Eine neue Terrorgruppe verübt Anschläge im Westjordanland

Terror der Großkatzen

Eine neue Terrorgruppe im Westjordanland verübt Anschläge auf Israelis. Der jüdische Staat reagiert mit Härte, hat aber zugleich ein Interesse daran, die Sicherheitskooperation mit der Palästinensischen Autonomiebehörde nicht zu gefährden.

Seit einigen Monaten hält eine neue palästinensische Terrorgruppe die israelischen Sicherheitskräfte in Atem. »Höhle der Löwen« nennt sie sich, der Name geht auf Ibrahim al-Nabulsi zurück, den Kommandeur der Al-Aqsa-Märtyrerbrigaden, des bewaffneten Arms der Fatah. Nabulsi war als »Löwe von Nablus« bekannt und hatte zahlreiche Follower auf der Social-Media-Plattform Tiktok. Die israelische Armee tötete ihn Anfang August bei einer Razzia. Sie hatte schon länger nach ihm gesucht, weil sie ihm vorwarf, mehrere Terrorangriffe auf Israelis organisiert zu haben. Israel hatte nach einer Welle von palästinensischen Anschlägen im Frühjahr seine Antiterroreinsätze im Westjordanland intensiviert, nicht zuletzt in Nablus.

Der Gruppe »Höhle der Löwen« gehören überwiegend junge Palästinenser an, die aus verschiedenen, teilweise ebenfalls terroristischen Organisationen wie der Hamas, dem Islamischen Jihad und Teilen der Fatah stammen. Sie wollen die traditionellen Unterschiede und Feindseligkeiten zwischen den Terrorvereinigungen überwinden und richten sich nicht nur gegen Israel, sondern auch gegen die von der Fatah-Führung kontrollierte Palästinensische Autonomiebehörde (PA), der sie Korruption und die Zusammenarbeit mit dem verhassten jüdischen Staat in Sicherheitsfragen vorwerfen.

Die »Höhle der Löwen« vernetzt sich vor allem über den Messenger-Dienst Telegram und hat nicht weniger zum Ziel als eine »dritte Intifada«. Um diese herbeizuführen, wartet sie mit ihren Aktivitäten nicht ab, bis die israelische Armee zu Razzien in palästinensische Städte kommt, sondern greift unabhängig davon israelische Ziele an, beispielsweise Soldaten, Siedlungen und Autos mit Zivilisten. 212 Angriffe im Westjordanland und Jerusalem gab es nach israelischen Angaben allein im September, davon 34 Schießereien. Das sind so viele wie seit zehn Jahren nicht mehr. Israel befürchtet, dass auch junge, nicht politisch organisierte Palästinenser sich die Terrorangriffe zum Vorbild nehmen könnten, um ihrerseits Anschläge zu verüben – nicht im Auftrag der »Höhle der Löwen«, aber in deren Namen. Das würde es noch schwieriger machen, gegen sie vorzugehen.

Als Vorbild für die Miliz gilt das »Nablus-Bataillon«, ein im Mai gegründeter lokaler Zusammenschluss diverser Terrororganisationen, der sich seinerseits am »Jenin-Bataillon« orientiert, das im September 2021 vom Islamischen Jihad ins Leben gerufen wurde. Die PA hat zwar einige Anhänger der »Höhle der Löwen« verhaftet, in Jenin aber die Kontrolle über deren terroristische Aktivitäten verloren. Diesem Problem versucht sie unter anderem dadurch zu begegnen, dass sie den Inhaftierten das Angebot macht, für die Sicherheitskräfte der Autonomiebehörde tätig zu werden. Israel genügt das nicht, die Armee geht daher selbst gegen die Miliz vor. Sie tötete Ende Oktober in Nablus unter anderem zwei von deren führenden Mitgliedern und verhaftete weitere, außerdem riegelte sie die Stadt zeitweise großräumig ab, um weitere Angriffe zu verhindern.

Für den jüdischen Staat ist das ein heikler Balanceakt. Einerseits soll durch die Militäraktionen der »Höhle der Löwen« eine klare Grenze gesetzt und aufgezeigt werden, dass terroristische Handlungen zu harten Konsequenzen führen – auch, um potentielle Nachahmer in anderen Städten des Westjordanlands abzuschrecken. Andererseits könnte ein womöglich noch härteres Vorgehen unter der neuen israelischen Regierung dazu führen, dass die Gruppe weiteren Zulauf bekommt – und noch mehr Unterstützung aus der palästinensischen Bevölkerung, die bereits bei den Razzien in ­Nablus teilweise Steine warf und Autoreifen anzündete. Das Arrangement mit der PA in Sicherheitsfragen war bislang bei allen Problemen im israelischen Interesse. Es zu gefährden, würde die Sicherheit des jüdischen Staates gewiss nicht verbessern.