29.09.2022
Die Impfkampagne gegen die ­Affenpocken kommt nur langsam voran

Ewig grüßt der Impfstoffmangel

Die Impfungen gegen die Affenpocken laufen nur schleppend und recht chaotisch an. Die Erfahrungen aus der Covid-19-Pandemie scheinen vergessen.

Die Vergabe von Impfterminen gegen die Affenpocken gleicht in Deutschland derzeit einem Glücksspiel. Insbeson­dere aus Berlin mehren sich Berichte über lange Wartezeiten und Termin­vergaben nach dem Zufallsprinzip, weil es an Impfstoff mangelt. Vielfach scheitert der Wunsch nach einer Impfung schon an geschlossenen Warte­listen. Doch auch wer einen Wartelistenplatz ergattert hat, muss anschließend oft wochenlang auf einen Termin warten. Dabei ist Berlin mit rund 1 600 ­registrierten Infektionen von Mai bis September der Hotspot hierzulande. In anderen Bundesländern sieht es bei den Impfungen ähnlich schlecht aus. So erklärte der Leiter des Gesundheitsamts Bremen, Jörn Moock, Mitte September in einem Interview mit Radio Bremen, dass zu diesem Zeitpunkt 800 Impfdosen zur Verfügung gestanden hätten – »ein Tropfen auf den heißen Stein«, wie er ergänzte.

Im dritten Jahr nach dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie verwundert es sehr, dass bei einer neuerlichen »gesundheitlichen Notlage mit internationaler Tragweite« (WHO) wie den Affenpocken offenbar wenig aus der vorangegangenen gelernt wurde. Wieder verläuft die Impfkampagne schleppend, wieder fehlt Impfstoff und wieder sind vulnerable Gruppen die Leidtragenden; in diesem Fall vor allem schwule und bisexuelle Männer mit wechselnden Sexualpartnern. Die Impfung würde vor der Erkrankung schützen – wenn sie denn in ausreichendem Maß verfügbar wäre beziehungsweise die Impfdosen zumindest proportional zur Zahl bekannter Fälle in bestimmten Regionen verteilt würden. Obwohl bundesweit mehr als die Hälfte der Fälle bislang in Berlin auftraten, erhielt das Bundesland gerade einmal ein Viertel des ohnehin in zu geringen Mengen gelieferten Impfstoffs. Bereits im Mai hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) 240 000 Impfdosen bestellt. Davon wurden aber zunächst nur 40 000 geliefert. Ende August wurden dann weitere 19 500 Dosen auf die Bundesländer verteilt. Allerdings ist bislang völlig unklar, nach welchem Schlüssel das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) den Impfstoff verteilt hat.

Wieder verläuft eine Impfkampagne schleppend und wieder sind vulne­rable Gruppen die Leidtragenden; in diesem Fall vor allem schwule und bisexuelle Männer mit wechselnden Sexualpartnern.

»Die Reihenfolge der Belieferung erfolgt unter Berücksichtigung der jeweiligen Fallzahlen in den Ländern. Besonders betroffene Länder werden prioritär ­beliefert«, teilte das BMG schmallippig mit, ohne konkret zu werden. Auch auf eine schriftliche Anfrage der Bundestagsabgeordneten Kathrin Vogler (Linkspartei), wie denn der Ver­tei­lungs­schlüssel und die Zusammenarbeit mit den für die genannte Zielgruppe besonders qualifizierten Organisationen (wie etwa der Deutschen Aidshilfe) aussähe, antwortete die Bundesregierung nur sehr ausweichend. Der Bund habe »entsprechend der Annahmefähigkeit der Länder« mit ersten Lieferungen begonnen. Diese erfolgten nach dem »Anteil der Infektionen im jeweiligen Bundesland in unterschiedlicher Gewichtung«.

Auf die Frage nach der Zusammenarbeit mit qualifizierten Organisationen wurde erst gar nicht eingegangen. Beispielsweise die Deutsche Aidshilfe hatte bereits früh die aufs Bundesgebiet beschränkte deutsche Impfkampagne kritisiert. »Man darf diese Erkrankung und ihre Bekämpfung nicht nur in den nationalen Schranken denken. Es gibt europaweit und darüber hinaus einen sehr aktiven – auch sexuellen – Austausch in der schwulen Community, so dass eine Impfkampagne alleine schon deshalb international gedacht werden muss«, sagt der Epidemiologe Axel Jeremias Schmidt, Fachreferent für Medizin und Gesundheitspolitik der Deutschen Aidshilfe, im Gespräch mit der Jungle World. »Es nützt nichts, wenn die Zahlen in Berlin deutlich gesenkt werden, aber gleichzeitig in Madrid und Bar­celona die Epidemie weiter tobt.« Die Staaten hätten jedoch, ähnlich wie bei der Covid-19-Pandemie, nur in nationalen Kategorien gedacht und schnell für ihr ­eigenes Land Impfstoffe bestellt.

Auch diese Bestellungen erfolgten ähnlich wie in der Covid-19-Pandemie: Während die Anschaffung eines Me­dikaments oder Impfstoffs in Deutschland grundsätzlich erst durch den Gemeinsamen Bundesausschuss – einem Gremium bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Gesetzlichen Krankenkassen – genehmigt werden muss und dann ein Preis festgelegt wird, wurde dieser Schritt auch im Fall der Affenpocken wieder ausgelassen. Stattdessen verhandeln erneut Staaten direkt mit Pharmaunternehmen. Das hat zwar den Vorteil, dass man schneller reagieren kann, der Prozess ist dadurch jedoch der Kontrolle durch die Institutionen des Gesundheitswesens beinahe vollkommen entzogen.

Im September sollen die fehlenden 180 000 Impfdosen endlich geliefert werden. Doch mittlerweile hält die Deutsche Aidshilfe diese Menge nicht mehr für ausreichend. »Die Ständige Impfkommission (Stiko) hat plötzlich eine Zahl von 130 000 gefährdeten Männern in den Raum gestellt. Die Politik scheint auf dieser Grundlage die Zahl der bestellten Impfdosen für ausreichend zu halten. Wir gehen aber von weitaus mehr gefährdeten Personen aus und haben deshalb als Reaktion darauf eine Million Impfdosen gefordert, für 500 000 schwule Männer in Deutschland mit wechselnden Sexualpartnern«, so Schmidt. »Letztlich brauchen wir vor allem eine langfristige Strategie, wie wir in Zukunft mit dem Affenpockenvirus umgehen wollen. Dieses Virus ist gekommen, um zu bleiben. Genau wie bei der Impfung gegen Hepatitis A, die allen schwulen Männern empfohlen wird, um zukünftige Ausbrüche zu verhindern, muss auch der Impfstoff gegen Affenpocken nachhaltig über die Apotheken verfügbar sein, damit jeder schwule Mann über die hausärztliche Versorgung eine Impfung erhalten kann.«

Angesichts der Impfstoffknappheit böte sich eine pragmatische Lösung an: Spritzt man den vorhandenen Impfstoff nämlich nicht in den Muskel, sondern in die Haut, würde, bei nur geringfügig größeren lokalen Nebenwirkungen, ein Fünftel der Dosis für eine vergleichbare Immunisierung ausreichen. Damit würde die Menge der bestellten Impfdosen vom Wirkstoffquantum her auch den Forderungen der Deutschen Aidshilfe entsprechen. Seit August empfehlen sowohl die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA als auch die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) diese intradermale Impfung. In Deutschland empfiehlt das Robert-Koch-Institut derzeit aber noch die weniger effiziente subkutane Verabreichung. Auch die Affenpocken werden wohl das Ihre zum Herbst der vielen Krisen beitragen.