger Präsident in der Geschichte der Vereinigten Staaten von seinem Amt zurück.

John Oliver konnte sich der Lacher seines linksliberalen Publikums ­sicher sein, weil das Auftreten Trumps tatsächlich den Eindruck äußerster Dummheit mit einer geradezu schrankenlosen Betonung eigener Gerissenheit verband. Oliver konnte auch an die Rolle anknüpfen, die der Watergate-Skandal im US-amerikanischen Gedächtnis spielt: Er gilt als dreister Übergriff der Exekutive und Sinnbild für die politische Bösartigkeit Richard Nixons, dessen Auffliegen letztlich dem heroischen Einsatz der vierten Gewalt, verkörpert durch die beiden Journalisten Bob Woodward und Carl Bernstein, zu verdanken gewesen sei.

Dass es sich bei Watergate mitnichten um einen genial geplante Intrige handelte, sondern vor allem um eigentümliche Mischung aus Inkompetenz und krimineller Überkompensation, bebildert eindrucksvoll die Miniserie »Gaslit«. Sie folgt dabei einem jüngeren Trend: Zum einen werden historische Begebenheiten aus der Perspektive weniger bekannter Figuren neu erzählt – wie es bereits die Serie »Mrs. America« am ­Feminismus der sechziger Jahre vorgemacht hat –, zum anderen werden zeitgenössische politische Debatten mit historischem Material amalgamiert. Das Ergebnis ist eine unterhaltsame und durchaus fesselnde Fernsehproduktion, an der sich aber zugleich das bereits von Adorno kon­statierte »Verfransen« der Künste zeigen lässt.

»Gaslit« hebt mit den Ereignissen kurz vor dem Einbruch in den Watergate-Komplex an. Die im öffentlichen Gedächtnis kaum noch bekannte Hauptfigur der Miniserie ist die 1918 in Pine Bluff, Arkansas, geborene Martha Mitchell. 1957 hatte sie den Anwalt John N. Mitchell geheiratet, der 1968 von Richard Nixon zum Attorney General (das Amt vereinigt in den USA das des Generalstaatsanwalts und das des Justizministers) ernannt wurde, woraufhin das Paar nach Washington zog. Ab 1971 war John Mitchell außerdem Mitglied des Komitees zur Wiederwahl des Präsidenten und maßgeblich an den kriminellen Handlungen beteiligt.

Seine Frau Martha brachte es in der Hauptstadt und bald im ganzen Land aufgrund ihrer häufigen Auftritte in Talkshows und ihrer freimütigen, nicht selten indiskreten und vor allem selbstbewusst und mit Witz geführten Interviews zu einiger Bekanntheit; laut einer Umfrage wussten im Jahr 1970 ganze 76 Prozent der US-Amerikaner, wer Martha Mitchell ist. Souverän entzog sich die Republikanerin dem Stereotyp der allenfalls repräsentativen, insbesondere aber stillen Politikergattin, sie kultivierte stattdessen das eher an Hollywood angelehnte Image einer Society Lady, mit dem Unterschied, dass sie sich häufig zu politischen Belangen äußerte, ohne wiederum selbst zur Politikerin zu werden. Entsprechend mischten sich in der öffentlichen Wahrnehmung schon früh Faszination und Neugier mit misogyner Empörung über»the mouth of the South«, wie Mitchell aufgrund ihres Südstaatenakzents in den Medien genannt wurde.

In »Gaslit« wird das Ehepaar Mitchell von Julia Roberts und einem unter Make-up und Fatsuit kaum zu erkennenden Sean Penn gespielt. Mehr als Penn, der sich neben seiner Schauspielkarriere gern als das politische Gewissen der USA inszeniert und dessen knurrender Moralismus im echten Leben allzu gut mit der Figur des kompromisslosen Politstrategen harmoniert, brilliert Julia Roberts in ihrer Rolle als Martha Mitchell. Es gelingt ihr, nicht nur die aufgedrehte Grandezza und schlagfertige Eleganz ihrer Figur zu transportieren, ebenso wie die durchaus starke Zuneigung und Loyalität zu ihrem Mann, sondern auch die immer wieder durchbrechende Ambivalenz jener Eigenschaften, die auf Unsicherheit und der Erfahrung der Ausgrenzung und Einengung beruhen und so als hart erkämpfte, aber prekäre, maskenähnliche Charakterzüge kenntlich werden.

