Der Asean-Gipfel in Phnom Penh, der Bürgerkrieg in Myanmar und der Ukraine-Krieg

Die große Spaltung

Auf dem Asean-Gipfel in Phnom Penh standen der Bürgerkrieg in Myanmar und die russische Invasion in der Ukraine im Mittelpunkt. Die Mitgliedstaaten sind in Hinblick auf beide Konflikte uneinig.

Das große Chaos blieb aus – zumindest auf den Straßen Phnom Penhs, als dort die kambodschanische Regierung Mitte November das Gipfeltreffen der Asean-Staaten ausrichtete. Zum Verband Südostasiatischer Nationen (Asean) gehören seit Ende der Neunziger neben dem Sultanat Brunei, Indonesien, Malaysia, den Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam auch Staaten mit engen Verbindungen zu China, nämlich ­Kambodscha, Laos und Myanmar. Doch General Min Aung Hlaing, seit dem Putsch im Februar 2021 der Führer von Myanmars Militärjunta, war wegen des Bürgerkriegs in seinem Land ausgeladen. Hingegen besuchten der US-amerikanische Präsident Joe Biden, der chinesische Premierminister Li Keqiang und der russische Außenminister Sergej Lawrow den Gipfel. Im Mittelpunkt des Treffens stand vor allem der Konflikt in Myanmar, aber auch der Krieg in der Ukraine.

Insbesondere der Bürgerkrieg in Myanmar hatte Befürchtungen ausgelöst, dass es auf dem Gipfel zu einer regelrechten Spaltung der Asean-Staaten kommen könnte. Zu Beginn dieses Jahres hatte Kambodscha den Vorsitz der Asean übernommen und schon im Januar reiste der kambodschanische ­Ministerpräsident Hun Sen nach Myanmar, um sich dort mit General Min Aung Hlaing zu treffen. Dieses Vorgehen war ein Bruch des im April 2021 von der Asean verabschiedeten sogenannten Fünf-Punkte-Konsenses, der Gespräche mit allen Konfliktparteien vorsah; die Junta hatte Hun Sen jedoch ein Treffen mit Oppositionellen untersagt. Malaysias Außenminister Saifuddin Abdullah kritisierte den Besuch Hun Sens deshalb heftig. Er sagte sogar seine Teilnahme am Asean-Außenministertreffen im Februar zunächst ab und stieß erst nach einigen diplomatischen Interventionen verspätet zum Treffen.

Der thailändische Diplomat Kasit Piromya sagt, die Asean-Mit­glied­staa­ten sollten wirklichen Druck auf die Junta in Myanmar ausüben, einschließlich Sanktionen, Waffen­embargos und Reiseverboten.

Bereits vor zehn Jahren hatte ein Alleingang Kambodschas für Kritik gesorgt. Auch damals unter Hun Sens Vorsitz endete der Abschlussgipfel ohne die geplante Resolution, weil Kambodscha sich in Sachen der Territorialstreitigkeiten im Südchinesischen Meer auf die Seite Chinas geschlagen hatte, sehr zum Unwillen mehrerer anderer Asean-Staaten. In von China beanspruchten Teilen des Südchinesischen Meers liegen Inseln, die die Philip­pinen, Vietnam, Malaysia und Brunei zu ihrem Territorium zählen. »2012 war das Jahr, in dem sich Kambodscha ganz ungeniert vor aller Welt als Lobbyist chinesischer Interessen in Südostasien entpuppt und diese Rolle seitdem nicht wieder ab­gelegt hat«, sagt der Politologe Markus Karbaum, Kambodscha-Experte aus Berlin, der Jungle World.

Den Eklat, für den Kambodscha dieses Jahr in Sachen Myanmar gesorgt hat, kritisiert Kasit Piromya, thailändischer Diplomat und ehemaliger Außenminister des Landes (2008–2011), im Gespräch mit der Jungle World scharf: »Die Strategie Kambodschas, die Junta in Myanmar zu beschwichtigen, hat nur Min Aung Hlaing in die Hände gespielt und keine greifbaren Ergebnisse vor Ort gebracht.« Hun Sen habe damit nur erreicht, dass sich die Junta in ihrer Herrschaft legitimiert sehe, und das Ziel des Fünf-Punkte-Konsenses der Asean torpediert, die Junta zu isolieren. Der Konsens sieht die sofortige Beendigung der Gewalt vor, einen Dialog zwischen allen Parteien, um eine friedliche Lösung im Interesse der Bevölkerung zu finden, die Vermittlung durch einen Asean-Gesandten und die Bereitstellung humanitärer Hilfe durch die Asean.

