Hinter den Protesten sieht das Regime die zionistische Weltverschwörung am Werk

Von Kurden und Zionisten

Das iranische Regime sieht hinter den Protesten die zionistische Weltverschwörung am Werk. Der Antisemitismus dient in der Islamischen Republik seit jeher zur Erklärung von Krisen.
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Verfolgt man die Berichterstattung im Iran über die Proteste, wird eines schnell klar: Nichts hat mit nichts zu tun und das Regime hat sowieso keine Schuld an etwas, was so ja gar nicht passiert ist. Regimenahe Medien, wie die Nachrichtenagentur Tasnim News und der Fernsehsender Press TV, folgen einer Strategie, die seit jeher der Ideologie des klerikalfaschistischen Mullah-Regimes inhärent ist. Die Pro­bleme werden externalisiert, zu einer Bedrohung von außen umgelogen. Die in Gewahrsam der Religionspolizei verstorbene Jina Masha Amini sei von kurdischen Separatisten außerhalb des Landes trainiert worden. So will das Regime die Angriffe auf zivile Einrichtungen der iranisch-kurdischen Oppositionsparteien, der Kurdischen Demokratischen Partei-Iran (KDP-I) und der Komala, rechtfertigen. Beide gelten den Mullahs ohnehin bereits als Terroristen und aus dem Ausland gesteuerte Feinde der Islamischen Revolution. Die Angriffe werden hier als Vergeltungsschlag dafür dargestellt, dass die beiden Parteien Truppen und Waffen aus dem Ausland herangeschafft hätten, um »Chaos zu stiften«.

Von wem wiederum KDP-I und Komala gesteuert werden, weiß das iranische Informationsministerium etwas genauer zu benennen. In seiner jüngsten Erklärung zu den Vorfällen im Land ist die Rede von »Agenten ausländischer Spionageagenturen«. So habe es in den vergangenen Monaten »Trainings in Subversion« gegeben, bei ­denen »das zionistische Regime« und »einige westliche Spionagedienste« den Unruhestiftern beigebracht hätten, durch zivilen Ungehorsam »das heilige System der Islamischen Repu­blik« zu bekämpfen.

Wer es ganz genau wissen will, lese die Tweets von Irans Oberstem Führer Ali Khamenei, der preisgibt, dass die jüngsten Unruhen im Iran von »den USA, dem usurpierenden, falschen zionistischen Regime, ihren Söldnern und einigen verräterischen Iranern im Ausland« geplant wurden. Und irgendwie haben auch die westlichen Medien Schuld, die im Iran ja sowieso nur die »Hölle auf Erden« sähen und nicht an der Wahrheit interessiert seien. Aber das wusste Press TV schon vor Khameneis Tweets.

Diese Strategie der Externalisierung des Problems war zuletzt bei der Reaktion auf die Covid-19-Pandemie zu beobachten. In seiner Rede zum Neujahrsfest 2020 sagte Khamenei: »Es gibt Feinde in Form von Jinn (Dämonen, Anm. d. Red.) und es gibt Feinde, die Menschen sind, und beide helfen sich gegenseitig. Die Geheimdienste vieler Staaten arbeiten zusammen, um uns zu schaden.« Dem voraus gingen Vertuschungen, Bedrohungen und die rasche Verbreitung des Coronavirus. Damals wie heute zielt das Phantasma der Verschwörung von außen, die auch eine Kooperation von Juden und Dämonen unterstellt, auf die Konstruktion nationaler Einheit. Die Nation soll dabei als eine organische und harmonische erscheinen – eine Ideologie also, die auf der Vorstellung einer heilen Gemeinschaft basiert. Jegliche Unstimmigkeiten werden auf einen äußeren Feind zurückgeführt, gegen den es sich zu wehren gilt.

Dieser Verschwörungsmythos hat seinen Ursprung bereits in der Entstehung der Islamischen Republik. Vor der Revolution von 1979 hatte die Geistlichkeit nahezu keinen Einfluss auf die Politik. Im Schiismus gilt jegliche weltliche Herrschaft bis zur Rückkehr des zwölften Imam als illegitim. Erst Ruhollah Khomeine, Khameneis Vorgänger, verordnete dem Klerus politische Aktivität, deren Notwendigkeit er mit der Bedrohung des Islam durch den imperialistischen Westen begründete.

Dass die Bedrohung in letzter Instanz im »zionistischen Regime« verortet wird, ist umso wichtiger. Die vermeintliche Aggression »der Zionisten« gegen den muslimischen Iran impliziert, dass man sich in einer Notwehrsituation befinde. So fanden sich in Aussagen Khomeinis immer wieder Behauptungen einer langen historischen Feindschaft zwischen Juden und Muslimen. Die Juden würden demnach immer schon Verschwörungen gegen den Islam planen und versuchen, die heilige, organische Gemeinschaft zu unterwandern und zu zersetzen. Die Juden in Form des zionistischen Regimes treten hier als Strippenzieher und als Weltverschwörer auf, die Medien und Politik kontrollieren.

Das Verschwörungsmotiv und die Externalisierung der eigenen Probleme waren von Beginn an antisemitisch strukturiert. Beides wird mit besonderer Aggressivität vorgetragen, wenn die Machthaber sich mal wieder von Krisen bedroht sehen. Als was kann das Regime die derzeitigen Proteste sonst verstehen, wenn nicht als Krise? Immerhin wird auf den Straßen nicht nach Reformen gerufen, sondern nach dem »Tod der Islamischen Republik«.