Caroline Fourest verteidigt in ihrem neuen Buch den Laizismus

Vive la Laïcité

Die französische Publizistin und »Charlie Hebdo«-Kolumnistin Caroline Fourest hat ein Buch über den Laizismus geschrieben. Dieser, so legt sie dar, wird von rechten wie linken Identitätspolitikern permanent angegriffen, manche Funktionsträger sehen ihn gar als Grund für Radikalisierung von Muslimen an. Fourest aber hält ihn für den richtigen Weg, dem Fundamentalismus die Stirn zu bieten.

Caroline Fourest ist hierzulande mittlerweile ziemlich bekannt. 2020 erschien ihr Buch »Generation beleidigt«, eine Abrechnung mit den Linksidentitären, und erreichte gar Platz eins der Spiegel-Bestsellerliste für Sachbücher. Im Frühjahr dann wurde wieder viel über sie berichtet, nachdem eine Veranstaltung zu »Generation beleidigt«, die in der Berliner Volksbühne stattfinden sollte, kurzfristig vom Theater unter allerlei Auflagen gestellt wurde; offenbar störte man sich an der polemischen Autorin. Zur Buchvorstellung kam es schlussendlich nicht mehr.

Dafür ist nun ein neues Buch von Fourest in deutscher Sprache erschienen, dass in Frankreich bereits 2016 veröffentlicht wurde. Für den deutschen Geschmack mag der Titel »Lob des Laizismus« speziell klingen. Wozu sollte man sich mit dem französischen Sonderweg der Trennung von Religion und Kirche beschäftigen? Tatsächlich ist auch dieses Buch in Teilen eine Auseinandersetzung mit Identitätspolitik. Zugleich gibt es einen kurzweiligen Einblick in die Geschichte des Säkularismus.

Nach der Lektüre ist eines überdeutlich: Es fehlt der Kompass in der hiesigen Debatte, wenn etwa gegen das Kopftuch gleichzeitig mit dem Schulfrieden, der staatlichen Neutralität und der Leitkultur argu­mentiert wird.

Der heutige Kampf innerhalb des linksliberalen Lagers um universelle Werte auf der einen und Diversität auf der anderen Seite ist keineswegs neu, so Fourests These. Er ist kein Resultat von postmoderner Theorie, sondern fand bereits zur Zeit der Französischen Revolution statt. Allerdings verschärft er sich derzeit weltweit, da überall Fundamentalisten im Aufwind sind. In Demokratien stellt sich die Frage nach dem Umgang mit Forderungen von Religiösen. Dabei stehen sich zwei Modelle gegenüber, der französische Laizismus und der US-amerikanische Säkularismus.

Dass gerade das US-amerikanische Modell als Antipode zum französischen Laizismus dient, mag aus deutscher Sicht überraschen. Immerhin sind sowohl die USA als auch Frankreich leuchtende Beispiele dafür, dass eine saubere Trennung von Kirche und Staat möglich ist, während hierzulande der Staat Kirchensteuern einzieht, Bischöfen ihr Gehalt zahlt und Religion als offizielles Schulfach nach Glaubensrichtung getrennt von Religionsvertretern unterrichten lässt.

Mit einigem Erstaunen erfährt man gleich im ersten Kapitel, wer die Hauptwidersacher des Laizismus sind: Der politische Islam – und die Vereinigten Staaten. Die USA bekommen bei Fourest immer wieder ihr Fett weg. US-amerikanische Journa­listen und sogar der ehemalige Präsident Barack Obama machten den ­Laizismus wiederholt für die Häufung islamistischer Attentate in Frankreich verantwortlich. Das Verbot des Kopftuchs an Schulen gilt ihnen als Diskriminierung. Dabei verstünden sie nicht einmal die Herleitung dieses Verbots, argumentiert Fourest. Sie würfen beispielsweise Frankreich und Belgien in ihrer Argumentation andauernd in einen Topf, obgleich Belgien gar nicht laizistisch ist. Das Verbot der Vollverschleierung begründet Belgien mit Sicherheitsbedenken, während in Frankreich eben auch die Soutane, das schwarze Gewand eines katholischen Geistlichen, außerhalb der Ausübung des Amtes nicht öffentlich getragen werden darf.

Auch identitäre Gruppen von rechts wie links greifen den Laizismus an. Mitglieder der US-Botschaft in Frankreich zeigten sich, wie aus geleakten Unterlagen hervorgeht, verständnisvoll und förderte die zwei Internetseiten Oumma.com und ­Saphirnews. Auch liefen Vertreter der US-Botschaft bei einer Demonstration der offen antisemitisch und prois­lamistisch auftretenden »Indigenen der Republik« zunächst mit.
Fourest erzählt, dass es US-amerikanische Attacken auf den Laizismus schon seit Gründung beider Repu­bliken gibt. So verurteilte der zweite US-Präsident John Adams »die erklärte Feindschaft der revolutionären Franzosen gegen die Religion« und warnte vor einer »Republik der 30 Millionen Atheisten«.

Worum es dabei geht, welche ­Ideen hinter den Modellen stehen und wie andere europäische Länder die Frage handhaben, arbeitet Fourest im nächsten Kapitel heraus. Da in Frankreich die katholische Kirche sehr einflussreich und eine Säule der Monarchie war, musste ihre Macht in der Revolution zurückgedrängt werden. In die nordameri­kanischen Kolonien, aus denen die USA hervorgingen, wanderten hin­gegen zumeist Protestanten aus Europa aus, die sich vom Staat weniger Gängelung wünschten. Darum sei der französische Weg der Schutz des Staats vor der Religion, während der US-amerikanische Säkularismus die Religion vor staat­lichen Eingriffen schütze.

