Die Kampagne von CDU und Unternehmensverbänden gegen das sogenannte Bürgergeld

Du Bürger!

Obwohl das geplante »Bürgergeld« kaum Verbesserungen im Vergleich zum bisherigen Hartz-IV-System bringt, geht es den Unionsparteien und Unternehmensverbänden viel zu weit. Der Vorwurf, Faulpelzen eine »soziale Hängematte« zu bieten, erlebt eine Renaissance.

So umstritten das sogenannte Bürgergeld ist, mit dem die Bundesregierung das Arbeitslosengeld II, auch als Hartz IV bekannt, ersetzen möchte – einen Vorteil hätte seine Einführung auf jeden Fall: Die Beziehenden zu beleidigen, würde deutlich schwerer werden. »Du Hartzer« oder »er/sie harzt« würden als diskriminierende Zuschreibungen wegfallen. Aus »Bürger« hingegen lässt sich so schnell kein abwertendes Wortspiel kreieren. Das war wohl auch der Gedanke dahinter: Durch die freundlich klingende Umbenennung sollte der Eindruck entstehen, dass es sich bei den kleinen Veränderungen um einen grundlegenden Wandel handele.

Doch nun scheint die Einführung des »Bürgergelds« in Frage zu stehen. Die Pläne der Ampelkoalition haben einen Sturm der Entrüstung ausgelöst – allerdings nicht von Gewerkschaften oder Sozialverbänden, die sich aufregen könnten, weil Hartz IV nur dem Namen nach abgeschafft wird, sondern von Konservativen und Wirtschaftsliberalen. Sie haben das Ressentiment gegen die »soziale Hängematte« wieder aus der Mottenkiste geholt. Durch die Reform würden falsche Anreize gesetzt, Arbeit würde sich nicht mehr lohnen.

Die Regierung hat auf den Druck der Unionsparteien bereits reagiert und Veränderungen an dem Gesetzentwurf zum »Bürgergeld« vorgenommen.

Die geplanten Neuerungen führten zu einem Aufschrei der Unionsparteien, einiger Medien und Unternehmerverbände. »Bürgergeld lockt Sozialbetrüger« – behauptete Bild. Sozialrichter warnten der Zeitung zufolge, dass dem »Problem des organisierten Leistungsmissbrauchs neue Möglichkeiten« hinzugefügt würden. Der bayerische ­Ministerpräsident Markus Söder (CSU) fragte in einem Video auf Twitter: »Ist es in Deutschland so, dass jemand, der arbeitet, am Ende mehr hat als jemand, der nicht arbeitet?« Und der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz blieb sich in seiner Rede auf dem CSU-Parteitag treu, indem er davor warnte, mit dem »Bürgergeld« hätte es »für eine größere Gruppe von Menschen überhaupt keinen Sinn mehr, sich einer regulären Beschäftigung im deutschen Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen«. Im September hatte Merz bereits für Schlagzeilen gesorgt, als er ukrainischen Flüchtlingen »Sozialtourismus« vorwarf.

Die von Unternehmensverbänden finanzierte Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft warnte in ihren »10 Fakten zum Bürgergeld« vor »weniger Sanktionen, mehr Transfer«. Dabei seien Sanktionen wichtig und zielführend. Und: »Fast 77 Prozent der Bürgerinnen und Bürger wollen zudem, dass Leistungsbezieher weniger Geld bekommen, sollten sie sich nicht um einen Job bemühen«. Sarna Röser, die Bundesvorsitzende des Verbands »Die jungen Unternehmer«, schrieb in einem Gastbeitrag in der Wirtschaftswoche: »Niemand wird mit Absicht in die Situation kommen wollen, vom Bürgergeld leben zu müssen. Aber ohne Sanktionen ist nicht sicher, ob alle ausnahmslos davon auch zeitnah wieder wegwollen«.

Die Heftigkeit der Reaktionen mag überraschen, denn die Bundesregierung hat nur ein Reformvorhaben wiederaufgenommen, das bereits von der Großen Koalition aus CDU, CSU und SPD diskutiert worden war. Schon lange gab es laute und umfangreiche Kritik an den zwischen 2003 und 2005 eingeführten Hartz-Reformen für den ­Arbeitsmarkt, vor allem am Arbeits­losengeld II, das einem alleinstehenden arbeitslosen Erwachsenen derzeit nur 449 Euro pro Monat zugesteht. Sozialverbände und Gewerkschaften äußerten immer wieder vehemente Kritik an dem nach ihrer Ansicht nach zu ge­ringem Beitrag, der nicht für ein würdevolles Leben ausreiche.

Zum 1. Januar 2023 sollte dies nun alles besser werden – das »Bürgergeld« soll nach dem Willen der Regierung das alte System ablösen. Dabei sollen die Regelsätze lediglich von 449 Euro auf 502 Euro erhöht werden – angesichts der hohen Inflation ist das dürftig.

