Small Talk mit Tilman Smith über die ­Initiative Alarm Phone

»Am Telefon Kraft zu geben, ist schwer«

Wenn Menschen bei ihrer Flucht über das Mittelmeer oder den Atlantik in Seenot geraten, können sie die Initiative Alarm Phone anrufen. Die Mitarbeiter leiten den Standort der Schiffbrüchigen an die Küstenwachen und die zivile Seenotrettung weiter. Außerdem dokumentiert die Initiative Fälle von Menschenrechtsverletzungen und versucht, Anrufer bei der Suche nach Angehörigen und Freunden zu unterstützen. Die Jungle World sprach mit Tilman Smith von Alarm Phone.
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Gibt es keine staatlichen Telefonnummern für Seenotfälle?

Es gibt die Nummern der verschiedenen Küstenwachen. Da ist aber immer die Frage, wie schnell die reagieren und ob die Leute die Nummern überhaupt haben und dann auch noch das entsprechende Vertrauen. Denn ruft man beispielsweise die sogenannte Küstenwache Libyens, ist klar, dass der Weg zurück in die Lager führt. Aufgrund von Seenotfällen mit Hunderten Toten wurde 2014 die selbstorganisierte Hotline Alarm Phone gegründet, die von etwa 200 Leuten aus zehn Ländern ehrenamtlich betrieben wird.

Wie können Sie den anrufenden Menschen helfen?

Wir versuchen zunächst, Informationen zu sammeln: Wie viele Leute auf dem Boot sind, was für ein Boot sie fahren, wie dessen Zustand und der Gesundheitszustand der Leute an Bord ist. Vor allem versuchen wir, die Position in Erfahrung zu bringen, was manchmal aufgrund der Qualität der Verbindung, aber auch der Sprachbarriere nicht leicht ist. Ohne Position können wir schwer helfen. Die Informationen mailen wir dann an die Küstenwachen und die zivile Seenotrettung.

Woher haben die Menschen Ihre Nummer?

Über die sozialen Medien, aber es werden auch Kärtchen verteilt, auf denen sie steht.

Wie verläuft eine typische Dienstschicht bei Ihnen?

Die Schichten gehen normalerweise vier oder acht Stunden, die wir zu zweit oder zu dritt bestreiten. Die zentrale Hotline wird dann auf unser Telefon in Hamburg weitergeleitet. Wir haben verschiedene Tools auf unserem Computer: auf der einen ­Seite alle Adressbestände, wo sich die Stellen finden, denen wir Informationen zukommen lassen wollen. Und dann gibt es einen Pool von Dolmetschern, damit die Informationen, die wir für die Menschen auf den Booten haben, wirklich verstanden werden.

Wir dokumentieren alles, was während der Schicht passiert. So haben wir Material, um beispielsweise Fälle von Menschenrechtsverletzungen zu belegen. Es rufen auch viele Angehörige an, die nach ihren Liebsten suchen. Dafür haben wir Rechercheteams, die versuchen, ihnen weiterzuhelfen, sie an das Rote Kreuz vermitteln oder versuchen herauszu­finden, welche Schiffe gerettet wurden. Es ist also eine Mischung als Telefondienst und Dokumentation. Wenn die Küstenwachen nicht reagieren, versuchen wir, auf Twitter Öffentlichkeit herzustellen und Druck zu erzeugen.

Wie oft klingelt das Telefon in einer Schicht?

Wenn es heftige Schichten sind, dann haben wir parallel Anrufe von vier bis acht Booten. Es gibt Schichten, in denen wir durchgehend telefonieren, dann eben auch mit den Küstenwachen. Es kommt aber auch vor, dass man nur dokumentiert. Das hängt auch vom Wetter ab. Bei sehr schlechtem Wetter fahren weniger Boote raus.

Welche Telefonate sind Ihnen am eindrücklichsten in Erinnerung geblieben?

Das sind immer die Telefonate, wenn man im Hintergrund Kinder hört und klar ist: Die haben Todesangst. Damit umzugehen und am Telefon Kraft zu geben, ist schwer. Wir probieren, das als Schicht gemeinsam zu bewältigen.