Die Verwendung von Genderzeichen löst die Geschlechterfrage im Deutschen nicht

Zeichen der Zeit

Es gibt gute Gründe, das generische Maskulinum zu kritisieren, die Verwendung von Genderzeichen löst aber das zugrundeliegende Problem nicht. Statt die jeweils gemeinten Personen unabhängig von ihrem Geschlecht zu bezeichnen, bleibt alles Nichtmännliche ein Anhängsel.
Disko Von

Seit Jahren erhitzt das Genderzeichen die Gemüter. Die Rollen scheinen den meisten Linken in der Diskussion darüber klar verteilt: hier die feministischen Kräfte von Fortschritt und Emanzipation, dort die Ewiggestrigen, die offenen und heimlichen Patriarchatsnostalgiker, die Konservativen und Linkskonservativen.

Plädoyers für die Nutzung von Genderzeichen stützen sich auf die Kritik am generischen Maskulinum. Man mag darüber streiten, wie weit diese trägt, aber ihre grundsätzliche Berechtigung lässt sich kaum in Abrede stellen: Selbstverständlich ist das generische Maskulinum Ausdruck einer patriarchalen Kultur. Selbstverständlich begünstigt es androzentrisches Denken, also eines, dem der Mann als Normalfall, als Repräsentant des allgemein Menschlichen erscheint, die Frau hingegen als Abweichung und partikulare Nebenform. Doch was gegen das generische Maskulinum spricht, ist eine Frage; wie sich das Gender­zeichen als Alternative ausnimmt, ist eine andere.

Um das generische Maskulinum zu vermeiden, liegt im Deutschen zunächst die Doppelnennung von männlicher und weiblicher Form nahe. ­Diese wird allerdings schnell lästig und verbraucht in einem Text mit zahlreichen Personenbezeichnungen viel Platz. Daher verbreiteten sich in den achtziger Jahren zwei abkürzende Schreibweisen: aus »Autorinnen und Autoren« wurde »AutorInnen« oder »Autor/innen«.

Als in der feministischen Debatte die Kritik am binären Geschlechtssystem an Bedeutung gewann, traten Genderzeichen an die Stelle des Schrägstrichs. Neben dem Asterisk – auch als Sternchen bekannt – war zunächst der Unterstrich verbreitet, in jüngerer Zeit ist der Doppelpunkt gebräuchlich geworden. Welches Genderzeichen man auch wählt, es soll (im heute weitgehend unhinterfragt verwendeten postmodernen Jargon) jene »sichtbar machen«, also sprachlich repräsentieren, die sich keinem der beiden »Normgeschlechter« zuordnen lassen oder lassen wollen.

Ob Schrägstrich oder Gender­zeichen, es handelt sich bei ihrer Verwendung um eine abkürzende Schreibweise, die die männliche und die weib­liche Form zusammenzieht. Eine solche chimärische Wortbildung hat aber ­erhebliche Nachteile. Insbesondere erzeugt sie keine im eigentlichen Sinn generische Form: Während das generische Maskulinum »Autoren« ge­schlechts­unabhängig Personen bezeichnet, die Texte verfassen, erscheint diese Gruppe im Wort »Autor:innen« immer als in männliche, weibliche und andere unterteilte. Die Möglichkeit, Personen unabhängig von ihrem Geschlecht zu bezeichnen, verschwindet. In dieser Hinsicht wird das Deutsche sehr viel sexistischer, als es zuvor war – ein aus Sicht eines universalistischen und emanzipatorischen Feminismus äußerst gravierender Einwand gegen Genderzeichen, unbeschadet der Beharrlichkeit, mit der er ignoriert oder bagatellisiert wird.

Weitere Nachteile sind ästhetischer und stilistischer Natur, was in der Sprache keine Kleinigkeit ist; es sei denn in der Amtssprache, in die sich das Gendern mit Sonderzeichen noch am besten einfügt. Für manche Stilebenen jedoch sind Abkürzungen generell, und erst recht Worthybride mit eingefügten Sonderzeichen, nicht geeignet. Auch in Bezug auf Handhabbarkeit und sprachliche Genauigkeit stößt man bald auf Nachteile.

Im Plural funktioniert das Genderzeichen noch am besten, weil die erzeugte Form effektiv als Femininum mit eingeschobenem Sonderzeichen lesbar bleibt: »die Freund:innen«, »erfahrene Köch:innen«. Doch schon bei Komposita wird es schwieriger. Man mag vielleicht noch hinnehmen, aus dem Kanzleramt ein Kanzler:innenamt zu machen, doch Wörter wie »Kanz­ler:in­nen­kandidat:innen« oder »Inge­nieur:innenwissenschaft« erscheinen nicht als der Weisheit letzter Schluss. Auch viele, die sich mit dem Ausdruck »Arbeiter:innenbewegung« anfreunden können, hadern mit »Arbei­ter:innen­kinder«.

Im Singular treten die zusammenzuführenden Formen viel stärker aus­einander als im Plural: Jede:r Leser:in stolpert darüber, dass die Endungen beider Wörter nicht zusammenpassen, so dass der Nominativ als Dativ erscheint. Man muss jedem:r Leser:in einiges abverlangen und auch die Geduld eines:r Autors:in herausfordern, dem:der man das Genderzeichen empfiehlt. Dieses erweist sich als Notlösung: Es kann das generische Mas­kulinum zwar behelfsmäßig in einer wichtigen Gruppe von Fällen ersetzen, aber kaum konsequent und systematisch verwendet werden.

