Antisemitismus ist in Indonesien seit vielen Jahren präsent

Das Volksgericht tagt

Das einem Triptychon ähnelnde Protestbanner des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi kritisiert die mangelhafte Aufarbeitung der Verbrechen der Suharto-Diktatur. Es nutzt dabei antisemitische Motive, die in der indonesischen Gesellschaft verbreitet sind.

Links oben auf dem in Kassel mittlerweile abgehängten, acht Meter hohen Banner »People’s Justice« (2002) des Künstlerkollektivs Taring Padi thront mit gefletschten Zähnen der ehemalige indonesische Staatspräsident Suharto. Er blickt feindselig auf das bunte, friedliche und Widerstand leistende indonesische Volk auf dem rechten Flügel des Triptychons. Über dieser Szenerie schwebt ein Volksgericht in traditioneller wie westlicher Kleidung. Das neue Indonesien berät, wie mit Suhartos politischem Vermächtnis umzugehen ist.

1965 hatte der hochrangige Armeegeneral Suharto die Staatsführung unter dem Vorwand übernommen, einen Putschversuch abzuwehren. Er erkor die Kommunistische Partei Indonesiens (PKI) zusammen mit der chinesischstämmigen Minderheit als Sündenböcke aus. Sein Militärregime stürzte Sukarno, den ersten, mit dem Kommunismus liebäugelnden Präsidenten des unabhängigen Indonesiens. Mit seinen Schergen, darunter Zivilisten und insbesondere islamistische Gruppen, ermordete Suharto allein bis 1967 Schätzungen zufolge zwischen 500 000 und 1 000 000 Menschen. Erst 1998 trat Suharto zurück und konnte daraufhin ein angenehmes Leben führen – ohne je für seine Taten belangt zu werden.

Die Künstlergruppe Taring Padi wollte mit ihrem abgehängten Banner die Problematik der historischen Aufarbeitung aufzeigen und zugleich anprangern, dass westliche Länder mit der Suharto-Diktatur paktierten. Unter dem Thron, dem Symbol seiner Macht, läuft eine Prozession westlicher Geheimdienstangehöriger, gekennzeichnet durch Kürzel wie »CIA« oder, etwas schalkhaft, »007«. Eine der Figuren ist mit Davidstern, dem Schriftzug »Mossad« und einer Schweinsnase versehen. Über einer Wolfsfigur prangt die Sprechblase »Don’t worry, be happy«, was das westliche kulturelle Selbstverständnis mit der politischen Realität seines Wirkens in Indonesien konterkariert. Neben ihm ist eine Figur abgebildet, die den antisemitischen Juden-Darstellungen im nationalsozialistischen Kinderbuch »Der Giftpilz« vom Stürmer-Verlag ähnelt. Es ist diese Karikatur mit Schläfenlocken, Zigarre, Reißzähnen und dem SS-Symbol am Hut, die keine Zweifel am antisemitischen Inhalt des Bildes zulässt.

Auf einen kleinen Flecken Land im Nahen Osten wird ein Zivilisations­konflikt zwischen dem Westen und der islamischen Welt projiziert.

Der Westen hatte im Kalten Krieg großes Interesse an der weltweiten Bekämpfung des Kommunismus und seiner blockfreien Verbündeten. Im Falle Indonesiens lockten ihn insbesondere die unter Sukarno nationalisierten Rohstoffe des Landes. Er knüpfte deshalb Bande zum eher prowestlich eingestellten indonesischen Militär und unterstützten Sukarnos Entmachtung. Der damalige Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Gerhard Wessel, der wie sein alter Vorgesetzter Reinhard Gehlen von der Abteilung Fremde Heere Ost nach Kriegsende zum Geheimdienst der Bundesrepublik gewechselt war, gab 1968 vor dem sogenannten Vertrauensgremium des Bundestags zu Protokoll, der BND habe großen Anteil an der Auslöschung der indonesischen Kommunisten gehabt. Indizien zur wirtschaftlichen Unterstützung, zur Ausbildung von Militär und Polizei, der Lieferung von Waffen und dergleichen finden sich etwa im BND-Bericht »Betreff: Föhrenwald« von 1965, in Dokumenten des Politischen Archivs des Auswärtigen Amts oder in freigegebenen CIA-Akten.

