Kolumne Bodycheck: Gegen die Affenpocken muss die schwule Community auch selbstverantwortlich handeln

Cam- statt Chem-Sex

In Berlin auf Events zu gehen, um im Dunkeln Sex mit Fremden zu haben, ist derzeit wegen des Ausbruchs der Affenpocken eine ganz schlechte Idee.
Bodycheck - Kolumne zu Biopolitik und Alltag Von

Seit Mai gibt es eine neue Seuche: Affenpocken, international mit MPX abgekürzt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat den Ausbruch am 23. Juli zu einer »gesundheitlichen Notlage internationaler Tragweite« erklärt. Das Infektionsrisiko bewertet sie weltweit als moderat, in Europa aber als hoch. Deutschland und insbesondere Berlin sind Hotspots – von 31665 Affenpockeninfektionen weltweit entfallen der WHO zufolge 18005 auf Europa. Hierzulande gibt es 3142 gemeldete Fälle, davon 1497 in Berlin; bislang haben sich 3130 Männer, elf Frauen und eine Person unbekannten Geschlechts angesteckt.

Das löst Assoziationen aus. Zum einen mit der fortdauernden Covid-19-Pandemie, die ebenfalls eine »gesundheitliche Notlage internationaler Tragweite« ist. Zum anderen mit dem HI-Virus und dem Umgang mit Aids-Kranken in den achtziger Jahren. Verschiedene Seuchen und Krankheiten miteinander zu vergleichen, kann sinnvoll sein, weil man manchmal mehr versteht. Wenn kurzschlüssige Analogien aber wichtige Unterschiede verdecken, kann es auch schaden.

Affenpocken sind nicht als sexuell übertragbare Krankheit klassifiziert, das Virus wird durch Kontakt übertragen. Soweit man bislang weiß, ist vor allem der Kontakt mit Körperflüssigkeiten und den für die Krankheit typischen Hautveränderungen ansteckend. Die allermeisten Infektionen erfolgen derzeit bei sexuellen Aktivitäten, insbesondere unter Männern. Daher die Erinnerung an die Aids-Krise und die Sorge, Vorurteile zu fördern und Betroffene zu stigmatisieren. Stigmatisierungen und Schuldzuschreibungen sind wie immer unangebracht – das Virus ist zufällig in der schwulen Community gelandet. Günstige Bedingungen zur Vermehrung fände es wohl auch in heterosexuellen Swingerclubs, bei Sumō-Ringern oder in Kindergärten.

Glücklicherweise gibt es eine Impfung, die sogar kurz nach einer Ansteckung noch wirkt. Allerdings gibt es nicht genug Impfstoff und die Produktion lässt sich nicht so schnell hochfahren. In Berlin wird erst seit dem 13.Juli gegen Affenpocken geimpft. Doch die bislang deutschlandweit gelieferten 45000 Dosen des Impfstoffs Imvanex sind bereits verbraucht.

Weitere 200000 Dosen sollen im September eintreffen. Nur reichen sie nicht mal, um die Risikogruppen zu immunisieren. Nach Schätzungen des RKI sollten 130000 Menschen geimpft werden. Die Stiko hat daher die Impfempfehlung so modifiziert, dass ­zunächst eine Impfdosis ausreicht. Die für eine andauernde Immunisierung nötige zweite Impfung soll erst erfolgen, wenn ausreichend Impfstoff vorhanden ist. Die Deutsche Aidshilfe geht sogar davon aus, dass eine Million Dosen benötigt würden.

Nun kann man natürlich fordern, dass die Bundesregierung mehr Impfstoff ankauft, dass der Patentschutz aufgehoben und die Produktion umgestellt wird. Doch es reicht nicht, nur zu schimpfen, dass es zu wenig Impfstoff gibt, wie es beispielsweise der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland tut. Dass der Affen­pockenausbruch nicht verebbt, liegt nicht nur an »der Politik« oder den Profitinteressen von »Big Pharma«, sondern auch daran, dass die Szene ihren eigenen Anteil nicht ernstzunehmen scheint.

Es führt kein Weg daran vorbei, auch das eigene Verhalten zu verändern. Viele ignorieren ohnehin die Gefahr, die von Covid-19 weiterhin ausgeht, und möchten endlich wieder »normal« leben und unbeschwert feiern gehen. Es ist mehr als verständlich, wenn die Leute im dritten Pandemiejahr und angesichts vielfältiger Krisen die Schnauze voll haben von Verzicht und auch vom Vernünftigsein. Auch ich würde gerne endlich wieder auf eine queere Playparty gehen.

Will man aber kein Teil des Problems sein, muss man leider ­anerkennen: In Berlin auf Events zu gehen, um im Dunkeln Sex mit Fremden zu haben, ist derzeit eine ganz schlechte Idee, für die ­eigene Gesundheit und die von anderen. Männer, die Sex mit Männern und vor allem mit häufig wechselnden Partnern haben, sind eben nicht nur Opfer einer neuen Seuche. Sie sind derzeit auch die hauptsächlichen Verbreiter in ihren eigenen Communities. Und darum auch die, an die man appellieren muss, sich selbst und andere zu schützen.

Das ginge mit einer Impfung. Aber auch damit, dass man ein paar Wochen die Füße stillhält, eher Cam- als Chem-Sex praktiziert oder die Zahl der Sexkontakte reduziert, deren Gesundheitsstatus man nicht einschätzen kann. Die US-amerikanische Gesundheitsbehörde CDC hat konkrete Hinweise veröffentlicht, wie man sein ­Risiko, sich mit Affenpocken anzustecken, reduzieren kann, ohne auf Sex zu verzichten: gemeinsames Masturbieren mit Abstand, virtueller Sex und das strikte Desinfizieren von Toys gehören dazu.

Zwar gibt es hierzulande in der Szene viele Diskussionen über die Affenpocken, sie drehen sich aber fast immer um den fehlenden Impfstoff. Derweil bleiben Darkrooms offen und stockdunkel, es gibt weiterhin jede Menge Werbung für Sexpartys in Berlin, bei keiner findet sich ein Hinweis auf einen vernünftigen Umgang mit dem Ausbruch.

Man kann die FDP und ihr ideologisches Gelaber von Selbstverantwortung als individualisierende Verschleierung von systemischen und herrschaftsförmigen Zusammenhängen ablehnen und verurteilen, Seuchenbekämpfung ist aber kein Wunschkonzert. Kapitalismuskritik sollte eigenverantwortliches Handeln nicht ersetzen, sondern ergänzen. Selbst wenn demnächst genug Impf­dosen zur Verfügung stünden, müssten sie verteilt werden, und die volle Schutzwirkung stellt sich erst nach zwei Wochen ein. Zumindest so lange müsste die Community ausreichend Selbstbeherrschung zeigen, um das Virus nicht weiterzuverbreiten.