Homophobie bleibt in Lettland ein Problem

Ein langer Weg

Trotz Verbesserungen sind die Lebensbedingungen von LGBTQI-Personen weiterhin unsicher. Für die Rechte sexueller Minderheiten wird in Lettland seit langem gekämpft.

Ein altes Fabrikgelände etwas außerhalb in Riga. Draußen wird selbstgebrautes Bier serviert, aus dem kleinen Club »1983« wummert der Bass. Man könnte sich in fast jeder beliebigen europäischen Großstadt befinden. Auch die Menschen, die ab ein Uhr im »1983« zu experimentellem Elektro tanzen, würden auf einer Party in Berlin kaum auffallen. Die Partyreihe heißt »Klik Klak«, Hauptact des Abends ist das italienisch-argentinische Duo Operant aus Berlin. Draußen vor der Tür hängt eine große Pride-Fahne, der Türsteher in Hotpants trägt eine äußerst knappe, polizeiartige Uniform mit der passenden Mütze dazu. Queere, großstädtische Normalität also.

Ein paar Tage später sitzt der zuvor spärlich bekleidete Pseudopolizist namens Maigurs Skangalis in einem kleinen Teehaus in einem ruhigen Park im Zentrum Rigas, jetzt in ziviler Kleidung gewissermaßen. Er sei noch in der So­wjetunion geboren, erzählt er. Damals sei das Thema Homosexualität einfach totgeschwiegen worden. Wer sich outete, habe damit rechnen müssen, in eine psychiatrische Klinik eingesperrt zu werden. Seitdem habe sich viel getan, meint Skangalis. Viele Jahre habe er seinen eigenen Gay-Club betrieben, bis sich das nicht mehr rentierte, auch weil so viele junge Menschen ausgewandert sind. Heute sei er noch bei Partys dabei, mache manchmal den Türsteher und trete als Drag Queen auf. Die lettische Gesellschaft sei konservativ, sagt Skangalis, aber es gehe langsam voran. Er beschwert sich sogar über die junge aktivistische Generation, die zu radikal auftrete und immer gleich alle canceln wolle. Auch in dem Sinne also queere, großstädtische Normalität, könnte man meinen.

Die erste Pride Parade in Riga fand 2005 statt. 70 Teilnehmer standen 3 000 Gegendemonstranten gegenüber.

Unstrittig ist, dass sich einiges verbessert hat. Die erste Pride Parade in Riga fand im Jahr 2005 statt, ein Jahr nach dem EU-Beitritt. Der Ministerpräsident Kalvītis sprach sich damals öffentlich dagegen aus. Riga solle »nicht für so etwas werben«, sagte er, es sei inakzeptabel, dass »sexuelle Minderheiten im Herzen von Riga« eine Parade aufführen. Die gerade einmal 70 Teilnehmer der Pride standen 3 000 Gegendemonstranten gegenüber, die sie mit Eiern und Tomaten bewarfen. Doch ans Aufgeben dachte niemand. Kurz darauf gründete sich die NGO Mozaīka, bis heute eine der wichtigsten Gruppen für LGBT-Rechte in Lettland, die seither jedes Jahr die Pride mitveranstaltet.

2006 fand im Rahmen der Pride ein ökumenischer Gottesdienst statt. Die Teilnehmer wurden mit Eiern und Exkrementen beworfen. Erneut waren die Gegendemonstranten in großer Überzahl, vor allem konservative Christen von der russisch-orthodoxen und der katholischen Kirche. Aber jedes Jahr ging man wieder auf die Straße. Und langsam, so erzählt Kristīne Garina, eine der Gründerinnen und heutige Vorstandsvorsitzende von Mozaīka, der Jungle World, habe sich das Zahlenverhältnis von Pride-Teilnehmern und Gegendemonstranten zu drehen begonnen. Inzwischen laufen meh­rere Tausend bei der Pride mit, der Gegenprotest ist deutlich kleiner. Irgendwann hätten die Kirchen aufgehört, zum Gegenprotest aufzurufen, so Garina. Heute seien es vor allem rechte Na­tionalisten, die demonstrierten, sowohl lettische Nationalisten wie auch Gruppen der russischsprachigen Minderheit – wohl das einzige Thema, bei dem diese Gruppen zusammenfinden.