Wie andere westliche Länder knüpfte auch Israel zu Suhartos Regime Kontakte. Indonesien hatte unter Sukarno die arabischen Staaten politisch unterstützt, indem es Israel nicht anerkannte. Auch unter Suharto nahm Indonesien keine offiziellen diplomatischen Beziehungen auf. Es fiel dem Mossad zu, verdeckte Beziehungen mit der indonesischen Diktatur zu pflegen und dabei insbesondere Firmennetzwerke aufzubauen. Die Möglichkeit, über Israel mit Waffen, Diamanten und Chemikalien zu handeln, war relevanter für Suharto als ideologische Stringenz.

Ein Verteidigungsversuch des Künstlers Bayu Widodo von Taring Padi im Deutschlandfunk misslang, als er über die Bedeutung des Stürmer-Juden anmerkte: »Das soll keine Darstellung des jüdischen Kapitalismus sein, sondern eine des Staates Israel.« Israel als Juden unter den Staaten zu brandmarken, die Bildsprache des Stürmers zu nutzen und Juden als neue Nazis zu diffamieren, das sind übliche antisemitische Topoi und gängige Sujets im postkolonialen Diskurs. Als die öffentliche Empörung über diesen offenkundigen Antisemitismus zur relevanten Größe wurde, veröffentlichten Taring Padi eine Entschuldigung auf der Website der Documenta. Die Künstlergruppe habe erkannt, dass ihre »Bildsprache im historischen Kontext Deutschlands eine spezifische Bedeutung bekommen hat«. Diese Behauptung ist falsch, weil Antisemitismus ein globales Phänomen ist, und sie ist geschichtsvergessen.

Geschichtsvergessen, weil seit dem 16. Jahrhundert Juden aus aller Welt in Indonesien leben, die sich im Zuge der portugiesischen und niederländischen Kolonisierung und Siedlungstätigkeiten niederließen. Heutzutage leben weniger als 200 Juden im Land. Viele haben sich offiziell als Christen gemeldet, da es das Judentum als Religionszugehörigkeit im indonesischen Pancasila-System nicht gibt. 2004 schrieb der Ostasienhistoriker Jeffrey Hadler, dass mit den Juden auch der Antisemitismus ins Land kam. Das ist nur die halbe Wahrheit: Er konnte auf einen sich gegen chinesische Händler richtenden Antisinismus aufbauen, der ähnliche Motive verwendete. Zudem hinterließ auch der Zweite Weltkrieg ideologisch Spuren: Während der japanischen Besatzung ab 1942 wurden Juden interniert und antisemitische Propaganda wie beispielsweise die »Protokolle der Weisen von Zion« als Übersetzung veröffentlicht. In der Nachkriegszeit verließen die meisten Juden Indonesien gen Westen und insbesondere nach Israel. Geblieben ist der Antisemitismus. Als Hadler sich während eines Forschungsaufenthalts gegenüber Studenten als Jude offenbarte, brachten sie »eine Litanei der Vorwürfe über jüdischen Reichtum, Kontrolle über die Medien und Antipathien gegen Muslime« vor und fragten nach dem Einfluss der »jüdischen Lobby« in den USA.

Auch Suharto äußerte sich derart nach seinem Rücktritt 1998 in einem Interview: »Es war eine zionistische Verschwörung. Die indonesische Regierung war leichtsinnig, was die systematischen und taktischen Machenschaften der Zionisten angeht.« Die »Zionisten« seien besorgt darüber gewesen, dass unter seiner Herrschaft mit Indonesien ein großes Land mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit aufgestiegen sei. Hadler sieht die Entwicklung, dass nach Suhartos Sturz immer mehr antise­mitische Schriften erschienen. Die Bevölkerung scheint das nicht zu beanstanden, denn immer wenn offizielle Beziehungen zu Israel denkbar werden, kommt es zu heftigen Protesten.

