Die Suche nach Verantwortlichen für das Fischsterben in der Oder

Die Grenze der Aufklärung

Zwei Untersuchungen des Fischsterbens in der Oder kommen zu übereinstimmenden Ergebnissen. Ungeklärt ist jedoch weiter, wer verantwortlich ist.

Es war ein Desaster, das dauerhafte Schäden hinterließ. Über zwei Monate sind vergangen, seit es in der Oder zu einem ebenso massenhaften wie unerwarteten Fischsterben kam. Ende September veröffentlichte Untersuchungen des Umweltbundesamts haben mittlerweile bestätigt, was bereits früh vermutet worden war: Das Fischsterben wurde von einer Algenblüte ausgelöst, zu der es nur kommen konnte, weil der Salzgehalt des Flusses stark erhöht war.

Die Alge Prymnesium parvum tötete in der Oder tonnenweise Fische, aber auch Muscheln und Schnecken.

Die Alge Prymnesium parvum hatte von Ende Juli bis Anfang August tonnenweise Fische, aber auch andere Organismen wie Muscheln und Schnecken getötet. Es handelt sich um eine Brackwasseralge, die in gesunden Fließgewässern eigentlich nicht vorkommen sollte und toxische Moleküle produziert, die die Schleimhäute von ­Fischen, Weichtieren und Amphibien angreifen. Erst durch die Einleitung großer Mengen von Salzen hatte sie sich derart vermehren und zu einer Gefahr werden können. Wann, wo und von wem diese Salze in die Oder ein­geleitet wurden, ist nach wie vor ungeklärt.

Ebenfalls Ende September, einen Tag vor der Veröffentlichung der deutschen Untersuchung, war bereits auf polnischer Seite eine Studie vorgelegt worden, an der 14 Forschungsinstitute beteiligt waren und die im Wesentlichen zu demselben Ergebnis gekommen war. Agnieszka Kolada vom ­Institut für Umweltschutz in Warschau nannte bei deren Präsentation neben den Salzeinleitungen noch zwei weitere Ursachen: den niedrigen Pegelstand der Oder und die mit 27 Grad Celsius deutlich zu hohe Wassertemperatur; beides wurde durch den heißen Sommer und zwei Monate fast ohne Regen verursacht.

Für die Studie waren 221 Wasserproben entnommen worden. In 172 davon konnte man die Alge Prymnesium parvum nachweisen. Die Frage nach der direkten Ursache des Fischsterbens scheint damit hinreichend geklärt. Doch die polnische Studie lässt dieselben Fragen offen wie die deutsche. »Es gibt immer noch mehr Fragen als Antworten«, kommentierte Krzysztof Smolnicki von der Gruppe Czas na Odrę (Zeit für die Oder) den Bericht gegenüber der Tageszeitung Gazeta ­Wyborcza. »Die Regierung sucht nicht nach den Verantwortlichen für die ­Situation.«

Die Liste möglicher Verursacher der Einleitungen ist lang. Besonders häufig genannt werden der Papierhersteller Jack-Pol aus Oława südöstlich von Wroc­ław und der Bergbaukonzern KGHM Polska Miedź mit Sitz in Lubin. Auf Letzteren deuten auch Untersuchungen der Umweltschutzorganisation Greenpeace hin. Diese hatte eigenständig 17 Wasser- und Bodenproben entlang der Oder entnommen und dabei ebenfalls erhöhte Salzwerte, aber auch hohe Schwermetallwerte festgestellt. Die höchsten Salzwerte, so Greenpeace, habe man in Gmina Polkowice bei Lubin nahe dem Absetzbecken Żelazny Most gefunden, das KGHM ge­höre. Dort sei ein Salzgehalt gemessen worden, der dem 40fachen des empfohlenen Werts für Süßwasser entspreche.

Bei dem offiziell irreführenderweise als See bezeichneten Absetzbecken Żelazny Most handelt es sich um das größte seiner Art in Europa. Es wurde 1977 in Betrieb genommen und umfasst knapp 14 Quadratkilometer bei einem Fassungsvermögen von 850 Millionen Kubikmetern. In Żelazny Most wird giftiger Abfall gelagert, der bei dem Abbau von Kupfer in drei nahegelegenen Minen entsteht. Das Becken ist ein wichtiger Bestandteil der integrierten Kupferproduktion in der Region, zu der auch die ebenfalls von KGHM betriebene Kupferhütten in Legnica und Głogów gehören.

KGHM ist auch in den USA, Kanada und Chile tätig und baut neben Kupfer auch bedeutende Mengen an Silber, Gold und Molybdän ab. Mit einem Börsenwert von rund vier Milliarden Euro und einem Umsatz von knapp fünf Milliarden Euro ist der Konzern der siebtgrößte Polens und damit ein wichtiger Akteur in der Ökonomie des Landes. Dass die Politik sich mit allzu offener Kritik in Richtung KGHM eher zurückhält, ist naheliegend.

Deutschland und Polen blicken sehr unterschiedlich auf die Oder. Von Deutschland aus betrachtet ist sie vor allem ein Grenzfluss und damit Peripherie. Auf polnischer Seite ist ihre Bedeutung deutlich größer. Drei Viertel der knapp 40 Nebenflüsse des Stroms fließen durch Polen, sein Einzugsgebiet reicht im Südosten bis Gliwice und im Osten bis Łódź und umfasst somit die Standorte bedeutender Teile der polnischen Schwerindustrie.

Wenn nun also beide Seiten davon sprechen, dass eine dem Fischsterben vergleichbare Katastrophe sich nicht wiederholen dürfe und es Maßnahmen zum Schutz der Oder brauche, dann spricht man auf deutscher Seite über den Schutz einer vor allem touristisch wichtigen Region. Auf polnischer Seite geht es hingegen um existentielle wirtschaftliche Interessen. Daher sagen beide Seiten vielleicht das Gleiche, aber sie meinen damit unterschiedliche Dinge.

Was getan werden muss, ist im Grunde klar. Die Umweltschutzorganisationen World Wildlife Fund (WWF) forderte unlängst weitreichende Schritte zur Revitalisierung und Renaturierung der Oder und wird darin auch von den ­Forschungsergebnissen der jüngsten Untersuchungen bestätigt. Auch unabhängig von der Katastrophe im Sommer lasse der Zustand des Flusses sehr zu wünschen übrig, so Agnieszka Kolada bei der Vorstellung des polnischen ­Untersuchungsberichts. Doch ob diese Wünsche politisch gewichtiger sind als jene der polnischen Schwerindus­trie, das ist eine ganz andere und am Ende wahrscheinlich weitaus entscheidendere Frage.