Wie schnell sowohl die öffentliche Meinung sich wenden und das persönliche Verhältnis zu ihrem Mann in brutalen Kontrollwahn umschlagen kann, erfuhr Martha Mitchell schließlich am eigenen Leib. John N. Mitchell hatte gemeinsam mit Nixons Rechtsberater John Dean die Spionageaktivitäten in Auftrag gegeben und das Spionageteam um den ehemaligen FBI-Agenten G. Gordon Liddy zusammengestellt, der in »Gaslit«, gespielt von Shea Whigham, geradezu dämonisch aufgeladen ist. Kurz nachdem die Festnahme der Einbrecher bekannt wurde, beauftragte John Mitchell einen Sicherheitsbeamten, um zu verhindern, dass Martha von den Geschehnissen und seiner Beteiligung erfährt und möglicherweise an die Öffentlichkeit geht. Martha, die sich zu dem Zeitpunkt in Kalifornien aufhielt, wurde in der Folge mehrere Tage unter Einsatz von Gewalt von mehreren Männern in einer Wohnung festgehalten; verschiedene Fluchtversuche scheiterten, zeitweise wurde sie unter Drogen gesetzt.

Dass die Serie im Titel die psychische, sich häufig gegen Frauen richtende Zermürbungspraxis des »Gaslighting« aufgreift, zielt auf den Umgang mit Martha Mitchell nach ihrer Entführung ab und ist wohl auch als ins Historische gekleideter Kommentar zum zeitgenössischen Umgang mit Opfern von Gewalt zu verstehen. Als Martha Mitchell sich wegen ihrer Entführung an die Presse wendete, versuchte man sie mit Hinweisen auf ihren psychischen Zustand und ihren Alkoholkonsum mundtot zu machen. Anfänglich sprach sie sich in der Öffentlichkeit für ihren Mann aus, den sie als ­Bauernopfer der Regierung Nixon begriff, und rückte immer mehr die Korruption innerhalb der Republikanischen Partei ins Zentrum ihrer öffentlichen Wortmeldungen.

Kurz nachdem John Mitchell aufgrund der Affäre von seinem Amt zurückgetreten war, sagte Martha im Mai 1973 als Zeugin im zivilrechtlichen Prozess der Demokratischen Partei gegen das Komitee zur Wiederwahl des Präsidenten aus; wenig später trennte sich das Paar. Erst 1975, kurz nachdem John Mitchell verurteilt worden war, bestätigte der ehemalige Bodyguard und Fahrer der Familie, James W. McCord, der unter den Festgenommenen des Watergate-Einbruchs war, Marthas Geschichte ihrer Entführung. Nixon äußerte später, ohne die »Ablenkung« John Mitchells durch Martha hätte es den Watergate-Skandal nie gegeben. Martha Mitchell starb 18 Monate nach Nixons Rücktritt an Knochenmarkkrebs. Seit den achtziger Jahren gibt es den nach ihr benannten Begriff des Martha-Mitchell-Effekt, der eine Fehldiagnose bezeichnet, bei der sachliche Einwände als Hirngespinste abgetan werden.

»Gaslit« erzählt all diese Ereignisse in einer Art kreisender Bewegung durch das an Watergate beteiligte Umfeld. Dabei nutzt die Miniserie die zeitlichen Möglichkeiten der acht jeweils einstündigen Folgen auch, um verschiedene andere Nebenfiguren in den Blick zu nehmen – zum Beispiel den Wachmann des Watergate-Komplexes, Frank Wills (Patrick Walker), oder Mo Dean (Betty Gilpin), die Freundin und spätere Ehefrau von Nixons Berater John Dean, der zu einem der Hauptzeugen des Watergate-Prozesses wurde. Dieses Auf­fächern des Ensembles überzeugt insofern, als es offenlegt, dass historische Prozesse nie in nachträglichen Erzählungen über einzelne Helden oder Opfer aufgehen.

Zugleich macht der Schwerpunkt auf die »Women of Watergate«, so der Titel eines der vielen Sachbücher zum Thema, deutlich, dass hier zeitgenössische Phänomene reflektiert werden – wie überhaupt in den Vereinigten Staaten die Vergangenheit weniger als abgelagertes Material oder zu bewundernde Tradition, sondern Medium und zuweilen Kostüm der Gegenwart erscheint. Die immer wieder eingeblendeten Originalaufnahmen, ästhetisch gesetzt durch ein an einen alten Fernseher erinnerndes Bildformat, sowie deren Nachstellung, sind dafür ein Indiz.

