Carole K. Hoovens Buch über das Sexualhormon Testosteron

Keine Opfer ihrer Hormone

Macht Testosteron Männer wirklich aggressiver? Diesen und anderen Fragen zum Sexualhormon geht die Evolutionsbiologin Carole K. Hooven in ihrem Buch »T wie Testosteron« auf den Grund – und zieht dabei keine voreiligen Schlüsse.

Testosteron ist eines der wenigen Hormone, von denen wohl jeder gehört hat: ein männliches Sexualhormon. Aber welche körperlichen Funktionen es in Gang setzt und wie es das Handeln beeinflusst, das ist weniger bekannt. Auch Wissenschaftler debattieren schon seit geraumer Zeit über diese Fragen. Nun hat die Evolutionsbiologin Carole K. Hooven, die als Co-Direktorin der Abteilung für menschliche Evolutionsbiologie an der Harvard University arbeitet,

»T wie Testosteron« vorgelegt, ein Buch, in dem sie ihre Erkenntnisse über das Hormon vorstellt.

Gleich zu Beginn steigt Hooven mit ihrer eigenen Forschung ein und beschreibt Erlebnisse mit männlichen Schimpansen in Uganda. Dort sammelte sie deren Urin und untersuchte ihn auf seinen Testosterongehalt. Außerdem beobachtete sie aggressives Verhalten der Menschenaffen – und vermutete bald einen Zusammenhang mit Testosteron. Es wäre allerdings zu kurz gegriffen, aus der Beobachtung von Schimpansen die Schlussfolgerung zu ziehen, dass Testosteron Männer aggressiv mache. Hooven gab sich nicht mit ihren Beobachtung zufrieden, sondern sichtete viele Studien, die sie in ihrem Buch anschaulich zusammenfasst.

Zu den Effekten von Testosteron gehören zum Beispiel eine höhere Knochendichte, eine ausgeprägtere Muskulatur und ein höherer Gehalt von Hämoglobin im Blut, das für den Sauerstofftransport verantwortlich ist.

Zunächst aber bietet »T wie Testo­steron« einen kleinen Exkurs in die Geschichte der Endokrinologie und erklärt, wie Hormone entdeckt wurden, mit welchen Methoden man diese früher erforschte und was genau Testosteron ist. Es ist ein Steroidhormon und, wie andere Hormone auch, ein Botenstoff. Testosteron wird aus Cholesterin über eine Zwischenstufe gebildet, es kann wiederum durch das Enzym Aromatase in das weibliche Sexualhormon Östrogen und durch das Enzym 5-AR in das stärker wirkende Dihydrotestosteron umgewandelt werden. Hormone werden von Hormondrüsen ins Blut ausgesandt und wirken dann auf jene Zellen im Körper, die einen entsprechenden Rezeptor haben. Hooven vergleicht das Prinzip mit einem Radiosender, dessen Signal nur auf der richtigen Frequenz empfangen werden kann.

Was bewirkt Testosteron aber nun im menschlichen Körper? Einiges wussten Wissenschaftler schon früh aus Beobachtungen mit Kastraten. Bei diesen Männern blieb aufgrund des Hormonmangels durch das Fehlen der Hoden, wo Testosteron vor allem gebildet wird, der Stimmbruch aus, sie bekamen seltener eine Kopfglatze und hatten meist stärker ausgeprägtes Fettgewebe.

Heutzutage kennt man noch weitere Effekte von Testosteron. Dazu gehören zum Beispiel eine höhere Knochendichte, eine ausgeprägtere Muskulatur und ein höherer Gehalt von Hämoglobin im Blut, das für den Sauerstofftransport verantwortlich ist. Diese Effekte sind auch der Grund für die durchschnittlich höhere Leistungsfähigkeit von Männern im Sport – auch wenn dieser körperliche Vorteil derzeit immer wieder geleugnet wird.

Hooven geht aber noch etwas ­weiter: Sie beschreibt die geschlechtliche Entwicklung eines Menschen im Mutterleib und erklärt, was Testosteron damit zu tun hat, anhand des Beispiels von »Jenny«. Bei dieser handelt es sich um eine junge Frau mit kompletter Androgenresistenz, das heißt, die Rezeptoren in ihrem Körper nehmen männliche Sexualhormone nicht auf. Sie ist äußerlich eine normale Frau, hat aber männliche Geschlechtschromosomen (XY).

Bis zur sechsten Schwangerschaftswoche besitzt ein Embryo bipotente Keimdrüsen, hat also das Potential, sich männlich oder weiblich zu entwickeln beziehungsweise beide Sexualhormone aufzunehmen. Männlich wird das spätere Kind, wenn ein Y-Chromosom mit dem Protein SRY vorliegt und Hoden statt Eierstöcken entstehen, die schon früh Testosteron produzieren. Das geschah auch bei Jenny, doch aufgrund ihrer Androgenresistenz kann Testosteron bei ihr nicht wirken,ihr Körper wandelt es in Östrogenen um – deswegen der weibliche Phänotyp. Bei ihr entwickelte sich kein Penis, sondern eine Vagina, und ihre Hoden verblieben in der Bauchhöhle.

