Packungen mit Beuteltee sind ein attraktives Wohnaccessoire

Glut der Drachen

Warum moderne Menschen Tee horten
Perfekten Genuss erleben Von

Es gibt schon genug Witze über die zahllosen Teesorten, die uns die Giganten der Heizkräuterindustrie in die Tassen pressen. Von »Glücks­gefühle« über »Stille Momente« bis hin zum »Zirkel der Magier« reicht die Palette der immergleichen Infusionsgetränke. Es reicht offenbar nicht mehr, sich nur Hagebutten oder Pfefferminz aufzubrühen; es muss stets ein ganzes Lebensgefühl mit durchsimmern.

Vielleicht aber ist diese künstlich vermehrte Sortenvielfalt auch ein Grund für ein Phänomen, das ich im Freundeskreis erlebe: Zu großen Haufen, ja ganzen Regalmetern stapeln sich Teepackungen, die offenbar niemals geöffnet werden, geschweige denn, dass der Tee aufgebrüht und getrunken wird. Eine Freundin hat es in diesem Jahr geschafft, die letzten Freiflächen an der Küchenwand mit Tee-Ziegeln vollzustellen. Begründen konnte sie ihr Verhalten nicht, es erschien ihr wahrscheinlich irgendwie notwendig, ja zwangsläufig. In einem freien Moment studierte ich den Inhalt – fast jede Packung war noch zu neun Zehnteln gefüllt. Direkt nach dem Kauf waren wohl ein, zwei Tassen aufgebrüht worden, danach war der Sud auch schon wieder vergessen. Eine neue Packung wurde gekauft, der alte Tee dekorativ eingelagert, und das Spiel begann von vorne.

Für Tee wurden einst ganze Armadas um die Welt geschickt, ein flüch­tiges Zitat dieser westlichen Besessenheit weht noch immer durch unsere Wohnküchen, wo die spottbilligen Wegwerfbeutel bis in alle Ewigkeit aufbewahrt werden, als handele es sich um seltene Vanilleschoten von den Galapagosinseln. Jeder Haushalt ein kleines Kontor, jede Küche ein dekonstruierter Kolonialwarenladen, wo der blutige Glanz des Imperialismus noch als »Glücksmoment« weiterlebt. Nun zerfallen die nahezu identisch schmeckenden Fruchtteemischungen unter 1 000 Labels in den Küchen zu Staub oder modern durch die Jahre, denn natürlich wird Tee niemals weggeschmissen, so wie Gewürze oder Plastiktüten – »für irgendwann«, für einen steinernen Gast, der sich eines Nachts gruselig am Küchentisch einstellt und darauf besteht, sofort eine Tasse »Glut der Drachen« serviert zu bekommen. Immerhin: Wir sind vorbereitet.


An dieser Stelle schreibt Leo ­Fischer über seine persönlichen Erfahrungen in der Welt des ­Konsums. Seine Erlebnisse und  Meinungsäußerungen erheben keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit.