Auf dem Pacific Crest Trail werden beim Wandern auch Rekorde gebrochen

Rekord­verdächtig

Walk on the Wild Side. Zwei Schwule – ein Wanderweg Von

Viele Leute aus dem eigenen Bekannten- und Familienkreis schüttelten den Kopf, wenn man von dem Vorhaben berichtete, von Mexiko nach Kanada zu wandern. Nicht selten wurde einem die Frage gestellt, wie man denn das gesamte Essen für die fünfmonatige Wanderung im Rucksack transportieren wolle. Diese und ähnliche Fragen zeugen vom allgemeinem Unverständnis über das Wandern langer Wege und die damit verbundenen organisatorischen Herausforderungen. Dachte man vor der Wanderung von sich selbst, man sei ein ziemlich verrückter und wagemutiger Wandervogel, und blickte mit Ehrfurcht und auch ein bisschen Angst auf den Trail, staunte man nicht schlecht, wenn man dann Menschen begegnete, die das eigene Nerd-Level bei weitem übertrafen.

Der Pacific Crest Trail ist anscheinend prädestiniert für Rekordhungrige. Wieso nur einmal von Süden nach Norden laufen? Wieso nicht direkt kehrt machen und wieder zurück? Einen sogenannten Yoyo haben bislang nur zwei Menschen in einer Saison, sprich in einem Jahr, geschafft. Wer sich nicht gleich auf 8 480 Kilometern verausgaben möchte, kann natürlich auch versuchen, einen Rekord in der »Fastest Known Time« zu erringen. Als einzige weibliche Hikerin, die sich diesem Rekordversuch unterzogen hat, ist Heather »Anish« Anderson, die den PCT 2013 in sage und schreibe 60 Tagen absolviert hat, wohl auch die bekannteste. In ihrem Buch »Thirst« berichtet sie von den körperlichen Strapazen und Herausforderungen, die ein solcher Rekordversuch mit sich bringt.

Wem weder ein Yoyo noch eine FKT genügt, kann sich an einem »Triple Crown«-Rekord versuchen. Neben dem PCT gibt es noch den Continental Divide Trail, der durch die Mitte der USA führt, sowie den Appalachian Trail an der Ostküste. Alle drei Trails zusammen sind circa 12 710 Kilometer lang. Anscheinend war der Rekord von 2013 für Anish nicht genug, denn sie ist im Jahr 2018 alle drei Trails in 251 Tagen gelaufen.

Die Koryphäen der Hiker-Community bieten natürlich reichlich Gesprächsstoff, ebenso aber auch die Mitwandernden der class of 2022: Nicht nur Einzelpersonen oder kleine Gruppen wandern dieses Jahr auf dem PCT, ganze Familien kann man antreffen. Im Hochgebirge Kaliforniens kann man schon einmal auf eine US-amerikanische Mutter mit ihren vier Jungs treffen. Im vergangenen Jahr hat die Familie bereits den Appalachian Trail absolviert, nächstes Jahr steht der Continental Divide Trail an. Triple Crowner als Teenager? Das US-System des home schooling macht es möglich.

In Washington konnte man dieses Jahr Ella begegnen, die einen neuen Rekord für die Teilsektion dieses Bundesstaats aufgestellt hat. In zehn Tagen hat sie ihn durchquert. Lange habe sie nicht Zeit, erzählte sie, sie müsse weiter, sei schon hinter ihrem Zeitplan. Aber die letzte Nacht habe sie gut geschlafen, immerhin vier Stunden.

Bei all den sportlichen Vorgaben überlegt man selbst nach einiger Zeit, ob man an einer der »Challenges«, die der Trail beziehungsweise die Community bereit hält, teilnehmen will. Die 24-Stunden-Challenge etwa, die viele Hiker in Oregon, einer der leichteren Etappen, annehmen, besteht darin, so viele Meilen wie möglich innerhalb eines Tages zu laufen. Challenge accepted. Am Ende schafft man tatsächlich über 100 Kilometer.

Und irgendwann ist man dann auch froh, endlich in Kanada angekommen zu sein. Jetzt heißt es erst einmal, step by step zurück ins normale Leben, das aber bitte rekordverdächtig langsam.