Ein Gespräch mit dem Kunsthistoriker und Provenienzforscher Arturo Colorado Castellary über über die beginnende, lange überfällige Rückgabe von Raubkunst des Franquismus

»Die Frage der Restitution ist keine juristische mehr, sondern eine politische«

Der faschistische General Francisco Franco beschlagnahmte nach seinem Putsch gegen die demokratische Zweite Republik Spaniens 1936 Kunstwerke von Exilierten und Ermordeten. In einer beispiellosen Aktion brachte ein internationales Komitee Hunderte Gemälde und Skulpturen aus dem Museo del Prado in Madrid in Sicherheit, Franco ließ sie zum Teil zurückholen und unter seinen Anhängern verteilen. Castellary forscht zum Verbleib der Kunstwerke.
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Was passierte nach dem Putsch Francos mit den Abertausenden spanischen Kunstschätzen?

Das spanische republikanische Wahlbündnis aus linken und liberalen Parteien, die »Volksfront«, versuchte, sie in einer einzigartigen Operation zu retten. Die Kunstwerke wurden katalogisiert und verpackt und in vor Flieger- und Brandbomben geschützten Orten wie dem Madrider Prado eingebunkert oder zwischengelagert. Ein großer Teil gelangte auch aus Katalonien über Frankreich nach Genf. Nach Kriegsende ­erwirkte das faschistische spanische Regime teilweise ihre Rückgabe und verteilte sie an Museen, Ministerien, katholische Schulen, Kirchen und Klöster, aber auch an Adlige. Franco selbst schmückte seine Residenzen mit der geraubten Kunst. Bis heute, über 80 ­Jahre danach, versuchen Nachkommen der rechtmäßigen Besitzer und Kunstsammler, ihre Werke zurückzuerlangen – mit ersten Erfolgen.

Provenienzforschung dürfte komplex sein, da die Kriegszeit von Enteignung und Mord geprägt war, ­insbesondere wenn es um Privatsammlungen von Republikanern ging. Nachkommen müssen Beweise haben wie ein Foto im Eltern- oder Großelternhaus, einen Kaufvertrag oder Nachweise über Ausstellungen in Galerien oder Museen, aber solche Dokumente gehen verloren.

»Es gibt Tausende Arbeiten, die in Museen, öffentlichen Einrichtungen oder Kirchen auf ihre rechtmäßigen Besitzer warten.«

Letztlich ist es eine juristische Frage. Diejenigen, die das Werk oder Objekt für sich zurückfordern, müssen nachweisen, dass es im Besitz der Familie war. Die Junta del Tesoro Artístico Nacional (Verwaltung der Kunstschätze, JTA) der Republik organisierte die Aufbewahrung der Kunst perfekt, ihre ­Beamten gaben Details an wie Herkunft, Titel, Namen des Künstlers, selbst die Maße – auch wenn dies nicht selten unter Zeitdruck ­geschah, etwa wegen der Bombardierung Madrids durch Franco und die deutsche Legion Condor. Auch Mitglieder der damaligen anarchosyndikalistischen Großgewerkschaft ­CNT-FAI und Madrider Sozialisten halfen bei der Evakuierung von Kunst­gegenständen und brachten sie der JTA, aber meist ohne Daten.

Derzeit sorgt der von Ihnen auf­gedeckte Fall der Sammlung des ehemaligen republikanischen ­Bürgermeisters von Madrid (1931–1934 und 1936), Pedro Rico, für Schlagzeilen. Sie wurden vom Prado beauftragt, in den Beständen nach Raubkunst zu suchen, darunter Werke aus Pedro Ricos Sammlung.

Bei dieser Sammlung ist alles perfekt dokumentiert. Es ist nur fraglich, wie das Kulturministerium weiter vorgehen wird. Die Frage der Restitution ist keine juristische mehr, sondern eine politische, die der Regierung und dem Prado obliegt. Ich habe damit nichts mehr zu tun, bin kein Jurist und will mir auch nicht anmaßen, darüber urteilen zu können.

