Über die Verschärfung des Volksverhetzungsparagraphen

Schwammiges Verbot

In einem Verwaltungsakt hat der Bundestag den Volksverhetzungsparagraphen des Strafgesetzbuchs ohne Aussprache verschärft. Trotz der grundsätzlich sinnvollen Ergänzung bleibt ein bitterer Beigeschmack.
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Volksverhetzung gehört zu den strafrechtlichen Tatbeständen, die besonders vage formuliert sind. Daran hat sich durch die jüngste Reform des diesbezüglichen Paragraphen 130 des Strafgesetzbuchs (StGB) nichts geändert. Dessen neu eingefügter fünfter Absatz stellt die öffentliche Billigung, Leugnung oder gröbliche Verharmlosung verschiedener völkerstrafrechtlicher Verbrechen unter Strafe, wenn dadurch zu Hass oder Gewalt gegen gesellschaftliche Gruppen aufgestachelt und der öffentliche Frieden gestört wird.

Die zentrale Aussage der neuen Norm ist: Die Leugnung oder Verharmlosung schwerer Kriegsverbrechen wird nicht geduldet. Das erkennt das Leid der Opfer an und macht klar: Wer behauptet, dass die Kriegsverbrechen in Butscha oder Srebrenica oder der Genozid an den Armenier:innen nicht begangen worden oder gar nicht so schlimm gewesen seien, kann sich damit strafbar machen. Auch wenn man der Praxis des Strafens skeptisch gegenübersteht, ist diese Erweiterung viel wert. Aus politischer Perspektive stellt sich die Frage, ob die neue Norm weitgehend symbolischen Charakter hat. Viel mehr ins Gewicht fällt jedoch, welchen Einfluss die neue Strafvorschrift auf die Gesellschaft und die Debatten über Genozide und andere Kriegsverbrechen haben könnte.

Hier jedoch liegen auch die Probleme der neuen Regelung. Es ist eine Sache, die Verharmlosung von Menschheitsverbrechen zu bestrafen, über deren Bewertung zumindest in wissenschaftlichen Kreisen weitgehende Einigkeit besteht. Doch der neue Paragraph zur Volksverhetzung könnte auch sehr viel umstrittenere Fragen der Geschichtsschreibung zum Gegenstand von Strafprozessen machen. So bezieht sich der neue fünfte Absatz des Paragraphen 130 StGB nicht nur auf Genozide, sondern zum Beispiel auch auf die unnötige und völkerrechtswidrige Zerstörung von Eigentum im Krieg. Man kann sich leicht ausmalen, wie eine solche Norm gegen Unter­stützer:innen Israels instrumentalisiert werden könnte. Auch die völkerrechtliche Bewertung der Bombardierung Dresdens ist keineswegs abschließend geklärt. Im Zweifel soll das nun zur Aufgabe deutscher Amtsgerichte werden, die dies nicht selten überfordern dürfte.

Damit wird das Strafrecht weiter politisiert und die politische Debatte wird in die Gerichtssäle verwiesen. Das dürfte Auswirkungen darauf haben, wie miteinander gestritten wird. Ob man sich der Gefahr einer Verurteilung zu maximal drei Jahren Haft aussetzen möchte, werden sich die meisten zweimal überlegen – die einschüchternde Wirkung der strafrechtlichen Verfolgung von Meinungen beginnt nicht erst mit dem Urteil eines Gerichts. Wenn man nicht weiß, was verboten ist, sagt man häufig lieber gar nichts.

Eine besser durchdachte Reform des Paragraphen 130 StGB wäre deshalb wünschenswert gewesen. Dass es dazu nicht gekommen ist, mag auch mit dem Verfahren zusammenhängen – und damit, dass die EU-Kommission im Dezember vergangenen Jahres ein sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik anstrengte, weil die »strafrechtliche Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit« hierzulande unzureichend betrieben werde. Die Änderung wurde in einem sogenannten Omnibusverfahren an eine unscheinbare Änderung des Bundeszentralregistergesetzes angehängt und nachts, kurz vor 23 Uhr, verabschiedet. Der Sache ist das nicht angemessen. Eine wirkliche Debatte hätte die Mängel des Gesetzes vielleicht klarer zum Vorschein bringen können. So bleibt trotz einer grundsätzlich sinnvollen Ergänzung ein bitterer Beigeschmack.