Aber erklärt Testosteron auch das Sozialverhalten von Mädchen und Jungen? Menschen behandeln ein Baby in der Regel nicht geschlechtsneutral, sie bewerten das Verhalten eines Babys abhängig von dessen ­Geschlecht. Die Sozialisierung prägt also auf jeden Fall das Verhalten. Hooven zitiert hierzu einige Experimente und Studien. Jedoch sieht die Autorin auch Hinweise darauf, dass nicht nur die Sozialisation geschlechtsspezifische Verhaltensunterschiede hervorbringt. Sie vermutet, auch Testosteron spiele bei der Ausprägung von Sozialverhalten sowie Aggression eine Rolle. Als Beispiel dienen ihr das Spielverhalten diverser Säugetiere, aber auch ein Dorf in der Dominikanischen Republik, in dem es viele Fälle von Menschen mit 5-­Alpha-Reduktase-Mangel gibt. Bei ­dieser Form der Androgenresistenz kommt es aufgrund eines Enzym­defekts zu einem weiblichen Erscheinungsbild im Kindesalter und aufgrund einer später stärkeren Testosteron-Synthese in der Pubertät zu einem Herabsinken der zuvor innen liegenden Hoden und einem zunehmend männlichen Erscheinungsbild. Diese Kinder, die zunächst als Mädchen wahrgenommen werden, zeigen geschlechtsuntypische Verhaltensweisen, die man eher Jungen zuordnen würde, und wollten nach der Pubertät auch größtenteils als Jungen leben – trotz der Angst vor sozialer Ausgrenzung.

Hooven zitiert in diesem Kapitel die Arbeiten der Endokrinologin Julianne Imperato-McGinley, die sich mit den Betroffenen in dem Dorf beschäftigt hatte. Ihr zufolge hat die Einwirkung von Testosteron vor und ­direkt nach der Geburt großen Einfluss auf Verhaltensunterschiede. Zu dieser Erkenntnis kam sie allerdings größtenteils durch Studien mit Ratten. All diese Erkenntnisse kann man in der Tat als Indizien für die Frage nach der relativen Bedeutung von »nature versus nurture« sehen. Als Beweise dafür, inwieweit menschliches Verhalten angeboren ist oder anerzogen wird, reichen sie jedoch nicht aus – als kritische Stimme nennt Hooven die Neurophysiologin Ruth Bleier, die an der Übertragbarkeit der Ergebnisse von Ratten auf Menschen zweifelte.

Hooven führt noch Weiteres ins Feld, zum Beispiel Mädchen mit adrenogenitalem Syndrom, Ergebnis einer Störung der Hormonsynthese in der Nebennierenrinde, die ebenfalls geschlechtsuntypisches Verhalten zeigen und eine erhöhte Konzentration von Androgenen, vor allem von Testosteron, aufweisen. Die Autorin geht auch hier auf kritische Stimmen ein, die dieses Verhalten auf die Sozialisation zurückführen – insgesamt kann die Sozialisationstheorie allein Hooven aber nicht überzeugen. Mit dieser Meinung steht Hooven nicht allein da, jedoch ist die Debatte in der Wissenschaft noch nicht beendet. Die betroffenen Menschen mit 5-AR-Mangel in der Dominikanischen Republik könnten beispielsweise auch erkannt haben, dass ein Leben als junger Mann für sie mehr Möglichkeiten bietet als das Leben als Frau, und deswegen den in der Pubertät männlich werdenden Körper akzeptiert haben. Es ist auch nicht immer so, dass Betroffene in der Pubertät den männlichen Weg einschlagen wollen, einige wollen auch als Frau leben. Ein Blick in andere Gesellschaften und deren Umgang mit solchen Fällen wäre hier interessant gewesen, eventuell auch die Einschätzung von Anthropologen und Psychologen.

Im Übrigen gibt es auch Säuge­tiere, die ein gänzlich anderes Sozialverhalten an den Tag legen als beispielsweise Ratten, die für entsprechende Versuche sehr oft benutzt werden. Über das Sozialverhalten vieler Säugetiere ist noch sehr wenig bekannt. Aber auch bei Menschen ist noch nicht vollständig geklärt, ob Jungen und Mädchen in allen Teilen der Erde das als typisch geltende ­Verhalten an den Tag legen. Später im Buch betont auch Hooven, dass Geschlechtsunterschiede im Verhalten immer auch von der Kultur geprägt seien.

Wie sieht es nun mit dem Zusammenhang zwischen Aggressivität und Testosteron aus? Macht das Hormon Männer aggressiv? Die dies­bezügliche Rolle von Testosteron ist in der Wissenschaft umstritten, auch hier gibt es noch keinen klaren Konsens. Hooven kommt nach Sichtung verschiedener Studien zu dem Schluss, dass ein höherer Testosteronspiegel bei impulsiven Männern mit einer bestimmten genetischen Ausstattung zu höherer Aggressivität führen kann. Sie erklärt aber auch, dass gesellschaftliche Normen und die Kultur die Ausprägung von Aggression fördern oder dämpfen kann – aggressive Männer sind also keine Opfer ihrer Hormone.

Hoovens Buch ist eine solide Einführung in die Endokrinologie, die auch für Laien verständlich ist. Sie stellt bei den verschiedenen Themen ganz unterschiedliche Positionen dar und ist bemüht, keine vorschnellen Schlüsse zu ziehen. An einigen Stellen wäre es jedoch hilfreich gewesen, wenn sie ihre persönliche Meinung klarer als solche gekennzeichnet hätte.

Carole K. Hooven: T wie Testosteron. Alles über das Hormon, das uns beherrscht, trennt und verbindet. Aus dem amerikanischen Englisch von Sebastian Vogel. Ullstein, Berlin 2022, 480 Seiten, 19,99 Euro