Darüber hinaus changiert »Gaslit« auf eigentümliche Weise zwischen den Genres: Mal tritt die Miniserie als historisches Drama auf, mal als auf Identifikation mit den Figuren zielendes Biopic, als Komödie oder als ­Politthriller; seit jüngerer Zeit wird für vergleichbare Formate auch vom »Dokudrama« gesprochen. Nicht nur verschwimmt dadurch der Unterschied zwischen historischen Tatsachen – immerhin möchte die Serie auch Überliefertes korrigieren – und künstlerischer Freiheit. Zuweilen wird auch undeutlich, als was Watergate eigentlich erinnert oder rein­szeniert werden soll. Aus der vor allem in den ersten Folgen betonten politischen Stümperhaftigkeit und Albernheit der Beteiligten wird im Fortgang der Serie immer mehr eine vor allem individuelle, düstere und tragische Erfahrung der verschiedenen Figuren.

Diese Unentschiedenheit der Darstellung sowie das spezifische Format Miniserie selbst lassen sich als zeitgenössische Symptom dessen ­beschreiben, was Adorno als das »Verfransen« der Künste bezeichnet hat und was als Antizipation postmoderner Kultur gelten kann. Adorno deutete das Verschwimmen der Grenzen zwischen den Kunstgattungen als Indiz für die Krise des autonomen Kunstwerks in der Moderne, das seinen Charakter als geschlossene Einheit immer mehr verliert oder aufgibt. Eine ähnliche Krise des Werkcharakters lässt sich auch heute im Verhältnis zwischen Film und Serie und deren jeweiligen Verwandlungen beobachten. Filme, vor allem die, die an den Kinokassen Erfolg haben, gleichen sich durch ihre zahlreichen Sequels, Prequels und Spin-offs und die damit einhergehende Unabgeschlossenheit immer mehr den Serien an. Diese wiederum werden nicht nur längst so aufwendig und teuer produziert wie Kinofilme, sondern sie werden auch – insbesondere im binge watching – konsumiert wie ein Film (in zeitlicher Hinsicht sogar häufig exzessiver).

»Gaslit« steht als Miniserie gewissermaßen dazwischen: Einerseits reagiert es auf die veränderten Sehgewohnheiten und nutzt die Seri­alität, um mit den Folgen auch das Genre zu wechseln, andererseits versucht es – sofern sich dies ohne Kenntnis der letzten Folge sagen lässt –, das Moment der Geschlossenheit, das dem Film eigen ist, zu erhalten.

Und noch in einer anderen Hinsicht lässt sich das »Verfransen« an »Gaslit« beobachten. Bei der Mini­serie handelt es sich um eine Ad­aption – allerdings nicht etwa eines Buchs oder Theaterstücks, sondern eines Podcasts. »Gaslit« beruht auf der ersten Staffel des vom Online-Magazin Slate aufwendig produzierten Geschichts-Podcasts »Slow Burn« von Leon Neyfakh – und wirft damit die Frage auf, ob die Kategorien »Werk« und »Adaption« hier überhaupt noch greifen. Zwar nimmt der Podcast hier die Rolle des zu adaptieren Werks ein; er ist aber selbst bereits aus verschiedenen Gattungen synthetisiert und verwertet historische Literatur, Originalaufnahmen aus Funk und Fernsehen sowie Zeitzeugeninterviews. Zudem ist »Slow Burn« so stark dramatisiert und narrativiert, dass der Podcast geradezu zur Verfilmung drängt – es fehlen gewissermaßen nur noch die Bilder.

Die Adaption eines Geschichts-Pod­casts für eine Fernsehproduktion kann damit als ein weiteres Indiz für eine sich derzeit vollziehende Veränderung des historischen Bewusstseins gelten, das Fragmente geschichtlicher Bildung immer häufiger aus Serien, Youtube-Videos und seit jüngerer Zeit Podcasts bezieht. Die Konsequenzen dieses Wandels für historische Urteilskraft wäre an anderer Stelle zu diskutieren. Das gilt auch für die Frage, ob die postmoderne Diffusion die ästhetischen Möglichkeiten der einzelnen Genres – die ja immer nicht bloß Konvention, sondern auch gewachsene und verfeinerte Verschränkung von spezi­fischem Material mit spezifischen Techniken sind – eher verkümmern lässt oder auch befreien kann.

»Gaslit« kann bei Amazon Prime gestreamt werden.