Das neue Album von Belle and Sebastian läutet ihr Spätwerk ein

Priester und Hipster

Mit ihrem neuen Album »A Bit of Previous« legen die schottischen Belle and Sebastian ein Album vor, das wohl ihr Spätwerk einläutet. Es blickt bemerkenswert oft auf die eigene Jugend zurück.

Belle and Sebastian hatten schon immer ein Händchen für besondere Albentitel. Es gibt vermutlich wenige Bands, die ihrer Plattenfirma einen Titel wie »Fold Your Hands Child, You Walk Like a Peasant« vorschlagen können, ohne des Raumes verwiesen zu werden. Es gibt aber auch wenige Bands, deren Wesen sich von solch einem Titel so schön einfangen lässt: »Fold your hands, child, you walk like a peasant« könnten mahnende Worte aus dem Mund eines Priesters sein, aber auch als (post-)ironische Äußerung eines (post-)adoleszenten Hipsters durchgehen. »Wollt ihr wissen, worüber Hipster in Glasgow reden?« wird in den ­Liner Notes der LP gefragt. »Die Hipster in Glasgow bleiben bis spät wach, um über Jesus zu reden und darüber, was er wohl von Hipstern gehalten hat.« Hipster und Priester: Das könnten auch die beiden Alter Egos sein, die Stuart Murdoch, Sänger, Multiinstrumentalist und Komponist der meisten Stücke von Belle and Sebastian, verkörpert.

Damit wären wir auch schon bei der neuen Platte. Deren Titel ist zwar nicht so lang, aber mindestens genauso ergiebig, wenn man ihn im Kontext der dazugehörigen Musik betrachtet. »A Bit of Previous« heißt dieses zehnte reguläre Studioalbum der Schotten, das erste seit zwei Jahrzehnten, das sie der Pandemie wegen zu Hause in Glasgow aufgenommen haben – und das zweite, dessen Titel auf Stuart Murdochs buddhistische Weltanschauung anspielt (die 2018 erschienene EP-Compilation »How to Solve Our Human Problems« trägt den Titel eines Buchs von Kelsang Gyatso, seines Zeichens buddhistischer Mönch).

Wer die Veröffentlichungen der Band kennt, wird sich mit »A Bit of Previous« schnell wohl und gewissermaßen zu Hause fühlen, ohne dass es eine bestimmte ältere Platte gibt, nach der das neue Album klingt.

Wer die Veröffentlichungen der Band über die Jahre verfolgt hat, wird sich mit »A Bit of Previous« schnell wohl und gewissermaßen zu Hause fühlen, ohne dass es eine bestimmte ältere Platte gibt, nach der das neue Album klänge. Es sind eher einzelne Elemente – mehrere bits of previous – aus verschiedenen Phasen der Bandgeschichte, die in den neuen Songs aufeinandertreffen. Das von Sarah Martin gesungene »Reclaim the Night« – ein Song, der den gleichlautenden politischen Slogan aus persönlicher Sicht interpretiert und damit thematisch aus der Reihe fällt – enthält Verweise sowohl auf das 2015 bei Erscheinen überraschend elektro­poppige Album »Girls in Peacetime Want to Dance« als auch auf das sich nicht aus der Ruhe zu bringende »Write About Love« von 2010.

Klangen Belle and Sebastian auf »Girls in Peacetime Want to Dance« noch hungrig auf die Gegenwart, sind sie mit »A Bit of Previous« in einer Phase ihres Schaffens angekommen, die man als Auftakt zu ihrem Spätwerk betrachten könnte: Sie ­blicken zurück. Nicht nur auf ihr bisheriges Schaffen, sondern auf ihre bisherigen Leben, oder genauer gesagt: ihre Jugend. »Young and Stupid« heißt gleich der erste Song. »Do we have to feel this way? / It wasn’t like this yesterday«, singt Stuart Murdoch zu einer schönen Popmelodie und melancholischer Violine, und: »Everything is fine when you’re young and stupid«. Die dritte Strophe blickt wehmütig zurück in die Zukunft: »Now we’re old with creak­ing bones / Some with partners, some alone / Some with kids and some with dogs / Getting through the nightly slog«.

Die Zukunft hingegen blickt wohlwollend – man könnte auch sagen: verklärend – auf die Vergangenheit zurück: »Keeps us warm at night / All our young and stupid / Makes us feel delight / We were young and stupid«. Ein verklärender Blick zurück aus der Feder eines Mannes, der schon zur Zeit der Bandgründung Kind und Senior zugleich zu sein schien. In »Come on Home« heißt es: »Give a chance to the old / Set the record straight for the welfare state / Give a chance to the young / Ever­yone deserves a life in the sun«. Belle and Sebastian sind nicht nur eine Band, die clevere, introvertierte Songs für Hochschul-Alumni schreibt, die einmal in geisteswissenschaftlichen Studiengängen eingeschrieben waren. Sie sind auch eine Band, die bei ihren Liveshows Fans und deren Kinder dazu einlädt, mit ihnen auf der Bühne zu tanzen. Seine Texte haben Murdoch den einen oder anderen Vergleich mit Morrissey eingebracht, doch selbst wenn Belle and Sebastian melancholisch sind (und das sind sie oft), werfen sie sich nie in die Abgründe, in die sie blicken. Ihre bekannteste Platte mag »If You’re Feeling Sinister« heißen, doch das Gemüt haben sie weder mit den Smiths noch mit Bauhaus gemein. Belle and Sebastian zeichnen Bilder von Unschuld, manchmal so überzeugend, dass sie selbst zu einem werden.

