Die Finanzpläne der neuen britischen Premierministerin Elizabeth Truss erbosen die eigene Partei

Fehlstart mit Ansage

Die Finanzpläne der neuen Premierministerin Großbritanniens, Eliza­beth Truss, führen zu Turbulenzen an den Finanzmärkten und Streit innerhalb ihrer Konservativen Partei. Sie kommen vorwiegend den Aller­­reichsten zugute und treiben gleichzeitig die Staatsverschuldung in die Höhe.

Der erste Parteitag als neue Vorsitzende der Konservativen Partei und neue britische Premierministerin sollte Eliza­beth »Liz« Truss eigentlich ein leichter Gang werden. Schließlich war sie gerade erst einen Monat zuvor mit deutlicher Mehrheit von den Parteimitgliedern ins Amt gewählt worden. Doch Truss und ihre Minister erlebten ein Desaster, statt von Aufbruchstimmung nach den letzten lähmenden Monaten, die von den Skandalen um Truss’ Vorgänger Boris Johnson geprägt waren, brachte der Parteitag Chaos und Streit.

Begonnen hatte alles mit dem Mitte September verkündeten »fiskalischen Event«, das als »Minibudget«, also als eine Art Zwischenhaushalt, vom neuen Finanzminister Kwasi Kwarteng vorgestellt wurde. Die Regierung wollte mit dem größten Steuersenkungsprogramm seit einem halben Jahrhundert zum ­einen die Verbraucher bei den ­hohen Ener­gie­preise weiter entlasten, zum anderen der Wirtschaft einen »Stimulus« verpassen, wie es Kwarteng ausdrückte.

Die Kombination aus Mehrausgaben und Steuerkürzungen jeweils in Milliardenhöhe ging zu weit.

Viele Maßnahmen waren bereits vor der offiziellen Bekanntgabe angekündigt worden: Die Energiepreise in Großbritannien werden für Haushalte und Unternehmen gedeckelt, so dass ein durchschnittlicher britischer Haushalt für die nächsten zwei Jahre jährlich nur circa 2 500 Pfund im Jahr für Heizung und Heißwasser zahlen soll, wogegen Truss sich anfangs gewehrt hatte. Die erst im April von der alten Regierung eingeführte Erhöhung der Sozialversicherungsabgaben um 1,25 Prozentpunkte, gedacht, um der unterfinanzierten Altenpflege Mittel zukommen zu lassen, nahm Kwarteng wieder zurück. Auch die Senkung des Basissteuersatzes um einen Prozentpunkt auf 19 Prozent sowie die Rücknahme einer vom vormaligen Finanzminister Rishi Sunak geplanten Erhöhung der Körperschaftssteuer, die Gesellschafter von Unternehmen in Großbritannien zahlen, von derzeit 19 auf 25 Prozent waren zuvor bereits angekündigt worden.

Nicht erwartet hatte die britische Öffentlichkeit indes zwei weitere Maßnahmen, von der insbesondere Reiche profitierten. Zum einen sollte der Spitzensteuersatz von 45 Prozent für Einkommen über 150 000 Pfund, zum anderen die infolge der Finanzkrise 2008 eingeführte gesetzliche Obergrenze für Banker-Boni gestrichen werden.

or allem diese beiden Maßnahmen erwiesen sich als überaus unbeliebt in der britischen Öffentlichkeit. Truss und Kwarteng schienen sich zunächst nicht um die Kritik zu kümmern, Truss sagte gar, ihr liege nicht daran, populär zu sein, sie wolle das Richtige tun. Doch das Vertrauen von Finanzmärkten und Anlegern fehlte, zu sehr fürchteten sie eine zu hohe Staatsverschuldung und eine rasante Abwertung des Pfunds, weil Kwarteng und Truss nicht sagten, wie sie diese Geschenke finanzieren wollten. Infolge des angekündigten Minibudgets fiel zunächst der Wert des Pfunds an den internationalen Geldhandelsplätzen. Gleichzeit stiegen die Zinsen für britische Staatsanleihen rasant an und übertrafen zeitweise sogar die von Italien.

Das hatte direkte Effekte auf die Pensionskassen, die oft über viele Staatsanleihen verfügen. Deren Wertverlust gefährdete die Zahlungsfähigkeit der Kassen. Die Bank of England intervenierte und garantierte einen Ankauf von Staatsanleihen im Wert von 65 Milliarden Pfund, was die Märkte stabi­lisierte.

Als weitere Reaktion auf Truss’ Minibudget nahmen britische Banken ihre Hypothekenangebote vom Markt und erhöhten die Zinskosten für ihre verbliebenen Produkte in Erwartung einer deutlichen Leitzinserhöhung durch die Bank of England. Innerhalb einiger Tage stiegen die Kosten zur Finanzierung von Immobilien von vier auf sechs Prozent per annum und lagen damit bis zu viermal so hoch wie noch vor einem Jahr.