Dies ist einerseits dem nach Suharto gestiegenen politischen Einfluss der Islamisten zuzuschreiben und andererseits der weitverbreiteten und oft von Regierungsvertretern geteilten Idee, dass die Palästinenser, wie einst die Indonesier, ein gegen die Kolonialherrschaft kämpfendes Volk seien. Als im Februar die kleine jüdische Gemeinde in der Stadt Tondano ein Museum über den Holocaust eröffnete, äußerte ein Vertreter des Ulema-Rates, des größten Dachverbands muslimischer Gemeinden, das Museum könne »Aufruhr in der Bevölkerung provozieren«, wie das Online-Magazin The Diplomat berichtete. Stattdessen sollte die Regierung ein Museum über den niederländischen Kolonialismus eröffnen, oder besser »die zionistische Gewalt gegen Palästinenser zeigen.« Ein Vertreter der islamistischen Gerechtigkeits- und Wohlfahrtspartei kritisierte, das Museum könne dazu dienen, die Ablehnung der indonesischen Regierung der israelischen Besatzung der palästinensischen Gebiete zu untergraben. Diese Sorge mag unbegründet sein, empfinden laut einer 2017er Umfrage des BBC World Service 65 Prozent der Indonesier Israel ohnehin als negativ und nur neun Prozent als positiv. Der Think Tank Saiful Mujani stellte zudem fest, dass 71 Prozent Israel die Schuld am Konflikt mit den Palästinensern geben. Für Politiker bedeutet das, dass antiisraelische Symbolpolitik gut für die Umfragen ist. Während des Gaza-Kriegs 2021 ließ der Gouverneur Jakartas Brücken und Straßen der Hauptstadt in den Farben der Palästinenserflagge anstrahlen. Fern der heimischen Missstände und Möglichkeiten lässt sich auf einem kleinen, Tausende Kilometer entfernten Flecken Land im Nahen Osten ein Zivilisationskonflikt zwischen dem Westen und der islamischen Welt projizieren.

Die indonesischen Psychologen Ali Mashuri und Esti Zaduqisti legten vor einigen Jahren in auf quantitativer Forschung basierenden sozialpsychologischen Studien einen Zusammenhang zwischen islamischem Fundamentalismus, islamischer Gruppenidentifikation, Wut und Ohnmacht, Opferkonkurrenz, Verschwörungstheorien und ­antiwestlichen Stereotypen offen. Die erfahrene Ohnmacht vieler Indone­sier erhalte mittels der Erzählungen über die Schwächung der Muslime durch Feinde des Islam wie etwa Zionisten, Missionare oder Imperialisten eine Möglichkeit, sich Luft zu verschaffen und die Schuld an den Zuständen ins Außen zu projizieren.

Ungeachtet aller berechtigten Kritik an der Unterstützung des Westens für Suharto teilen Taring Padi mit ihrem Protestbanner die Welt auf falschen Annahmen fußend in Gut und Böse ein. Anstelle des Ost-West-Konflikts sehen sie einen Nord-Süd-Konflikt – zwischen dekolonisierten Staaten und dem Westen, selbstverständlich ohne China oder Russland zu bedenken. Sie nutzen hierbei die gängigen Motive der indonesischen Innenpolitik, die auf gesellschaftliche Stabilisierung und Vereinigung zielen. So ist das Protestbanner auch Ausdruck einer fehlenden Aufarbeitung der Diktaturen Sukarnos und Suhartos und tradierter Ressentiments. Wer auch immer über dem Triptychon auf einer Wolke eben diese Aufarbeitung nachholt – und es ist wirklich höchste Zeit –, es sollten besser nicht nur diese Künstler sein.