Natürlich war dieses Bild ambivalent, die Unschuld oft in Gefahr, ­gerade in ihren besten Songs. Der Titelheld von »Lord Anthony« (von »Dear Catastrophe Waitress«, 2003) ist ein schüchterner intelligenter Schuljunge, der von seinen Mitschülern gehänselt wird, weil er deren Bild von Maskulinität nicht entspricht. Sie nennen ihn »Lord Anthony«, weil sie meinen, er sei sich zu fein, um mit ihnen zu raufen und Fußball zu spielen. »But hey, it could be worse«, spricht ihm Murdoch Mut zu, »it kind of suits you anyway«. Die Lösung sieht der Song darin, die Eigenschaften, durch die man zum Außenseiter wird, stolz vor sich zu tragen und sie so zu schützen. Ganz im Sinne des Buddhismus ist Größe im Inneren angelegt. In der Welt von Belle and Sebastian äußert sie sich im Triumph der (idealistischen) Unschuld über die erbarmungslosen Umstände der externen Realität.

Das soulige »If They’re Shooting at You« fragt ähnlich wie »Young and Stupid«: »What happened to the life I knew?« Auch hier geht es um die Bedrohung von Unschuld und Idealismus, aber in einem größeren, ­politischen Kontext. »If they’re shooting at you, kid, you must be doing something right«, lautet die Schlüsselzeile des Stücks. Hier greift Murdoch, näher am inneren Priester als am Hipster, auf die Bibel zurück, genau genommen auf Matthäus 5:10: »Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich.« In dem Verweis liegt auch die Antwort auf die mög­liche Gegenfrage, wie man sich denn sicher sein kann, von den beiden Seiten, die aufeinander schießen, auf der richtigen zu stehen: Man braucht dafür ein nicht hinterfragbares Ideal, ein Dogma. Die Bibel findet es in den Worten Gottes und denen Jesu. Stuart Murdoch findet es im inneren Wesen von selbstbewussten Jugendlichen.

Das Wort »divine« findet mehrmals Erwähnung auf »A Bit of Previous«, meistens ohne dass in den entsprechenden Songs explizit spirituelle Fragen verhandelt werden. »You and me could talk like kissing / Every conversation was divine«, heißt es in der Single »Unnecessary Drama«, einem fast schon rockigen Song, der sich am besten 2006 auf »The Life Pursuit« eingefügt hätte: In der Zwischenmenschlichkeit entsteht das Göttliche. Einen Song vorher heißt es in »Prophets on Hold«: »Underneath your thin skin / We are prophets on hold / Elemental disciples / Waiting for our time to unfold«.

Darin liegt wohl auch der Hauptunterschied zwischen der Philosophie von Belle and Sebastian 1996 und der von 2022. »Swimming in a sea of sorrow / Heading for a world of promise«, lautet der Refrain von »Sea of Sorrow«, der sich auch bestens auf einen der adoleszenten Charaktere anwenden ließe, deren Geschichten sie auf der ersten Handvoll Alben so gerne erzählt haben. Damals wie heute rechtfertigt sich dieser naive Idealismus mit der ­Person selbst – mit dem, was sie besonders macht. Doch früher war es die Adoleszenz, aus der sich dieser Besonderheit ableiten ließ. Nun, da Belle and Sebastian diese Phase ihres Lebens endgültig hinter sich gelassen haben, tritt ein spiritueller Prozess an ihre Stelle. Später heißt es im selben Song: »Heaven will protect and hold you in bliss / I’m convinced of this«.

Es ist klar, dass hier ein autobiographischer Erzähler spricht. In »Working Boy in New York City«, einem klassischen Song der Band im Stile von »The Boy with the Arab Strap« (vom Album gleichen Namens, 1998), singt Murdoch: »God doesn’t care about the way you’re leaning / Once you are happy and you know yourself / Peace can come in your heart / You can make a new start«. Glück kommt in Form eines neuen Beginns, der die Brücke zwischen jugendlichen Empfinden und Buddhismus schlägt. »Young and Stupid« endet mit einem Sample, in dem eine junge Frau mit schottischem Akzent verkündet: »Nothing matters. So whatever.« Adoleszenter Übermut oder buddhistische Weisheit? Unter Zuhilfenahme ihrer eigenen bits of previous verwischen ­Belle and Sebastian den Unterschied.

Belle and Sebastian: A Bit of Previous (­Matador Records)