Die Dürre in Italien

Der Po trocknet aus

Die extreme Trockenheit in Norditalien sorgt am Po, dem längsten Fluss des Landes, für bedeutende Ausfälle bei der Ernte und der Energieerzeugung.

Über den Kalauer vom heißen Wahlkampf, den Italien in diesem Sommer erlebt, kann niemand mehr lachen. Im Juni lag die Temperatur landesweit 2,88 Grad über dem Mittelwert der vergangenen 30 Jahre. Im Juli führten Hitze­wellen über mehrere Tage hinweg zu Höchsttemperaturen um die 40 Grad sogar in den norditalienischen Regionen. Das Piemont erlebt den heißesten und trockensten Sommer seit Beginn der Aufzeichnungen.

Dennoch ist die extreme Wetterlage im Wahlkampf nur als abgenutztes Wortspiel präsent. Führende Politikerinnen und Politiker waren nicht in Turin, als dort Ende Juli die europäische »Fridays for Future«-Bewegung und italienische Umweltgruppen zusammentrafen und sich in einem viertägigen Climate Social Camp über Erfahrungen und Strategien im Kampf für mehr ­Klimaschutz und Klimagerechtigkeit austauschten. Dabei lassen sich die Folgen des gegenwärtigen Rekordsommers gerade am Fluss, der durch die piemontesische Hauptstadt fließt, deutlich erkennen: Der Po misst den niedrigsten Wasserstand seit über 70 Jahren.

Die zuständigen Wasserbehörden hatten bereits Ende März gewarnt: Nach einem milden Winter mit zu wenig Schnee in den Bergen wurde Italiens längstem Fluss aus den alpinen Zuströmen kaum Schmelzwasser zugetragen. Der Pegelstand des Po war daher schon vor dem viel zu trockenen und zu warmen Frühjahr ungewöhnlich niedrig. Am Po-Delta unterhalb von Venedig führt das Niedrigwasser inzwischen dazu, dass Salzwasser aus der Adria ­kilometerweit ins Landesinnere drückt.

Die Kehrseite der extremen Trockenheit sind ebenso extreme Unwetter: sintflutartiger Starkregen, heftiger Hagel und starke Gewitterböen.

Die Land- und Wasserwirtschaft entlang des Po gerät in einen Teufelskreis: Je stärker die Trockenheit, desto mehr muss bewässert werden; je mehr bewässert wird, desto schneller schrumpfen die Wasserreserven. Auch in den oberitalienischen Seen, dem Lago Maggiore und dem Comer See, sind die Wasserstände zu niedrig. In der Lombardei und der Emilia-Romagna wird Wasser nur noch in einem behördlich festgelegten Turnus an die landwirtschaftlichen Betriebe geliefert. Privathaushalte dürfen in vielen Kommunen von Verona bis Pisa das Trinkwasser nur noch im Haushalt verwenden. Wer sein Auto wäscht oder gar den eigene Pool füllt, wird mit Geldbußen sanktioniert.

In der Po-Ebene, dem sonst so fruchtbaren norditalienischen Tiefland, geht es längst nicht mehr nur darum, die Ernte zu retten. Der Bauernverband Coldiretti rechnet mit hohen Verlusten in der Mais- und Weizenproduktion sowie beim für die Po-Ebene charakteristischen Reisanbau. Ferner seien 15 Prozent der Obstpflanzen in der Hitze verdorrt und 20 Prozent der Bestände in der Weichtierzucht durch fehlende Frischwasserzufuhr zerstört worden.

Die Kehrseite der extremen Trockenheit sind ebenso extreme Unwetter: sintflutartiger Starkregen, heftiger Hagel und starke Gewitterböen. So hat sich in den Regionen der Po-Ebene die Niederschlagsmenge zwar kaum ver­ändert, wohl aber die Intensität und Frequenz der Niederschläge: Große Wassermassen, die in kürzester Zeit niedergehen, können von den ausgedörrten Böden nicht aufgenommen werden. Überschwemmungen und Erdrutsche sind die Folge und verursachen weitere Schäden. Meuccio Berselli, der Leiter der für den Po zuständigen Wasserbehörde, erklärte schon im Frühjahr den engen Zusammenhang zwischen nied­rigen Pegelständen und sinkendem Bruttoinlandsprodukt: 40 Prozent der landwirtschaftlichen Wirtschaftsleistung Italiens werden in der Po-Ebene erbracht.

Viele Experten der regionalen Umweltbehörden Italiens wollen nicht von einem »Ausnahmesommer« sprechen und es dabei bewenden lassen, sie verweisen vielmehr auf eine Reihe struktureller Probleme. Infolge maroder oder schlecht gewarteter Verteilungsnetze geht jährlich fast die Hälfte des Trinkwassers ungenutzt verloren. Im nationalen postpandemischen Wiederaufbauplan sind über drei Milliarden Euro für die Wasserversorgung eingeplant, damit sollen Leitungen instand gesetzt, die Bewässerungssysteme verbessert und Wasserspeicher gebaut werden.

Eine noch stärkere Lenkung des Po durch die Einrichtung von Staudämmen, Wehren und Schleusen ist jedoch umstritten. Umweltorganisationen fordern stattdessen die Renaturalisierung des Flusses, der in den Cottischen ­Alpen entspringt, und seiner Nebenarme. Außerdem soll seinen Zuflüssen in den Bergen so wenig Wasser wie möglich entzogen werden. Weil der Po zu wenig Wasser führt, mussten entlang des Flusslaufs in den vergangenen Wochen mehrere Wasserkraftwerke gedrosselt oder ganz abgeschaltet werden. Der Ausfall dieser Quellen erneuerbarer Energie muss kompensiert werden.

Die nur noch geschäftsführend tätige Regierung von Mario Draghi plante bereits vor Monaten und vornehmlich als Reaktion auf den Ausfall russischer Gasimporte im Hafen von Piombino, ein Flüssiggasterminal einzurichten. Dagegen regt sich nun über die toskanische Hafenstadt hinaus Widerstand. Auf dem Klimatreffen in Turin wurde vor dem Geschäftssitz des zuständigen Gasleitungsbetreibers SNAM protestiert unter dem Motto: »Gas? Not our ecotransition!«

Im Wahlkampf ist zwar die Energieversorgung Thema, aber nicht unter dem Gesichtspunkt der Gewinnung von Wind- oder Sonnenenergie. Die großen Parteien streiten sich nicht, wie diese Energien gesichert und natur­verträglich ausgebaut werden könnten. Rechte und extrem rechte Parteien werben vielmehr für Italiens Wiedereinstieg in die Atomenergie; diese wurde bereits in zwei Volksabstimmungen 1987 und 2011 mit großer Mehrheit abgelehnt.