Hunderte Mitglieder des ukrainischen Asow-Regimentes sind in russischer Gefangenschaft

Regiment mit Ruf

Vergangene Woche starben dutzende ukrainische Soldaten in russischer Gefangenschaft bei einer Explosion. Viele von ihnen waren Mitglieder des Regiments Asow, das von Rechtsextremen gegründet wurde.

»Asow-Militante verdienen die Hinrichtung, aber nicht durch Erschießungskommandos, sondern durch Erhängen, weil sie keine echten Soldaten sind. Sie verdienen einen erniedrigenden Tod«, twitterte vergangene Woche die russische Botschaft in London, angeblich einen Bewohner Mariupols zitierend. Die Rolle des rechtsextremen Regiments Asow in der Ukraine wird von Russland stark übertrieben – um das offizielle Kriegsziel der »Entnazifizierung« zu rechtfertigen, aber offenbar auch Kriegsverbrechen an gefangenen ukrainischen Soldaten.

Wenige Stunden vor der Veröffentlichung des Tweets waren bei einer Explosion im Gefangenenlager Oleniwka in der sogenannten Volksrepublik Donezk um die 50 ukrainische Kriegsgefangene getötet und über 100 verletzt worden, darunter Mitglieder des Regiments Asow. Indizien deuten darauf hin, dass es sich nicht, wie von russischer Seite behauptet, um die Folge ­eines ukrainischen Raketenangriffs handelte; Vertreter der US-Regierung sagten am Donnerstag vergangener Woche, Russland bereite gefälschte Beweise vor.

Der ukrainische Neonazi Andrij Bilezkyj hatte das Regiment 2014, damals noch als Freiwilligenbataillon, gegründet, um gegen von Russland unterstützte Separatisten zu kämpfen. Rekrutiert wurde zunächst in der Neonazi- und der Fußball-Ultra-Szene, auch russische Neonazis schlossen sich an. Schon das Abzeichen verriet die ideologische Ausrichtung: eine schwarze ­Sonne mit Wolfsangel, beides von der SS und heutigen Neonazis verwendete Symbole. Noch im selben Jahr verließ Bilezkyj die Kampfeinheit, die in die Nationalgarde eingegliedert wurde und seitdem dem Innenministerium unterstellt ist. Vor der russischen Invasion im Februar wurde Asow auf rund 2 500 Kämpfer geschätzt, wie viele es heute sind, verrät das Regiment nicht.

Rekrutiert wurde zunächst in der Neonazi- und der Fußball-Ultra-Szene, auch russische Neonazis schlossen sich an.

In den vergangenen Jahren hat sich das Regiment Asow um ein rebranding bemüht, die schwarze Sonne wurde aus dem Logo entfernt. Das Regiment hatte sich einen Namen als schlagkräf­tige Einheit erworben und war deshalb bei freiwilligen Soldaten beliebt. Besonders seit der Belagerung von Mariupol 2022, als das Regiment an der Verteidigung der Hafenstadt teilnahm, sind die Asow-Kämpfer in Augen von noch mehr Ukrainern zu Helden geworden.

Regimentsangehörigen werden unter anderem von den UN Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen in der heißen Phase des Kriegs ab 2014 vorgeworfen. Aus dem Regiment war zudem eine rechtsextreme Bewegung hervorgegangen, samt Partei und Bürgerwehr. Derzeit ist Bilezkyj Vorsitzender des Nationalkorps, einer rechtsextremen Partei, die aber bei der Par­lamentswahl 2019 an der Fünfprozenthürde deutlich scheiterte.

2018 hatte der US-Kongress gesetzlich festgelegt, dass das Regiment Asow keine Militärhilfe, seien es Waffen oder Ausbildung, von den USA erhalten dürfe. Dagegen argumentierten manche Experten, das Regiment müsse von der Bewegung getrennt betrachtet werden. Es habe sich seit seiner Gründung »entideologisiert« und zu einer normalen Kampf­einheit entwickelt, sagte etwa der Osteuropaexperte Andreas Umland vom Stockholmer Zentrum für Osteuropastudien der Nachrichtenagentur AFP. »Das heutige Asow-Regiment hat nichts mehr mit dem ›neo­nazistischen‹ Bataillon zu tun«, lautete auch die Überschrift eines Beitrags von Anton Schechowzow vom Zentrum für Demokratische Integrität in Wien, der in der Welt erschien.

