Gesetze für Nationalisten
Am 2. Oktober wurde in Bosnien-Herzegowina unter anderem das Staatspräsidium gewählt. Dieses dient als kollektives Oberhaupt des föderalistisch aufgebauten Staats und besteht aus drei direkt gewählten Vertretern der Ethnien Bosniaken, Kroaten und Serben. Zum ersten Mal seit Bestehen des Staats, also seit dem Jahr des Friedensabkommens von Dayton 1995, sind jetzt seit den Wahlen zwei dieser drei Vertreter keine Ethnonationalisten. Das ist ein Sieg für alle Demokraten im Land.
Der Staat ist kompliziert aufgebaut, entlang ethnischer Kriterien ausgerichtet, begünstigt dadurch ethnonationalistische Parteien und ist anfällig für Blockaden. Für den kroatischen Sitz im Staatspräsidium hat sich nun der Vertreter der gemäßigten und proeuropäischen Demokratska fronta BH (Demokratische Front), Željko Komšić, durchgesetzt. Der Sozialdemokrat Denis Bećirović (Socijaldemokratska partija Bosne i Hercegovine, SDP) gewann den bosniakischen Sitz. Der serbische Sitz ging an die prorussische Nationalistin Željka Cvijanović (Savez nezavisnih socijaldemokrata, Allianz der Unabhängigen Sozialdemokraten, SNSD), eine Vertraute von Milorad Dodik (SNSD), der ihn bislang innehatte. Dodik droht unter anderem immer wieder damit, die Republika Srpska (RS), die serbisch geprägte Entität in Bosnien-Herzegowina, vom Gesamtstaat abzuspalten.
Auf gesamtstaatlicher Ebene wurden neben dem Staatspräsidium auch das Abgeordnetenhaus (Predstavnički Dom bzw. Zastupnički Dom) gewählt. In der Republika Srpska standen die Präsidentschaft sowie das Entitätsparlament zur Wahl, in der Föderation Bosnien und Herzegowina (FBiH) das Entitätsparlament sowie die kantonalen Versammlungen. Die Wahlbeteiligung lag nur bei 50,4 Prozent.
Eine weitere Premiere am Wahltag: Zum ersten Mal seit Bestehen des Staates wurde das Wahlrecht und die Verfassung eines Landesteils noch am Wahltag geändert. Verantwortlich dafür ist der deutsche Politiker Christian Schmidt (CSU), seit 2021 Hoher Repräsentant der Vereinten Nationen in Bosnien-Herzegowina. Auch dieses Amt ist Folge des Daytoner Friedensabkommens. Der Hohe Repräsentant wird von einem Rat aus mehr als 40 Staaten ernannt und soll die Einhaltung des Daytoner Abkommens überwachen.
Er hat weitreichende Befugnisse, größere als jeder wählbare politische Amtsträger im Land. Er kann unter anderem Gesetze erlassen und demokratisch gewählte Politiker aus ihren Ämtern entfernen. Schmidt änderte das Wahlrecht zum Haus der Völker der Entität FBiH, dem Oberhaus des Parlaments der Entität. Schmidt begründet das damit, Blockaden der Institutionen verhindern zu wollen. Er setzte engere Fristen zur Regierungsbildung sowie für Verfassungsänderungen und erhöhte die Zahl der Abgeordneten im Haus der Völker. Für serbische, kroatische und bosniakische Abgeordnete sind nun jeweils 23 statt 17 Sitze reserviert, „andere Minderheiten“ erhalten 11 statt 7 Sitze.
Vor allem die bosnischen Zivilgesellschaft, aber auch Politiker kritisieren die Reform. Nicht nur aufgrund des Zeitpunkts noch vor Auswertung aller Stimmzettel, sondern auch wegen des Inhalts. Dass der Hohe Repräsentant so stark in den Staat eingreifen kann, ohne von der Bevölkerung gewählt worden zu sein, steht ohnehin in der Kritik. Schmidt habe seine Machtposition für eine Entscheidung genutzt, „die gegen eine demokratische Entwicklung im Land läuft“, sagt der Aktivist Samir Beharić der Jungle World, der sich für eine demokratische Verfassung in Bosnien-Herzegowina einsetzt. Ob Schmidts Wahlrechtsreformen die seit Jahren bestehenden Blockaden in der Politik und Justiz der Föderation beenden können, müsse sich erst noch zeigen.
„So oder so sollten wir nicht mit undemokratischen und diskriminierenden Gesetzen arbeiten“, sagt Beharić. „Wir können Demokratie nur mit demokratischen Prinzipien verteidigen.“ Für die kämpft der 31jährige schon lange. Als Schüler hatte er Proteste gegen geteilte Schulen organisiert, die Kinder nach ethnischer Zugehörigkeit sortieren. Kroatische, bosnische und serbische Kinder, die in dieselbe Schule gehen, werden in unterschiedlichen Klassenräumen und nach unterschiedlichen Lehrplänen unterrichtet. Bosniakische und kroatisch-bosnische Kinder gehen in dieselbe Schule, aber in unterschiedliche Klassenräume, zwei Lehrpläne, zwei Schulen unter einem Dach. „Das ist ein System im Sinne der Ethnonationalisten“, sagt Beharić. „Die Kinder bekommen eine nationalistische Gehirnwäsche.“
Politikwissenschaftler Vedran Džihić hält es für ein positives Signal, dass sich in Zukunft die serbisch-bosnische Abgeordnete Cvijanović mit ihrer nationalistischen Politik das Staatspräsidium mit zwei linksliberalen, gesamtstaatlich orientierten Politikern teilen muss. Das werde den Status quo im Land aber nicht grundsätzlich ändern. Der Kern des Problems liege in der Verfassung, die die Aufteilung nach Ethnien festschreibt, so Džihić. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat bereits bestätigt, dass die Verfassung diskriminierend gegenüber allen ist, die keiner der drei Gruppen angehören. Die ethnonationalistischen Parteien hätten aber kein Interesse daran, die Verfassung zu ändern. „Diese Parteien sind korrupte Netzwerke, die sich gegenseitig Posten sichern“, so Džihić, „sie profitieren von dem ethnisierten politischen System“.
Džihić zufolge spielen Schmidts Reformen kroatischen Nationalisten in die Karten, die jetzt von der Neuverteilung der Sitze im Haus der Völker in der Förderation profitierten. Kroatiens Regierungspartei Hrvatska demokratska zajednica (Kroatische Demokratische Gemeinschaft, HDZ) und ihre bosnische Schwesterpartei haben sich auch anerkennend über Schmidt geäußert. Die HDZ ist Mitglied der Europäischen Volkspartei, genau wie die CSU. „Kroatien betreibt innerhalb der EU und bei Christian Schmidt Lobby-Arbeit“, sagt Džihić. Damit handle Schmidt gegen einen Beschluss der deutschen Bundesregierung vom Juli, demokratische Prozesse in Bosnien-Herzegowina zu unterstützen.
Den Antrag dazu hat unter anderem der Bundestagsabgeordnete Adis Ahmetović (SPD) erarbeitet. Er bezeichnete Schmidts Reform im Gespräch mit der Jungle World als skandalös. „Die Mehrheit der Menschen in Bosnien-Herzegowina haben für eine demokratische, proeuropäische Politik gestimmt“, so Ahmetović. Deshalb sei es enttäuschend, dass die deutsche Außenministerin und auch die EU bisher keine Haltung zu Schmidts Handeln zeigten. Anfragen der Jungle World nach einer Stellungnahme zu Schmidts Reformen haben weder das Auswärtige Amt noch die Pressestelle der EU beantwortet.
geändert am 31.10.2022