Das geplante Tierschutzlabel wird die Zustände in deutschen Ställen kaum verbessern

Ein Label soll’s richten

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) will ein sogenanntes Tierwohl-Label für Fleisch einführen. Dass die Verhältnisse in der ­deutschen Tierindustrie dadurch besser werden, ist nicht zu erwarten.

Intensive Massentierhaltung ist Quälerei. Ein Schwein hat in der Bodenhaltung, wenn es mehr als 110 Kilogramm wiegt und damit kurz vor der Schlachtung steht, Anspruch auf einen Quadratmeter Fläche. Genauso viel Platz steht neun Hühnern zu. An diesen Zuständen wird das sogenannte Tierwohl-Label wenig ändern, das Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) einführen will.

Anfang Juni stellte er ein Eckpunktepapier vor. Das Siegel soll fünf Haltungsstufen anzeigen und zunächst für Schweinefleisch gelten: Die erste Stufe erfüllt nur die gesetzlichen Mindestanforderungen. Auf der zweiten sollen die Tiere 20 Prozent mehr Platz haben, als mindestens erforderlich ist, was beim Schwein einer Zusatzfläche von kaum mehr als drei DIN-A4-Blättern entspricht. Bei der dritten Stufe muss der Stall auf einer Seite offen sein, so dass die Tiere frische Luft bekommen. Stufe vier erfordert mindestens acht Stunden Freigang in einer kleinen Außenbucht. Die fünfte, »Biostufe« genannt, umfasst mehr Platz im Stall und beim Freigang.

Bereits Anfang 2017 hatte einer von Özdemirs Vorgängern, Christian Schmidt (CSU), ein freiwilliges Label vorgeschlagen; auch er wollte bei der Schweinezucht anfangen. Stattdessen gab es eine freiwillige Initiative der Industrie. Zwei Jahre später schufen Einzelhandelsgrößen wie Aldi, Edeka und Rewe das Siegel »Initiative Tierwohl« mit vier Stufen vom gesetzlichen Standard bis »Premium«, das auch Biofleisch umfasst. Daran orientierte sich Schmidts Nachfolgerin Julia Klöckner (CDU), die drei Stufen empfahl. Allerdings konnte sich die Große Koalition nicht einigen, weil die SPD ebenso wie die Grünen ein verpflichtendes Label forderten.

Der verpflichtende Charakter ist auch so ziemlich der einzige Punkt, den Tierschutzverbände an Özdemirs Vorschlag begrüßen. Ansonsten gibt es fast nur Kritik, selbst der Deutsche Bauernverband findet das Konzept lückenhaft. Dessen Präsident Joachim Rukwied moniert, dass nur frisches Schweinefleisch und keine verarbeiteten Produkte wie Wurst, Schinken oder fleischhal­tige Fertigspeisen gekennzeichnet würden und kein Zeitplan für eine Regelung für Rind- und Geflügelfleisch vorliege. So werde das Konzept »keinerlei Lenkungswirkung« entfalten und drohe, »im Markt unterlaufen zu werden«. Dadurch würde nicht die Haltung verbessert, sondern nur umgeschichtet: Fleisch aus niedrigen Haltungsstufen würde in höherem Maß für verarbeitete Produkten verwendet werden.

Friederike Schmitz vom Bündnis »Gemeinsam gegen die Tierindustrie« nennt die Vorschläge des Landwirtschaftsministers »total schwach«. Özdemirs Label täusche die Konsumenten und beschönige die Lage. »Die Tiere leiden weiter, in der Mast, bei Zucht und Transport und auf dem Schlachthof«, sagte Schmitz der Jungle World.

Auch der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und Greenpeace bemängeln, dass Transport, Schlachtung und Tiergesundheit gar nicht berücksichtigt werden. Das vorgeschlagene Label »schafft beim Einkauf kaum Orientierung darüber, wie die Tiere gehalten werden«, urteilt der Greenpeace-Agrarexperte Martin Hofstetter. In einem offenen Brief an den Minister verwerfen Foodwatch und 20 weitere Tierschutz- und Tierrechtsorganisationen das Siegel als »Verbrauchertäuschung«, weil die Tierschutzleistungen der Betriebe nicht wissenschaftlich überprüfbar, nicht trans­parent und für Verbraucher nicht nachvollziehbar seien.

