Irans Regime verfolgt die »Mütter von Aban«, deren Kinder von Polizei und Armee 2019 getötet wurden

Verfolgte Mütter

Im Iran setzen sich die »Mütter von Aban«, deren Kinder während der Proteste vom November 2019 erschossen wurden, für Aufklärung und Gerechtigkeit ein. Dafür werden sie vom Regime kriminalisiert.

Im Iran brodelt es. Seit Monaten protestieren Lehrkräfte, Rentner, Arbeiter, Angestellte und weitere Gruppen immer wieder gegen hohe Lebensmittel- und Treibstoffpreise, gegen Wasserknappheit und Misswirtschaft. Am 12. Juli begingen Feministinnen zudem erneut den »No Hijab Day«, den Tag des Protests gegen die Zwangsverschleierung (siehe Jungle-Blog »Von Tunis nach Teheran«). Das Regime reagiert mit Härte gegen Protestierende.

Einen Tag vor dem »No Hijab Day«, am 11. Juli, stürmten 60 Ordnungskräfte die Wohnung von Rahimeh Yousefzadeh in Teheran und verhafteten dort mehrere anwesende Frauen. Sie hatten sich wie jeden Monat versammelt, um ihrer während der ­Proteste vom November 2019 ermordeten Kinder zu gedenken. Sie nennen sich »Madaran-e Aban« (Mütter von Aban) nach dem achten Monat des Shamsi-Hijri-Kalenders, des offiziellen Kalenders des Iran und Af­ghanistans, der im Oktober beginnt und im November endet.

Den am 11. Juli dieses Jahres Ver­hafteten werfen die iranischen Behör­­den »Anstiftung zu Unruhen« vor.

Yousefzadeh ist die Mutter von Navid Behboudi, der im November 2019 in Qods erschossen wurde. Weitere Verhaftete sind Sakineh Ahmadi, Mutter von Ebrahim Ketabdar, der im Alter von 30 Jahren in Karaj am 16. November 2019 getötet wurde, sowie Mahboubeh Ramezani, Mutter des damals 18jährigen Pejman Gholipour, erschossen am 17. November 2019 in Teheran, und Somayyeh Jafarpanah, die Schwester des 29jährigen Familienvaters Mohsen Jafarpanah, der am selben Tag erschossen wurde.

Am 15. November 2019 waren die Benzinpreise im Iran über Nacht um bis zu 200 Prozent gestiegen. Viele ohnehin schon hungernde und verarmte Menschen konnten es sich daraufhin nicht einmal mehr leisten, zur Arbeit zu fahren. Der Unmut in der Bevölkerung war so groß, dass Tausende ­Menschen in zahlreichen Städten trotz Lebensgefahr auf die Straßen gingen und gegen die Preissteigerungen protestierten. Nach zwei Tagen erreichten die Proteste auch die Hauptstadt Teheran. Die Protestierenden forderten den Rücktritt des religiösen und staatlichen Oberhaupts Ali Khamenei und verbrannten Porträts des Geistlichen. Iranische Offiziere schossen daraufhin von Dächern, aus Hubschraubern und aus nächster Nähe auf Demonstrierende; die Nachrichtenagentur Reuters ­berichtete unter Berufung auf Quellen aus dem iranischen Innenministeriums, mehr als 1 500 Menschen seien gestorben, die Zahl der Inhaftierten bleibt unklar.

Als wäre der Verlust ihrer Kinder nicht genug, werden die Hinterbliebenen der Ermordeten seither von der iranischen Regierung schikaniert. Die »Mütter von Aban« fordern Gerechtigkeit und Aufklärung, sie protestieren Seite an Seite mit anderen Frauen, deren Kinder Opfer des Regimes geworden sind. Sie fordern, dass die Mörder ihrer Kinder zur Rechenschaft gezogen werden. »Wir werden weder vergessen noch verzeihen«, sagen die Frauen in ihren Videos, die sie in den sozialen Medien verbreiten.

Doch statt Gerechtigkeit erfahren diese Mütter nur weitere Repression. Immer wieder werden sie verhaftet und verhört, ihnen wird verboten, mit ausländischen Medien zu sprechen. So berichtete Zahra Parvini, deren 19jähriger Sohn Amir Hossein Zarezadeh bei den Protesten erschossen wurde, bereits im November 2021 unabhängigen Medien von Verfolgung durch die Sicherheitsbehörden. Auch Nahid Shirpi­sheh, die Mutter von Pouya Bakhtiari, dessen Erschießung am 16. November in Karaj international verurteilt wurde, sowie Pouyas Vater Manouchehr Bakhtiari und weitere Angehörige wurden ­bereits mehrmals verhaftet, was unter anderem der ­damalige US-Außenminister Mike Pompeo kritisierte.

Den am 11. Juli dieses Jahres Verhafteten werfen die Behörden »Anstiftung zu Unruhen« vor. Die staatliche Nachrichtenagentur Fars schrieb, die Inhaftierten pflegten »unter dem Deckmantel der Suche nach Gerechtigkeit« Verbindungen zu »ausländischen Spionagediensten« und erhielten Geld aus dem Ausland, »um Unruhen und Unsicherheit im Land zu schaffen«. Zudem wird behauptet, die Frauen hätten sich an der für den Folgetag geplanten Aktion gegen den Hijab-Zwang beteiligen wollen. Das sei jedoch nicht der Fall gewesen, so die Mutter des getöteten Reza Moazami Goudarzi, die ihren eigenen Namen nicht nennt, in einem Video auf Instagram, in dem sie die Freilassung der »Mütter von Aban« fordert. Auch Shirpisheh wurde am 11. Juli erneut in ihrem eigenen ­Zuhause festgenommen. Ihre Tochter Mona Bakhtiari veröffentlichte daraufhin ein Video, in dem die verwüstete Wohnung zu sehen ist. Das Video wurde in den sozialen Medien vielfach geteilt.

Neben Repression erfahren die »Mütter von Aban« auch viel Zuspruch. In einem Video vom 11. Juli auf Instagram solidarisierte sich etwa die Journalistin Delbar Tavakoli mit ihnen. »Ich wünsche mir von den Menschen, dass sie an unserer Seite sind, dass sie unsere Stimmen sind, dass sie uns nicht alleinlassen«, so Tavakoli. Die Journalistin und Frauenrechtlerin Masih Alinejad teilte Bilder der inhaftierten Mütter auf ihrer Instagram-Seite und schrieb dazu: »Ihr Vergehen ist das Verlangen nach Gerechtigkeit, dafür sitzen sie im Gefängnis. Seid ihre Stimmen!«

Die Proteste gegen steigende Lebenshaltungskosten, Misswirtschaft und Gängelung durch das Regime im Iran gehen derweil weiter.