»Der Alleingang hatte innerhalb der Asean zu Verstimmung geführt. Danach ist von ähnlichen Alleingängen abgesehen worden«, erläutert Felix Heiduk, Forschungsgruppenleiter Asien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

Auf dem Gipfel verabschiedeten die Asean-Staaten eine gemeinsame Re­solution zur Krise in Myanmar, die 15 Punkte umfasst. »Die Resolution bedeutet mehr vom Gleichen«, meint Piromya über das Ergebnis des Gipfels. »Die Asean hält an einer Vereinbarung fest, die sich seit ihrer Unterzeichnung im April 2021 als völliger Fehlschlag erwiesen hat.« In einem Punkt der Re­solution werden die UN und weitere Mächte eingeladen, sich bei der Konfliktlösung zu engagieren. Dazu sagt Heiduk der Jungle World: »Es ist mehr oder weniger jeder eingeladen worden, der eine Idee oder eine Lösung hat. Das ist ein Armutszeugnis für die Asean, die ja zu Beginn der Myanmar-Krise sehr darauf gepocht hat, die Angelegenheit alleine zu managen.«

Doch während Singapur, Indonesien, Malaysia und Brunei die Junta in Myanmar stärker isolieren wollen, stehen Thailand, Kambodscha und Vietnam dem kritisch gegenüber. »Die Verfasstheit der Asean macht es schwierig, sich da als Gruppe durchzusetzen, wenn das Veto eines Staats reicht, um zumindest auf dieser supranationalen Ebene entsprechende Vorhaben zu torpedieren«, erläutert Heiduk.

Aaron Connelly, Senior Fellow für südostasiatische Politik und Außenpolitik am International Institute for Strategic Studies (IISS), sieht kurzfristig keine Lösung. »Der Kurs müsste sich deutlich ändern. Min Aung Hlaing müsste gedrängt werden, aus dem Amt zu scheiden, Aung San Suu Kyi müsste freigelassen werden«, sagt er der Jungle World. Karbaum meint: »Eine echte regionale Lösung des Konflikts in Myanmar, wie immer die auch aussehen könnte, ­würde die DNA der Asean grundlegend verändern.« Allerdings wolle nur eine kleine Minderheit der Mitgliedstaaten den Status quo ändern.

Piromya schlägt konkretere Schritte vor: »Die Mitgliedstaaten sollten wirklichen Druck auf die Junta ausüben, einschließlich Sanktionen, Waffenembargos und Reiseverboten in der Re­gion.« Außerdem müsse das National Unity Government (NUG), die Vertretung der Opposition, als rechtmäßige Regierung Myanmars anerkannt werden. Zudem solle »die Asean humanitäre Hilfe durch zivilgesellschaftliche Organisationen liefern lassen anstatt durch das Militär, das dafür bekannt ist, Hilfe als Waffe einzusetzen«. Heiduk meint, die Verantwortlichen in Indo­nesien, Singapur und Malaysia wüssten, dass sie zwar Druck auf das Regime ausüben, »aber selbst keinen Einfluss auf das Konfliktgeschehen nehmen können«.

Beim Ukraine-Krieg konnte der Staatenbund sich auf keine einheitliche ­Position einigen. »Innerhalb der Asean gibt es unterschiedliche Ansichten über den russischen Einmarsch in der Ukraine«, erklärt Connelly. Heiduk verweist auf mehrere Faktoren, die dafür sorgten, dass die Differenzen nicht überwunden werden konnten: »Das hat auf der einen Seite historische Gründe, einige Vertreter der Blockfreien stehen westlichen Sanktionen sehr kritisch gegenüber. Zudem haben vor allem Vietnam, Laos und Kambodscha enge historische Bindungen zu Russland.« Piromya hält fest, dass es innerhalb der Asean nicht nur die unterschiedlichsten politischen Systeme von der Einparteienherrschaft über die absolute Monarchie bis hin zur Demokratie gebe, sondern auch widerstreitende geopolitische Ausrichtungen. »Einige tendieren zu den USA, andere zu China und Russland.«

»Der Gipfel und zahlreiche weitere Veranstaltungen wurden von der Regierung Hun Sen erfolgreich organisiert«, fasst Heiduk zusammen. »Was nicht passierte und was auch keiner erwartet hat, ist, dass Kambodscha neue Ideen für eine Weiterentwicklung der regionalen Integration der Asean gebracht hat«, fährt er fort. Piromya sieht das Jahr unter Kambodschas Vorsitz kri­tischer: »Ich glaube nicht, dass der Vorsitz Kambodschas eine positive Entwicklung für die Asean war. Er hat die internen Spaltungen nur vertieft, weil das Land abtrünnig wurde, indem es den Konsens zu Myanmar brach.«

Aaron Connelly vom IISS gesteht Hun Sen zumindest zu, dass er sich von China unabhängiger als noch im Jahr 2012 zeigen konnte. Wenn er die Rolle des diplomatischen Wortführers der Region ausfüllen wolle, die er gerne innehätte, müsse er noch einiges tun. »Der Gipfel von Phnom Penh hat einmal mehr deutlich gemacht, dass der oft beschworene Asean way längst aus der Zeit gefallen ist, weil er den inter­nationalen Herausforderungen nicht gewachsen ist. Insofern könnte die Asean noch mehr an Bedeutung verlieren, ihr Niedergang wurde in diesem Jahr jedenfalls nicht verlangsamt«, bewertet Karbaum die Gipfelergebnisse. Derweil übergab Hun Sen den Vorsitz der Asean für 2023 an Indonesiens ­Präsident Joko Widodo.