»Massive Tierschutzprobleme sind in allen Haltungsformen die Regel«, heißt es in dem Brief. Die Unterzeichner verweisen auf die Kennzeichnung von ­Eiern. Es sei wissenschaftlich erwiesen, dass auch in Betrieben der höchsten Stufen »Öko« und »Freiland« gegen Tierschutzauflagen verstoßen werde. Bemerkenswert ist ein prinzipielles Argument in dem Schreiben, weil es sich gegen die Tendenz richtet, die Verantwortung den Verbrauchern aufzubürden. Warum sollte es überhaupt von individuellen Kaufentscheidungen abhängen, unter welchen Bedingungen Tiere leben müssen?

Statt auf die Verbraucher zu schauen, müsste man die Produktion unter die Lupe nehmen. In der Nutztierhaltung findet wie in allen Branchen ein Konzentrationsprozess statt, viele Bauern müssen aufgeben. Der Umsatz im deutschen Schlachterei- und Fleischverarbeitungsgewerbe war 2021 wegen der Covid-19-Pandemie zurückgegangen, lag aber immer noch bei über 40 Milliarden Euro. Hinzu kommen noch zehn Milliarden Euro Umsatz in der Tierhaltung. Der Anteil der gesamten Landwirtschaft, also inklusive Pflanzenbau, an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung liegt bei nur 0,9 Prozent.

Der Staat subventioniert die Tierwirtschaft im weitesten Sinne von der Aufzucht bis zur Vermarktung mit mehr als 13 Milliarden Euro im Jahr, wie eine Studie des Bündnisses gegen ­Massentierhaltung ergab. Dafür ist Deutschland Europameister im Fleischexport. 2021 lag Deutschland in der globalen Rangfolge des Fleischexports knapp hinter den USA auf dem dritten Platz. An der Spitze steht China.

Angesichts von Hungersnöten und Umweltzerstörung weltweit kritisierte sogar Marcel Fratzscher, der Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, kürzlich den »exzessiven Konsum von Fleisch«. Dessen tatsäch­liche Kosten spiegelten sich nicht annähernd in den Preisen wider, argumentierte er in der Zeit. Die Herstellung von Fleisch sei um ein Vielfaches ressourcenintensiver als die Produktion derselben Kalorienmenge bei pflanzlicher Nahrung.

Als bürgerlicher Ökonom vertraut Fratzscher auf die Marktwirtschaft. Steigende Preise würden dazu führen, dass die Menschen ihre Ernährung auf mehr Pflanzenkost umstellen. Würde weniger Fleisch gegessen, sinke der Bedarf an Land, Wasser und Rohstoffen deutlich. Ressourcen, die bisher für die Herstellung von Tierfutter gebraucht werden, stünden dann für die Ernährung von Menschen zur Verfügung. Damit würden pflanzliche Produkte ­billiger. Das wäre nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern auch um die weltweite Ernährung sicherzustellen – so Fratzschers Hoffnung.

Der BUND fordert ebenfalls, die Tierbestände zu verkleinern. Andernfalls seien die Klimaziele nicht zu erreichen, sagte der Pressesprecher der Organisation, Daniel Jahn, der Jungle World. Wegen der gefallenen Preise würde das Ausmaß der Schweinemast bereits reduziert und immer mehr Betriebe müssten aufgeben. Notwendig sei deshalb eine Transformation der Tierhaltung mit staatlicher Hilfe – oder man lasse die Betriebe »vor die Wand fahren«. Schmitz vom Bündnis »Gemeinsam gegen die Tierindustrie« fordert einen »drastischen Abbau der Tierhaltung« um mindestens 80 Prozent bis 2030 aus Gründen des Klimaschutzes sowie der Tierethik. Der Staat solle kein Geld für den Umbau von Ställen ausgeben, sondern den Umstieg auf Pflanzenbau und Naturschutz fördern.