Im Singular zeigt sich zudem, dass das Genderzeichen, das doch dazu dienen soll, nicht binärgeschlechtlichen Identitäten zu sprachlicher Repräsentation zu verhelfen, diese Aufgabe nur sehr unbefriedigend erfüllt. So erscheint es unlogisch und unangemessen, eine nicht binärgeschlechtliche Person, die (zum Beispiel) journalistisch tätig ist, als »der:die Journalist:in« zu bezeichnen. Die zwei dezidiert falschen Artikel werden ja nicht dadurch rich­tiger, dass man sie mit dem Genderzeichen aneinanderklebt. Ebenso unpassend erscheint die weibliche Endung; die Alternative »Journalist:« wiede­rum kann als der männlichen Form zu ähnlich erscheinen.

Im Deutschen stellt die männliche Form der meisten Personenbezeichnungen zugleich ihre Grundform dar und findet sich daher in allerlei ab­geleiteten Wörtern wieder: »Kanzlerschaft«, »meisterhaft«, »anfreunden«. Je ausschließlicher die maskuline Grundform auf Männer bezogen wird, desto stärker müsste das Sprachgefühl auch an solchen Wörtern Anstoß nehmen, die jedoch kaum jemand mit Genderzeichen wird abwandeln wollen (»Die beiden freund:inten sich an«?). So gerät das Gendern mit Sonderzeichen auf Schritt und Tritt mit eben der sprachlichen Entwicklung in Konflikt, die es selbst befördert: Je ernster man es nimmt, je mehr man versucht, es zu einem Teil der regulären Sprache zu machen, desto weniger kann es überzeugen und desto deutlicher erweist es sich als Flick- und Stückwerk.

Viele der erwähnten Probleme sind auf eine grundlegende Eigenschaft des Deutschen zurückzuführen, die aus ­feministischer Sicht noch viel skandalöser erscheinen müsste als das generische Maskulinum, weil auch dieses sich letztlich aus ihr ableitet. Dennoch kommt sie in der öffentlichen Debatte, die angeblich derart mit feminis­tischer Sprachkritik beschäftigt ist, kaum je vor: eben die Eigenschaft, dass bei fast allen Personenbezeichnungen die Grundform mit der männlichen identisch ist, während die weibliche durch das Hinzufügen einer Endung aus jener abgeleitet wird. Die weibliche Form ist dadurch von vornherein eine sekundäre und durch größere Umständlichkeit benachteiligte. Das Gender­zeichen lässt dieses fundamentale male privilege unangetastet; die Benachtei­ligung des Nichtmännlichen stellt es im ewigen redundanten Hinzufügen von »-:innen« nur aus und verewigt sie somit.

Diese Nachteile von Genderzeichen weisen den Weg zu einer besseren Alternative. Es muss eine echt generische Form sein, die es erlaubt, Personen geschlechtsunabhängig zu bezeichnen. Es muss eine sprachlich einfache Form sein, die überall verwendbar ist, wo es das generische Maskulinum ist. Und sie muss die Grundform von Personenbezeichnungen einer geschlechtsneu­tralen Verwendung zuführen, sie also, wie man auf Neudeutsch sagen könnte, für Nichtmänner reclaimen.

Das ge­nerische Neutrum erfüllt diese Anforderungen. Im Singular entspräche es dem generischen Maskulinum, nur mit neutralem Genus: »das Autor«. Im Plural wäre es wohl erforderlich, zur Unterscheidung vom Maskulinum eine neue Endung einzuführen; das aus dem Englischen und nordischen Sprachen bekannte -s liegt nahe: »die Autors«. Diese Form leidet unter keinem einzigen der erwähnten Probleme des Genderzeichens. Sie wäre lediglich ungewohnt, aber das war das Genderzeichen anfangs ebenfalls.

Wenn das generische Neutrum sich einmal eingebürgert hätte, könnte man zudem in einem nächsten Schritt einen Vorschlag verwirklichen, der ­bislang kaum praktikabel erscheint, nämlich Personenbezeichnungen in der Grundform nur noch geschlechtsneutral zu gebrauchen und eine neue männliche Form einzuführen, die, wie die weibliche, durch Hinzufügung ­einer Endsilbe (zum Beispiel -er oder -rich) zu erzeugen wäre.

Das Gendern mit Sonderzeichen hingegen erscheint eher als Sackgasse. Es führt ein völlig neues Element in die Sprache ein, weder Buchstabe noch Silbe oder Satzzeichen, dessen Bedeutung und Verwendungsregeln unklar sind und bleiben müssen, weil jeder Versuch, sie zu systematisieren, an den erwähnten Schwierigkeiten scheitern muss. Man kann Sprache verändern und sollte das auch tun, wenn gute Gründe dafür sprechen, aber es gibt sachliche Kriterien dafür, wie tauglich solche Veränderungen sind: Funktionalität, Handhabbarkeit, Klarheit und auch Sprachökonomie.

Wem es tatsächlich um eine bessere, weniger patriarchale Sprache zu tun ist, der (oder das) muss zweierlei ernst nehmen: die Sprache mit ihren Erfordernissen und ihrer Eigengesetzlichkeit; und das Ziel einer Gesellschaft ohne Sexismus, also einer, in der das Geschlecht als eine private Eigenschaft von Personen gilt, die für die meisten Lebensbereiche keine be­sondere Bedeutung hat.