Der Krieg im Kosovo war keiner

Wie ein Krieg herbeiphantasiert wurde

Am 31. Juli haben serbische Aufständische im Kosovo zwei Straßen mit Baumaschinen blockiert. Daraufhin wurden Desinformationen über einen unmittelbar drohenden Krieg auf dem Balkan gestreut.

Wer mit dem Auto und kosovarischen Papieren nach Serbien einreisen will, wird seit Jahren schikaniert. Weil Serbien den Kosovo nicht anerkennt und weiter als sein Staatsgebiet betrachtet, müssen Kosovo-Albaner ihr Kennzeichen wechseln und erhalten ein zusätzliches Reisedokument, das sie immer bei sich tragen müssen.

Im Februar 2021 gewann die linksnationalistische Partei Vetëvendosje die Parlamentswahlen im Kosovo und versprach, sich solche Demütigungen nicht mehr gefallen zu lassen. Die Politik des Ministerpräsidenten Albin Kurti folgt dem Prinzip »Wie du mir, so ich dir«: Wenn man Serbien schon nicht da­zu zwingen könne, den Kosovo anzuerkennen, dann sollten serbische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger im ­Kosovo so behandelt werden wie Kosovo-Albanerinnen und -Albaner in ­Serbien.

Die kosovarische Regierung hat eine Verordnung verabschiedet, der zufolge Personen mit serbischen Dokumenten sich zusätzlich eine Bescheinigung der kosovarischen Grenzpolizei ausstellen lassen müssen. Auch serbische Kfz-Kennzeichen sollten nicht mehr anerkannt werden. Das rief den Zorn ser­bischer Aufständischer im Norden des Kosovo auf den Plan. Sie blockierten am 31. Juli zwei Straßen zu Grenzübergängen mit Baumaschinen. Außerdem sollen maskierte Männer in die Luft geschossen haben, wobei niemand verletzt wurde.

Es gab wegen der Kennzeichen vor einigen Monaten bereits einen ähnlichen Konflikt, der nach dem gleichen Drehbuch verlief: Die Regierung im Kosovo versucht, ein Gesetz landesweit durchzusetzen, die vier serbisch dominierten Gemeinden im Norden verweigern die Gefolgschaft und werden von Serbien unterstützt, woraufhin serbische Aufständische eine öffentlichkeitswirksame Aktion beginnen. Im Norden des Kosovo leben noch rund 50 000 Kosovo-Serbinnen und -Serben, die die Bevölkerungsmehrheit auf rund zwölf Prozent der Fläche des Kosovo stellen. Über diese Region hat die kosovarische Regierung in Priština nur eingeschränkte Kontrolle. Die Umsetzung der Verordnung wurde nun zunächst ausgesetzt, die EU versucht zu vermitteln.

Solche Nachrichten aus dem Kosovo sorgen nur selten für internationales Aufsehen. Doch am Abend des 31. Juli war das anders, und das liegt am rus­sischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Auf Twitter trendeten unter #Kosovo und #Serbia Hunderttausende Beiträge, von denen viele Desinformationen über einen anstehenden oder bereits ausgebrochenen Krieg im Kosovo verbreiteten. Beliebt waren dabei zwei sich diametral gegenüberstehende Interpretationen.

Die erste geht so: Serbien ist der verlängerte Arm des russischen Präsidenten Wladimir Putin, und um Europa zu destabilisieren, lässt er Serbien nun im Kosovo einmarschieren. Prominent verbreitet wurde diese Version vom ukrainischen Parlamentsabgeordneten Oleksij Hontscharenko aus dem politischen Block des ehemaligen Präsidenten Petro Poroschenko. Dieser twitterte am 31. Juli um 19.43 Uhr: »Die Ukraine ist bereit, mit Bodentruppen einzugreifen. Serbien versucht, einen Angriffskrieg zu beginnen. Nach dem Vorbild Putins. Serbien ist Putins Trojanisches Pferd in Europa.« Der Tweet ist weiterhin online.

Hontscharenko verbreitete Panik, Fehlinformationen und eine etwas verkürzte Darstellung der serbischen ­Regierungspolitik. Es stimmt durchaus, dass die serbische Regierung sich um gute Beziehungen zu Russland bemüht und dafür derzeit mit günstigem Gas belohnt wird. Es stimmt auch, dass die serbische Regierung und ihre Medien Russen und Serben gern als »Brudervölker« darstellen und Putin wahrscheinlich der beliebteste Politiker in Serbien ist. Und es stimmt auch, dass in Belgrad tatsächlich Tausende Menschen für Putins Angriffskrieg demonstriert haben.

Aber all das bedeutet nicht, dass der serbische Präsident Aleksandar Vučić eine Marionette Putins ist. Vučić tut, was seinem Machterhalt dienlich ist, und ein serbischer Einmarsch in ein Land, in dem es eine Nato-Basis gibt und knapp 4 000 Angehörige von Armee und Polizei aus 40 Staaten stationiert sind, dient dem sicher nicht. Die serbische Armee ist gar nicht in der Lage, im Kosovo einmarschieren – selbst wenn sie es wollte.

In der zweiten Interpretation des angeblich gerade ausbrechenden Kriegs waren Serbien beziehungsweise Russland die Opfer. Der serbisch-bosnische Publizist Nebojša Malić, der auch regelmäßig für RT (früher Russia Today) arbeitet, twitterte, dass der Kosovo einen Kampf mit Serbien provoziere, und deutete an, das liege daran, dass es für den Westen in der Ukraine so gut laufe und er jetzt deswegen noch eine Front aufmache. Auch dieser Tweet ist weiterhin online.

Aus Serbien selbst machte vor allem ein Tweet des Abgeordneten Vladimir Đukanović die Runde, der dem rechten Rand der ohnehin rechten Regierungspartei SNS angehört. Er twitterte am 31. Juli: »Es scheint mir, als müsste Serbien mit der Denazifizierung des Balkan beginnen«, womit er auf Putins Rechtfertigung für den Angriff auf die Ukraine anspielte.

Der Tweet wurde international viel geteilt und wenig kontextualisiert. Oftmals wurde suggeriert, es handele sich um eine offizielle Regierungserklärung oder die Position der SNS. Manchmal wurde sogar behauptet, Đukanović sei Ministerpräsident Serbiens. Dabei spricht Đukanović weder für die Regierung noch für seine Partei. Es ist etwa so, als würde man in Deutschland Hans-Georg Maaßen zitieren und dann so tun, als sei das die offizielle Position der CDU.

Serbien wird derzeit sicher nicht im Kosovo einmarschieren – völlig unabhängig davon, was Publizisten oder Abgeordnete auf Twitter verbreiten. Entwarnung ist deswegen aber nicht geboten. Eine nationalistische Dauermobi­lisierung kann dazu führen, dass Aufständische sich dazu berufen fühlen, tätig zu werden und eine Gewalteskalation auszulösen, die sich dann nur noch schwierig kontrollieren lässt. Das ist eine reale Gefahr auf dem Balkan. Ein Krieg zwischen Armeen verschiedener Staaten ist es derzeit nicht.