Museen, möglichst staatliche, sollten die Kunst der Öffentlichkeit zugänglich machen.

Es ist die Entscheidung der Behörden, und natürlich letztlich der Nach­fahren, ob sie die Werke dem Prado zur Ausstellung zurückgeben.

Ein weiterer Fall ist der ­eines Nachkommens eines enteigneten Galeristen aus Bar­celona.

Francisco Cambó y Batlle war ein großer Sammler Alter Meister, deren Werke die katalanische Regionalregierung verwahrte und die zumeist nach Frankreich gelangten. Aber in Barcelona gab es seinerzeit eine Vielzahl großer Sammlungen, die nach Frankreich gebracht oder verkauft wurden, verlorengingen oder an Franco retourniert wurden. Die Metropole war vor dem Krieg Anziehungspunkt von Kunsthändlern und Galeristen. Katalonien will den verschwundenen Werken jetzt nachgehen.

Sie sind auch Werken der großen Meister nachgegangen. Wie haben Sie sich gefühlt, wenn Sie einen El Greco, Goya oder Morales wiedergefunden haben?

Es waren schon größere, wichtigere Werke darunter, die nicht den rechtmäßigen Besitzern zurückgegeben wurden. Darunter waren Werke aus der Sammlung des baskisch-nationalistischen Politikers Ramón de la Sota, der in den ersten Kriegstagen 1936 ums Leben kam und dessen Kollektion Franco beschlagnahmen ließ. Die Werke wurden vielfach an Francos Regime »umgeleitet«, so etwa in das Büro des nazi­affinen Innenministers und Schwagers des Diktators, Ramón Serrano Súñer. Erst kürzlich, am 2. September, wurden im Museum für Schöne Künste in Bilbao zwei Werke der Sota-Sammlung, die bisher im Industrieministerium auf­gehängt waren, den Erben zurückgegeben. Ich war vor Ort, und es war ein immens emotionaler Augenblick. Ramón de la Sota hatte auch posthum eine Strafe wegen seiner politischen Aktivität auferlegt bekommen, damals waren das 100 Millionen Peseten, all seine Güter, seine Kunstsammlung. Die Nachkommen haben einige Werke zurückerlangen können.

Von welcher Zahl geraubter Kunstobjekte geht man aus?

Von 17 000 damals gezählten und dokumentierten Kunstwerken kennen wir ­ihren Verbleib, aber es sind bestimmt mehr als 30 000. 8 000 wurden unter Franco »umgeleitet«. Wir arbeiten nur mit einer kleinen Gruppe Datenbankmanager, es sind viel zu wenige, um die Arbeit zu bewältigen.

Kursieren derzeit Werke aus den franquistischen Beschlagnahmungen auf dem internationalen Kunstmarkt?

Das kann durchaus sein, aber herauszufinden, wo sie sich befinden, ist Detektivarbeit. Selten und meist zufällig tauchen welche auf. Die an die Sota-Erben retournierten Werke fand ein Enkel bei einer Übernachtung in einem der meist erstklassigen Hotels in histo­rischen Gebäuden der staatlichen Parador-Gruppe, die dem Tourismus­ministerium unterstellt ist. Dabei war der Enkel keinesfalls gezielt auf der Suche nach Kunstwerken seines Großvaters.

Alle Werke, die in Parador-Hotels, in katholischen Schulen, Klöstern, ­Kirchen, Ministerien und Adels­sitzen ausgestellt sind, müssten also inventarisiert werden?

Das hängt vom Willen der Regierung ab. Meist kann man die Herkunft eines Werks nachvollziehen. Im Prado wissen wir bisher von 62 Werken, die zur Franco-Raubkunst zählen, nach ­Abschluss unserer Forschungen machen wir weitere Fälle publik.

Könnten geraubte Werke aus Spanien, aber auch aus Nazi-Deutschland, auch beispielsweise nach Lateinamerika gelangt sein?