Nicht alle sind davon überzeugt. »Das Asow-Regiment ist zwar weniger politisiert geworden, aber solche Leute unterschätzen die ideologischen und struk­turellen Verbindungen zwischen dem Regiment und der Bewegung«, sagt Serhij Mowtschan, ein Mitglied von Solidarity Collectives, einem Verbund ­antiautoritärer Linker in der Ukraine, der humanitäre Hilfe und Unterstützung für den militärischen Widerstand organisiert, im Gespräch mit der Jungle World. Vor dem Krieg war Mowtschan Koordinator des Monitoring-Projekts Marker, das rechtsextreme Gewalt im Land beobachtet. Gleichwohl sei das heutige Regiment Asow nicht das ­gleiche wie noch 2014 bis 2016, sagt Mowtschan. Viele Neonazis hätten das Regiment verlassen, manche machten heute politische Karriere beim ­Nationalkorps.

Zu einem ähnlichen Schluss kommt Michael Colborne, Autor des Anfang des Jahres veröffentlichten Buchs »From the Fires of War: Ukraine’s Azov Movement and the Global Far Right« und Journalist bei dem investigativen Recherchenetzwerk Bellingcat. »Das ­Regiment kann mit Fug und Recht als ›rechtsextreme‹ Militäreinheit bezeichnet werden, auch wenn natürlich nicht alle seine Mitglieder der extremen Rechten angehören, vielleicht sogar nur eine Minderheit«, sagt er der Jungle World. Auch wenn das Regiment weiterhin Neonazis in seinen Reihen dulde, lehne er jedoch die Bezeichnung »neonazistisch« für das Regiment ab.

Beispiele für rechtsextreme Tendenzen im heutigen Regiment gibt es viele: Auf Telegram posieren Asow-Kämpfer an der Front mit Keltenkreuz-Flaggen, einem beliebten Neonazi-Symbol, viele verwenden bis heute das alte Logo mit schwarzer Sonne. Der im April gefallene Soldat Serhij Skald war seit 2014 im Einsatz und früher Regionalchef des rechtsextremen Prawyj Sektor (Rechter Sektor). In Gedichten verherrlicht er die Waffen-SS-Division Galizien. Im Juli 2022 begleitete ein Journalist der Taz zwei Asow-Kämpfer in der Nähe der ostukrainischen Stadt Charkiw. Einer hatte auf dem Finger eine SS-ähnliche Rune tätowiert, auf seinem Arm ein rotes Hakenkreuz, das er als altes fernöstliches Symbol deuten wollte. Die Soldaten sagten, sie seien lediglich Nationalisten, keine Nazis.

In der Führung des Regiments hat nach wie vor die Gründergeneration das Sagen: Kommandeur war bis zu seiner kürzlichen Gefangennahme Denys Prokopenko. 2015 zierte er die Titelseite der Asow-Zeitschrift Tschorne Sonze (Schwarze Sonne). Prokopenko wurde 2017 als Kommandeur in einer Zeremonie eingeschworen, bei der sein Amtsvorgänger Maksym Schorin, heute Generalsekretär des Nationalkorps, ihm eine zeremonielle Axt überreichte; auch der Asow-Gründer Bilezkyj war zugegen. Konstantin Nemitschew, seit 2014 im Regiment und derzeit Kommandeur von dessen neuer Spezialeinheit »Kraken«, war im Oktober vergangenen Jahres Bürgermeisterkandidat des Nationalkorps in Charkiw.

Seit der russischen Einnahme von Mariupol sind viele Regimentsangehörige, die sich im dortigen Asow-Stahlwerk verschanzt hatten, in Gefangenschaft, auch der Kommandeur Prokopenko. Zusammen mit Hunderten anderen ukrainischen Soldaten waren sie der russischen Regierung zufolge in das Lager Oleniwka gebracht worden. Es ist seit Jahren bekannt, dass in Donezker Gefängnissen systematisch gefoltert wird. Die ukrainische Regierung nennt den Tod der Kriegsgefangenen vergangene Woche ein »vorsätzliches russisches Kriegsverbrechen«, um Folter und Hinrichtungen von Gefangenen zu vertuschen. Auf Telegram schwor das Regiment Asow den Verantwortlichen Rache.

In der Zwischenzeit bildet es neue Einheiten wie »Kraken«. »Asow ist inzwischen eine Marke«, sagt Mowtschan, »viele Einheiten verwenden den Namen.« Und er warnt: »Diese könnten viel ideologisierter, viel neonazistischer sein als das ursprüng­liche Regiment.«