Unruhen und Repression im Westen Usbekistans

Karakalpakistan bleibt autonom

Die usbekische Regierung hat Proteste gegen Verfassungsänderungen in der autonomen Republik Karakalpakistan niedergeschlagen.

Vorerst ist wieder Ruhe eingekehrt. Nachdem der usbekische Präsident Schawkat Mirsijojew am 26. Juni Verfassungsänderungen angekündigt hatte, die die Autonomierechte der Republik Karakalpakistan einschränken sollten, löste das Anfang Juli Unruhen in der im Westen des Landes gelegenen Provinz aus. Doch diese scheinen nun von Nationalgarde, Armee und Miliz beendet worden sein. 18 Tote, mindestens 205 verletzte Demonstranten und 38 verletzte Ordnungskräfte sowie 516 Festgenommene – das ist laut offiziellen Angaben, unter anderem der Generalstaatsanwaltschaft die vorläufige Bilanz der Proteste in Karakalpakistan.

Da weder aus- noch inländische Journalisten in die Region einreisen dürfen, in der noch bis zum 2. August der Ausnahmezustand samt Ausgangssperre verhängt bleibt, lassen sich diese Angaben kaum überprüfen. Auch von Störungen des Internets und Mobilfunks wird berichtet. Allerdings sprach der Gesundheitsminister gegenüber einer usbekischen Nachrichten-Website abweichend von den Angaben der Staatsanwaltschaft von Tausenden Verletzten.

Die russische Führung unterstützte die usbekische Regierung ausdrücklich und erklärte die Unruhen zu einer inneren Angelegenheit.

In Nukus, der Hauptstadt der Autonomieregion Karakalpakistan, und in den Städten Chimboy und Mo‘ynoq kam es zu Kundgebungen. Auch in der kasachischen Stadt Atyrau demons­trierten circa 75 karakalpakische Arbeitsmigranten. Die usbekische Regierung sperrte den Grenzübergang zum benachbarten Kasachstan bei Daut-ata. In offiziellen Verlautbarungen ist von »verbrecherischen Gruppen« die Rede, die einen Umsturz geplant hätten, und von »Provokationen durch Populisten«, die die »Meinung des karakalpakischen Volkes nicht repräsentieren«.

Am 2. Juli besuchte Präsident Mirsijojew die Stadt Nukus, das Zentrum der Proteste, und nahm den Vorschlag zurück, den Status der »souveränen Autonomie« der Republik Karakalpakistan aus der Verfassung zu streichen, der unter anderem das Recht beinhaltet, qua Referendum aus dem Staat Usbekistan auszutreten. Angeblich sei der Vorschlag nicht mit ihm abgestimmt gewesen.

Insgesamt sollen an der usbekischen Verfassung circa 200 Änderungen vorgenommen werden. Die wichtigste ist die Verlängerung der Amtszeit des Präsidenten von fünf auf sieben Jahre. Zudem würden – nach dem Vorbild des russischen Verfassungsreferendums von 2020 – bei der Beschränkung der Amtszeiten des Präsidenten auf zwei die bisherigen Amtszeiten Mirsijojews nicht mehr gezählt, damit wäre der Weg für weitere zwei Amtszeiten Mirsijojew geebnet. Bereits dessen Amtsvorgänger Islam Karimow, der Usbekistan von Beginn der Unabhängigkeit bis zu seinem Tod 2016 regierte, nutzte solche Verfassungsänderungen zur Umgehung des Verbots, mehr als zweimal hintereinander das Amt des Staatsoberhaupts zu bekleiden.

Das am Aralsee liegende Karakalpakistan macht fast 40 Prozent der Fläche Usbekistans aus, allerdings leben in der von Wüstenlandschaften geprägten Region lediglich 5,6 Prozent der Bevölkerung des Landes. Das 1924 geschaffene karakalpakische Autonomiegebiet gehörte erst zur Kasachischen Sowjetrepublik, dann ab 1932 als Karakalpakische Autonome Sozialistische Sowjetrepublik zur Russischen Föderativen Sowjetrepublik. Die Entscheidung, 1936 Karakalpakistan in die Usbekische Unionsrepublik einzugliedern, war umstritten. Die bis dahin nomadisch lebenden Karakalpaken waren sprachlich den ebenfalls nomadischen Kasachen näher als den sesshaften usbekischen Ackerbauern. Derzeit sind Karakalpaken nach Russen und Tadschiken die drittgrößte Minderheit in Usbekistan. In Karakalpakistan selbst bilden sie nur knapp über 32 Prozent der Bevölkerung.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion gab es in der über 700 000 Menschen zählenden karakalpakischen Bevölkerung Bestrebungen, die Unabhängigkeit von Usbekistan zu erklären. Auch ein Anschluss an Kasachstan wurde diskutiert. Der 1993 ausgehandelte Kompromiss mit der usbekischen Regierung sah einen Verbleib in Usbekistan für 20 Jahre mit einem anschließenden Referendum vor. Dieses wurde jedoch nie abgehalten. Viele Bewohner der Republik Karakalpakistan sind als Gastarbeiter nach Kasachstan und Russland ausgewandert, allein bis 2002 migrierte ein Fünftel der Bevölkerung, über 250 000 Menschen. Die Region ist von großer Armut und Arbeitslosigkeit geprägt, hinzu kommen Wassermangel und eine ökologische Katastrophe – der Aralsee, ehemals der viertgrößte Binnensee der Erde, ist fast komplett ausgetrocknet.

Die an den Protesten beteiligte Organisationen »Alga, Karakalpakistan« und die sozialistisch orientierte »Bewegung für die Volksherrschaft – Pachta« appellierten an Russland und die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS, ein Militärbündnis derzeit sechs ehemaliger Sowjetrepubliken) mit Bitte um Schutz. Doch die russische Führung unterstützte ausdrücklich die usbekische Regierung und erklärte die Unruhen zu einer inneren Angelegenheit. Im benachbarten Kasachstan hatte nach Massenunruhen im Januar die bisher erste OVKS-Intervention stattgefunden; das dortige Außenministerium begrüßte ebenfalls die Entscheidung des »brüderlichen Usbekistan« zur »Stabilisierung der Situ­ation«. Der Präsident eines anderen OVKS-Staats, der Republik Belarus, Aleksandr Lukaschenko, war weniger zurückhaltend und behauptete am 2. Juli, an den karakalpakischen Demonstrationen hätten »Vertreter des Auslands, vor allem des Westens« teilgenommen. Usbekistan gehörte zu den Gründungsmitgliedern der OVKS, ist jedoch 2012 ausgetreten. Ein Wiedereintritt in die von Russland dominierte Allianz ist derzeit nicht geplant.