Dem deutschen Modell widmet sie nur einen Absatz und macht daran die Andersartigkeit von mehrheitlich protestantischen Ländern fest: Während die katholische Kirche Fortschritt bekämpfte, ging mit dem religiösen Liberalismus der Protestanten oft eine politische Liberalisierung einher, die eine Trennung von Staat und Kirche weniger dringlich erscheinen ließ.

Aber auch in Frankreich gab es Zeiten, in denen andere Modelle erprobt wurden, erfährt man im histo­rischen Kapitel. Nach der Revolution mussten Kleriker einen Eid auf die Verfassung schwören und wurden wie politische Funktionäre gewählt, ihre Besoldung wurde verstaatlicht, dafür zog der Staat das Eigentum der Kirche ein.

Ein Irrweg, wie Fourest findet, der nichts mit Laizismus zu tun habe, sondern im Geiste des Gallikanismus stand, der im Mittelalter versuchte, die Macht des Vatikans in Frankreich zurückzudrängen und deshalb den Katholizismus zur Staatskirche erklärte, die unabhängiger von Rom, aber dafür abhängiger vom französischen König war.

In Fourests detailreicher Schilderung der Geschichte wird auch deutlich, wie unterschiedlich die Wertesysteme sind. Während es für US-amerikanische Politiker bis heute unerlässlich ist, ihre Religiosität unter Beweis zu stellen, sah sich in Frankreich 1901 der überzeugte Laizist und Sozialist Jean Jaurès heftigen Angriffen ausgesetzt, weil seine Tochter an der Erstkommunion teilgenommen hatte.

Zuweilen geraten Fourests Beschreibungen von Gesetzesdebatten und politischen Grabenkämpfen über die Jahrhunderte etwas verwirrend für jene, die mit den Details französischer Geschichte nicht vertraut sind. Doch bald findet man sich wieder zurecht, nämlich bei den Debatten über den Schleier und Sonderregelungen für muslimische Einwanderer. Hier schließt sich der Kreis zu ihrer Kritik an der identitären Linken, die den Islam vor dem Laizismus schützen will. Auf der anderen Seite aber erinnere sich, so Fourest, die Rechte nur dann des Laizismus, wenn es um den Islam geht. Beides, so eine der Hauptthesen des Buchs, sei rassistisch. Allein der Laizismus könne die Widersprüche der Einwanderungsgesellschaft lösen, ohne dabei rassistisch zu sein.

Im Abschlusskapitel erläutert Fourest, wie eine gute laizistische Politik die verschiedenen Konflikte angehen sollte. Zunächst unterscheidet sie zwischen verschiedenen Räumen: Die Straße ist ein öffentlich freier und staatsbürgerlicher Raum, die Arbeit ein eingeschränkt freier öffentlicher Raum, Universitäten sind öffentliche, staatsbürgerliche und freie Orte, die staatliche Schule ist der ­öffentliche, staatsbürgerliche Ort schlechthin, das Gefängnis ist ein geschlossener staatsbürgerlicher Raum. Daraus leitet sie ab, welche Einschränkungen für die Bekundung von Religion wo gelten müssen oder wo der Staat sogar die Religion finanziell unterstützen darf – nämlich im Gefängnis, weil sonst die Religionsausübung gefährdet sein könnte.

Während Fourest jede Bekundung von Religion in der Schule strikt ablehnt, wendet sie sich ebenso vehement gegen ein Verbot religiöser Symbole auf der Straße. Auch an Universitäten solle das Kopftuch erlaubt, Bekehrungsversuche aber sollten verboten sein. Sie erläutert, warum man es zulassen sollte, dass verschleierte Mütter das Schulgelände betreten, aber keine Weihnachtskrippen vor Rathäusern aufstellen dürfe. Manche Islamkritiker hierzulande dürfte es erstaunen, dass sie das Burkiniverbot an Stränden ablehnt, aber es kritisiert, im Parlaments­gebäude als Zeichen der Solidarität anlässlich antisemitischer Angriffe einer Kippa zu tragen.

Fourest argumentiert als Linke ­radikal antirassistisch, wägt zuweilen ab und kommt gelegentlich zu erstaunlichen Ergebnissen, zum Beispiel wenn sie feststellt, dass die ausländische Finanzierung von Moscheen kein Problem sei. Wenngleich vieles in Deutschland anders ist, ­liefert gerade ihr letztes Kapitel eine gute Grundlage, um auch hier mehr Klarheit in die Debatte über die Gestaltung der Einwanderungsgesellschaft zu bringen.

Nach der Lektüre ist zumindest eines überdeutlich: Es fehlt der Kompass in der hiesigen Debatte, wenn etwa gegen das Kopftuch gleichzeitig mit dem Schulfrieden, der staatlichen Neutralität und der Leitkultur argumentiert wird. Niemand ­müsste sich die Frage stellen, ob Frauenrechte mehr wiegen als Freiheit und Pluralismus, wenn Staat und Religion getrennt wären und eine Vorstellung davon bestünde, wo der Mensch Staatsbürger und wo er Privatperson ist. Bis dahin dürfte es ­allerdings ein weiter Weg sein – wie Fourests Geschichtskapitel zeigt.

Caroline Fourest: Lob des Laizismus. Aus dem Französischen von Mark Feldon und Christoph Hesse. Edition Tiamat, Berlin 2022, 296 Seiten, 26 Euro