Außerdem sollen die Anspruchsberechtigten in den ersten sechs Monaten – außer bei Meldeversäumnissen – in Zukunft nicht mehr sanktioniert werden können. Danach sollen höchstens 30 Prozent der Bezüge gekürzt werden dürfen. In den ersten beiden Jahren darf man darüber hinaus in ­seiner Wohnung bleiben, auch wenn diese größer ist als in den Regeln vor­gesehen. Bislang gelten strikte Obergrenzen für den Wohnraum: 45 bis 50 Quadratmeter für eine Person, für zwei Personen in einer sogenannten ­Bedarfsgemeinschaft bis 60 Quadratmeter, eine Bedarfsgemeinschaft von drei Personen darf auf 75 Quadratmeter wohnen. Diese Regelungen sollen nach dem Willen der Koalition fortan erst nach zwei Jahren »Bürgergeld«-Bezug greifen, den Empfängern wird also eine Art Schonzeit gewährt.

Eine weitere Neuerung beinhaltet das sogenannte Schonvermögen. Bislang ist man verpflichtet, sein eigenes Vermögen aufzubrauchen, bevor man ­Arbeitslosengeld II bezieht. Der Freibetrag liegt altersabhängig bei etwa 4 000 bis 10 000 Euro. Zukünftig sollen bis zu 60 000 Euro Vermögen pro Person erlaubt sein. Jede weitere Person der Bedarfsgemeinschaft darf noch einmal 30 000 Euro zusätzlich besitzen.

Diese Änderungen reichten schon aus, um in den vergangenen Wochen stürmische Reaktionen zu provozieren. Auf breiter Front zeigte sich wieder die Kraft des Sozialneids und die Lust, Arme auch noch zu bestrafen. Die Rhetorik erinnert an die Zeit der Einführung der Hartz-Reformen, offiziell Agenda 2010 genannt. Begriffe wie »Sozialbetrüger«, »organisierter Leistungsmissbrauch«, »Sozialtourismus« und »soziale Hängematte« machen wieder die Runde.

Die Unionsparteien drohten kurz nach Bekanntwerden der geplanten Einführung zum 1. Januar 2023 mit einer Blockade im Bundesrat. Das Gesetz ist dort zustimmungspflichtig, doch die Ampelkoalition hat in der Länderkammer keine Mehrheit. Dabei gibt es bei der Erhöhung der Regelsätze gar keinen Dissens. »Niemand von uns bestreitet, dass die Regelsätze angehoben werden müssen«, betonte Merz auf seiner Rede auf dem CSU-Parteitag. Die fehlenden Sanktionen im ersten halben Jahr und das Schonvermögen seien aber indiskutabel.

Die Parolen von Merz und Co. haben freilich mit der Realität wenig zu tun. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) wollte gar in einer Studie nachweisen, dass bei einem Mindestlohn von zwölf Euro zukünftig ein Mensch, der Vollzeit mit Mindestlohn arbeitet, weniger Geld habe, als wenn er Bürgergeld beziehen würde. Mehrere Medien hatten über die Studie berichtet. Doch nach Kritik an der Berechnungsgrundlage zog das Institut sie kurz darauf zurück. Sie soll bald in einer ausgebesserten Version neu erscheinen.

»Wer nur auf die Regelsätze der Grundsicherung abstellt, argumentiert unseriös«, kommentierte der Sozial­wissenschaftler Gerhard Bäcker die These der Studie im Evangelischen ­Pressedienst. Denn eine Arbeitnehmerin, die zum gesetzlichen Mindestlohn von zwölf Euro arbeitet, habe – im Unterschied zu Bezieherinnen und ­Beziehern des »Bürgergelds« – möglicherweise Anspruch auf Leistungen wie etwa Wohngeld.

Dass der geringe Abstand zwischen Mindestlohn und »Bürgergeld« womöglich schlicht bedeutet, dass der Mindestlohn mit zwölf Euro immer noch zu niedrig ist, scheint in der öffentlichen Debatte indes kaum eine Rolle zu spielen. Deutlich wird aber, dass das »Bürgergeld« genauso wie Hartz IV vor allem als Druckmittel dienen soll, um Menschen dazu zu drängen, auch und schlechtbezahlte Jobs mit miesen Arbeitsbedingungen anzunehmen.

Die Regierung hat auf den Druck der Unionsparteien bereits reagiert und Veränderungen an dem Gesetzentwurf zum »Bürgergeld« vorgenommen. ­Geplant ist, dass die Heizkosten in der zweijährigen Karenzzeit nur noch in »angemessener« Höhe übernommen werden sollen. Das Vermögen der Bezieher soll weiterhin genau aufgelistet werden, damit die Jobcenter überprüfen können, ob die Schongrenze überschritten wird. Ob die Union im Bundesrat dem Gesetz zustimmt und welche Form dieses dann hat, ist noch offen. Merz hatte am Wochenende vorgeschlagen, erst einmal nur die Hartz-IV-Sätze zu erhöhen. Dann müsse man sich »allerdings über alle anderen Themen dieses sogenannten Bürgergelds ausführlich unterhalten«.

Sozialverbände warnen derweil, dass die geplante Erhöhung nicht hoch genug ausfalle. »Wir bleiben beim Bürgergeld dabei: Die geplante Anhebung ist zu gering. Unseren Berechnungen nach brauchen wir 650 Euro ab Januar und 100 Euro mehr sofort für den Übergang. Denn die Betroffenen in Grundsicherung leiden schon jetzt unter Preisexplosion und Rekordinflation«, mahnte die Vorstandsvorsitzende des Sozialverbands Deutschland, Michaela ­Engelmeier.