Die weltweite Verstreuung der von den Nazis enteigneten Sammlungen, in erster Linie der jüdischen, und wie der Verkauf auch über Spanien vonstatten ging, ist ein weiteres noch aufzuarbeitendes Forschungsfeld.

In welchem Ausmaß profitierte der loyale Adel von Francos »Neuaufteilung« der Kunstschätze?

Die Sammlungen des Adels waren zu einem großen Teil von der Republik in Sicherheit gebracht worden. Viele wurden unter Franco zurückgegeben und nicht wenige Werke an andere Adelige verteilt.

Stießen Sie im Zuge Ihrer Forschungen von öffentlicher oder privater Seite auf Hindernisse?

Eigentlich nicht. Es ist natürlich nie einfach, dem Verbleib eines Werkes in Privatbesitz nachzugehen. Die Recherche im Umfeld von Vereinen und Organisationen des franquistischen Milieus kann problematisch sein. Die Zusammenarbeit mit dem Prado ist hingegen beispielhaft. Der Zugang zu öffentlichen Archiven ist leicht, manchmal sind die eben nicht ganz so gut organisiert.

Warum hat es bis zum Jahr 2022 gedauert, bis die Enteignungen von Kunst im Bürgerkrieg und während der Diktatur in Spanien Thema wurden?

Das ist wie mit vielen Themen der Franco-Diktatur, die nicht verheilte Wunden in der spanischen Gesellschaft hinterlassen hat. Bis heute ­suchen Nachkommen die Überreste Hunderttausender von den Faschisten gefolterter und massakrierter Opfer in Massengräbern. Restitution der Kunst ist nur ein kleines Gebiet, auf dem ich einen Beitrag leisten kann. Mein jüngstes Buch gab den Anstoß dazu, dieses Thema aufzuarbeiten. ­Pedro Ricos Nachkommen lernte ich im Prado kennen, sie wussten nichts vom Verbleib der Sammlung ihres Großvaters. Es gibt Tausende Arbeiten, die in Museen, öffentlichen Einrichtungen oder Kirchen auf ihre rechtmäßigen Besitzer warten. Von 500 Werken in ­Privatbesitz wissen wir.

 

Arturo Colorado Castellary

Arturo Colorado Castellary, geboren 1950, ist emeritierter Professor für Kunst und Kommunikation an der Universidad Complutense de Madrid (UCM). Die Provenienzforschung befasst sich mit der Herkunft (Pro­venienz) von Kulturgütern und will klären, wem die Gegenstände zu welcher Zeit gehörten und unter welchen Bedingungen sie ihren Eigentümer wechselten. In seinen jüngsten Forschungsarbeiten beschäftigte Castellary sich mit dem Verbleib von Kunstschätzen im Spanischen Bürgerkrieg (1936–1939) und der Franco-Diktatur (1939–1975) bis in die Gegenwart. Er ist Autor mehrerer Bücher, zuletzt »Éxodo y exilio del arte« (Exodus und Exil der Kunst, 2008), »Del arte rupestre al digital« (Von der Felskunst zur digitalen Kunst, 2013) und »Arte, botín de guerra« (Kunst, Kriegsbeute, 2021).

 

Der faschistische General Francisco Franco putschte 1936 gegen die demokratische Zweite Republik Spaniens (1931–1939). Er beschlagnahmte auch Kunstwerke von Exilierten und Ermordeten. Die republikanische ­Regierung hatte die Schutzwürdigkeit des spanischen Kunstguts, unabhängig vom ­jeweiligen Besitzer, zuvor festgeschrieben. Sie gründete ein internationales Komitee, das rund 700 Gemälde und Skulpturen aus dem Museo del Prado in Madrid, einem der bedeutendsten Kunstmuseen der Welt, in Sicherheit brachte. »Das Prado-Museum ist für Spanien wichtiger als die Monarchie und die Republik zusammen«, hatte der zweite und letzte Präsident der Zweiten Republik, Manuel Azaña, damals gesagt. Nach der Niederlage der Republikaner im Krieg ließ Diktator Franco die Kunstschätze nach Spanien zurückholen.