Es häufen sich Angriffe auf Unterkünfte für Geflüchtete

Das alte deutsche Muster

Dieses Jahr sind deutlich mehr Menschen nach Deutschland geflohen als in den Vorjahren – und wie schon 2015 und 2016 mehren sich Angriffe auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte.

Eigentlich sollten in das außerhalb von Bautzen an einem Stausee gelegene ehemalige Spreehotel Anfang November Flüchtlinge einziehen – Familien aus Syrien, Nordmazedonien, der Türkei, Afghanistan, Georgien und der Russischen Föderation. Doch daraus wird erst mal nichts. Wie die Polizei­direktion Görlitz mitteilt, haben Ende Oktober Unbekannte die Fenster des Hotels eingeworfen. Kurz darauf sei im Inneren des Hauses ein Feuer ausgebrochen. Die vier Mitarbeiter der Arbeiterwohlfahrt, die bereits im Haus übernachteten, blieben unverletzt. Kurz zuvor hatte es eine Protestkundgebung der AfD vor dem Hotel gegeben. Dem MDR zufolge sollen dabei Teilnehmer gerufen haben, das »Problem« würden »die Leute hier schon lösen«.

Bereits vor sechs Jahren hatten drei junge Männer mehrere Molotow-Cocktails auf das Gelände des Spreehotels geworfen. Der Anschlag sollte damals – während der sogenannten Flüchtlingskrise – den Einzug von Flüchtlingen verhindern. Die Täter wurden 2019 vom Vorwurf der versuchten Brandstiftung freigesprochen, da die Brandbomben schnell erloschen waren. Das Landgericht Bautzen verhängte nur Bewährungsstrafen von zwei Jahren wegen Störung der öffentlichen Ordnung.

Am 19. Oktober brannte das ehemaligen Hotel Schäfereck beinahe komplett ab. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich 14 ukrainische Geflüchtete dort, das jüngste Kind war gerade ein Jahr alt.

In den vergangenen Wochen gab es in Sachsen noch weitere Angriffe auf Unterkünfte von Flüchtlingen. Nur zwei Tage nach dem Anschlag in Bautzen warfen Unbekannte in Neukieritzsch im Landkreis Leipzig aus einem fahrenden Auto Pyrotechnik in Richtung einer Gemeinschaftsunterkunft. Ende August war es bereits zu einem versuchten Brandanschlag auf eine Gemeinschaftsunterkunft im Leipziger Stadtteil Lausen-Grünau gekommen. Die Täter warfen nach Polizeiangaben Gegenstände gegen die Hauswand und entfachten einen Brand. »Ein punktuelles Feuer wurde durch die Sicherheitsdienste festgestellt und gelöscht«, erklärte das Landeskriminalamt (LKA) Sachsen. Menschen kamen nicht zu Schaden.

Merle Spellerberg, eine Bundestagsabgeordnete der Grünen aus Dresden, ist nicht überrascht von diesen Gewalttaten. »Schon lange hetzen Rechte und Rechtsextreme gegen Menschen, die in Deutschland Zuflucht suchen«, sagte die 25jährige der Jungle World. Sie fordert deshalb »eine möglichst schnelle und umfassende Aufklärung der Gewalttaten und intensive Schutzvorkehrungen für die Menschen, denen der Anschlag gegolten hat«.

Seit Anfang des Jahres ist die Zahl der in Deutschland ankommenden Flüchtlinge stark gestiegen. Das liegt vor allem am russischen Überfall auf die Ukraine. Etwa eine Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer sind in Deutschland als Flüchtlinge registriert. Seit dem Sommer kommen aber auch wieder mehr Menschen aus anderen Ländern.

Für die Unterbringung der Flüchtlinge sind die Kommunen verantwortlich. Die Stadt Leipzig hat deshalb zum Beispiel mehrere frühere Notunterkünfte wieder eröffnet, darunter auch eine Zeltstadt. Im Osten Deutschlands werden – neben solchen Provisorien – häufig ehemalige Hotels oder leerstehende Produktionshallen für die Unterbringung der Schutzsuchenden genutzt.

Nicht nur in Sachsen werden seit einiger Zeit Flüchtlingsunterkünfte angegriffen. Im mecklenburgischen Groß Strömkendorf bei Wismar diente seit März dieses Jahrs das ehemalige Hotel Schäfereck als Unterkunft. Am 19. Oktober brannte es beinahe komplett ab. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich 14 ukrainische Geflüchtete dort, das jüngste Kind war gerade ein Jahr alt. Glücklicherweise wurde niemand verletzt, jedoch verbrannten die wenigen Habseligkeiten der ukrainischen Kriegsflüchtlinge. Das Gebäude soll nun umgehend abgerissen werden. Die Polizei geht von ­einem politischen Hintergrund aus, zumal bereits eine Woche zuvor ein ­Hakenkreuz auf das Eingangsschild geschmiert worden war.

Das Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern hat in den vergangenen sechs Monaten fünf Straftaten auf Flüchtlingsunterkünfte registriert. Darüber hinaus erfasste es 50 Straf­taten, bei denen Asylbewerber das Angriffsziel wurden. Dabei soll es sich überwiegend um Delikte wie Beleidigung und Volksverhetzung handeln, in 14 Fällen waren es Gewaltdelikte.

»Die Angriffe auf Geflüchtete sind auch Folge davon, dass Politiker wie Friedrich Merz in der gegenwärtigen Energiekrise Rassismus und Sozialchauvinismus bedienen«, sagte Martina Renner, eine thüringische Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, der Jungle World. Erst würden Feindbilder geschaffen, »die dann von der extremen Rechten übernommen werden und in Übergriffe und Anschläge münden«. Der CDU-Vorsitzende Merz hatte Ende September vom »Sozialtourismus« vieler ukrainischer Flüchtlinge gesprochen.

Die durch die wiederholten Tiraden aufgebaute Furcht hat Konsequenzen. In Thüringen sorgte die geplante Unterbringung von Geflüchteten in einer leerstehenden Produktionshalle im Landkreis Eichsfeld für ausufernde Proteste. In anonymen E-Mails wurde zum »Sturm« auf Behörden des Landkreises und der Stadt Leinefelde-Worbis aufgerufen, Adressen der am Mietvertrag beteiligten Personen wurden veröffentlicht. Schließlich sagte der christdemokratische Landrat Werner Henning, dass in der Leinefelder Produktionshalle keine Flüchtlingsunterkunft ­eröffnet wird. Henning zufolge wurde der Vertrag aufgehoben, da es nicht ausgeschlossen werden könne, dass Flüchtlinge dort angefeindet oder gar angegriffen würden.

Vom Land Thüringen erwartet der Landrat, dass dieses zukünftig selbst die Unterbringung von Flüchtlingen übernimmt. In den Kommunen gebe es keine Kapazitäten mehr. Bisher hat das Bundesland in diesem Jahr bereits 34 000 Menschen aufgenommen, weit mehr als im Jahr 2015.