Dass ausgerechnet die Finanzmärkte so allergisch auf das Minibudget reagierten, hat auch mit dessen Präsentation zu tun. Normalerweise werden britische Staatshaushalte zusammen mit einer Stellungnahme der Finanzaufsichtsbehörde Office for Budget Responsibility (OBR) veröffentlicht. Das OBR ist unabhängig von der Regierung, es wurde 2010 vom damaligen konservativen Finanzminister George Osborne gegründet, um die Fiskalpolitik der Regierung zu evaluieren. Kwarteng und Truss hatten ihrem ersten Haushalt den Namen »fiskalisches Event« gegeben, um zu rechtfertigen, dass sie den bereits vorliegenden Report des OBR zu ihren Plänen nicht veröffentlichen würden. Die Kombination aus Mehrausgaben und Steuerkürzungen jeweils in Milliardenhöhe, fehlenden Plänen für Einsparungen und das Unterverschlusshalten des OBR-Reports ging den Anlegern offensichtlich zu weit.

Die Turbulenzen an den Märkten sind für die Tories politisch verheerend. Viele Hausbesitzer, die als klassische Klientel der Konservativen gelten, müssen nun deutlich mehr für ihre Hypothekenzinsen bezahlen. Einen Wertverfall des Pfunds fürchten gerade Wähler der Konservativen. Zu Beginn des Parteitags sahen Meinungsumfragen die Tories denn auch nur bei 20 Prozent – die konkurrierende sozialdemokratische Labour-Partei hingegen bei fast 50 Prozent. So ein großer Abstand zwischen beiden Parteien bei einer seriösen Umfrage gilt als Novum. Truss’ persönliche Beliebtheitswerte sanken unter die von Boris Johnson kurz vor dessen Rücktritt.

Entsprechend schlecht war die Stimmung unter den Delegierten beim Parteitag. Sie forderten Änderungen des Programms, was sowohl Truss als auch Kwarteng die ganze Woche lang abgelehnt hatten. Besonders die geplante Senkung des Spitzensteuersatzes, fiskalisch vergleichsweise unbedeutend, war vielen ein Dorn im Auge. Vor den Delegierten forderten prominente Tories wie Michael Gove eine Kehrtwende. Gove war unter Boris Johnson Minister für Wohnungsbau, hatte Liz Truss im Wettbewerb um dessen Nachfolge nicht unterstützt und daher seinen Posten im Kabinett verloren. Andere Abgeordnete schlossen sich ihm an. Bald wurde deutlich, dass eine Mehrheit der Frak­tion den alten Spitzensteuersatz wiederhaben wollte. Noch während der Konferenz mussten Truss und Kwarteng einlenken.

Auf diese erzwungene Richtungsänderung folgten weitere. Kwarteng hatte geplant, Ende November einen kompletten Haushaltsplan mit OBR-Analyse zu veröffentlichen; während des Parteitags musste er die Veröffentlichung schon für Ende Oktober versprechen. Umstritten ist auch der sogenannte Universal Credit. Durch diese Art allgemeiner Sozialhilfe bekommen 4,5 Millionen Briten Arbeitslosengeld, aber auch Beihilfen zur Aufstockung niedriger Gehälter. Die Regierung ließ anklingen, dass die Höhe der Auszahlungen sich dieses aJahrJahr nicht an der Inflationsentwicklung orientieren solle, sondern an der der Löhne. Das wäre die Abkehr von einem Versprechen der Regierung Johnson; die Staatskasse würde circa fünf Milliarden Pfund an den Ärmsten sparen, um damit Steuersenkungen gegenzufinanzieren.

Dagegen regte sich schon beim Parteitag derartiger Widerstand, dass die neue Regierung die Maßnahme wohl kaum durchsetzen kann. Die gegenwärtigen Abgeordneten der Tories wurden für Johnsons sozialpolitisch gemäßigtes Programm gewählt – nicht zuletzt in den ärmeren Wahlkreisen im Norden –, Truss hingegen steht für knallharten Neoliberalismus. Weitere Konflikte zeichnen sich ab. Die Kräfte um Kwarteng wollen die Immigration liberalisieren, da sie ihnen als Schlüssel zu mehr Wachstum gilt, die meisten Tories ­mögen die Grenzen lieber dicht. Im Umweltbereich und beim Landschaftsschutz sollen Regularien aufgeweicht werden, um Wachstum auch im Wohnungsbau voranzutreiben, doch viele Konservative wehren sich gegen solche Projekte.

Auch zur EU will die neue Regierung offenbar ein besseres Verhältnis bekommen. Das geht nur über eine Einigung im Streit über das Nordirland-Protokoll, bei dem es um Grenze zwischen Nordirland und dem EU-Staat ­Irland geht. Die Kompromisse, die hier nötig sein werden, könnten »Brexit«-Hardliner gegen die Regierung aufbringen. Nach dem Parteitag wird keiner dieser Widersprüche leicht zu lösen sein. Truss ist nach nur vier Wochen im Amt bereits politisch angeschlagen.