Die NGO Mozaīka setzt sich für Rechte aller sexueller Minderheiten ein, kämpft gegen Stigmatisierung, für einen bessere Versorgung von HIV-Erkrankten und für das Recht von Trans-Personen auf medizinische Behandlung. Ihr wichtigstes Anliegen derzeit ist ein Gesetz für die gleichgeschlecht­liche Partnerschaft. Ein Entwurf liegt derzeit dem Parlament vor. Es könnte bald verabschiedet werden, sagt Garina, aber dass es eine Mehrheit findet, sei nicht garantiert.

Für das Gesetz wird schon lange gekämpft. 2014 schrieb der Außenminister Edgars Rinkēvičs auf Twitter, er werde für die gleichgeschlechtliche Partnerschaft kämpfen, und verkündete dann in einem weiteren Tweet: »Mit Stolz erkläre ich, dass ich schwul bin.« Rinkēvičs ist noch immer Außenminister. Garina zufolge sei er ein »großar­tiger Verbündeter«, der sich aber wohl wegen seines Amtes nicht oft zu dem Thema äußere. Er sei immer noch einer der beliebtesten Politiker Lettlands.

Zu den ersten offen schwulen Poli­tiker zählt auch Roberts Putnis, von 2017 bis 2019 Vorsitzender der damals neu gegründeten linken Partei Progresīvie. Vergangenes Jahr wurde er jedoch aus der Partei ausgeschlossen. Ihm wurde vorgeworfen, er würde »den Ruf der Partei untergraben, diffamieren und versuchen, der Zukunft der Partei zu schaden«. Mittlerweile lebt Putnis in Berlin. In perfektem Deutsch erzählt er der Jungle World seine Sicht auf die ­damaligen Geschehnisse. Anlass für seinen Ausschluss sei ein Interview ge­wesen, das er der Website pride.lv gegeben hatte. Darin kritisierte er die damalige Parteiführung unter anderem wegen des miserablen Wahlergebnisses bei der Europawahl 2019. Auf die Frage, ob Progresīvie weiterhin eine Stimme für LGBT-Rechte sei, antwortete Putnis, er wolle darauf nicht antworten – unter anderem, weil er der Partei nicht schaden wolle. Seine Homosexualität sei ein Grund für seinen Rücktritt aus dem Parteivorstand gewesen. »Sagen wir es so – die Mitglieder von Progresīvie spiegeln die lettische Gesellschaft wider«, fuhr er in dem damaligen Interview fort. Und die sei eben homophob, sagt er ein Jahr später der Jungle World. Dass man ihn jedoch tatsächlich aus der Partei werfen werde, habe er bis zuletzt nicht glauben können. Bei Progresīvie gehe es heute nicht mehr um linke Inhalte, sondern nur noch um Seilschaften, wie in den meisten lettischen Parteien, klagt ­Putnis.

Mit Homophobie kennt Putnis sich aus. Als schwuler Politiker in der Öffentlichkeit zu stehen, »war die Hölle«, sagt er. Die ersten Morddrohungen habe er schon vor Beginn seiner Tätigkeit bei Progresīvie erhalten. Ab 2015 hat er zwei Jahre lang die Abteilung Medienpolitik des Kulturministeriums ­geleitet. 2016 war er in der Funktion auf einer Konferenz der Unesco gewesen, wo er nach der russischen Außenpolitik gefragt wurde. Er nahm kein Blatt vor den Mund und kritisierte »die faschistische und nationalistische Ideologie, die aus Russland kommt«. Anschließend berichteten russischspra­chige Medien nicht nur von ­seinen Aussagen, sondern auch, dass er mit einem Mann zusammenlebte. Von da an sei er eine Hassfigur von Nationalisten, Schwulenhassern und Kremlanhängern geworden. Bis heute werde er in Lettland auf der Straße häufig erkannt und homophob beschimpft.