Der Wintersport muss sich auf den Klimawandel einstellen

Wintersport im (Klima-)Wandel

Die steigenden Temperaturen machen auch vor dem Wintersport nicht halt und werden ihn nachhaltig verändern.

Wer schon einmal auf der A24 von Hamburg nach Berlin gefahren ist, dem ist mit hoher Wahrscheinlichkeit irgendwo im Nirgendwo zwischen Kogel und Bobzin eine etwa 50 Meter hohe Stahlkonstruktion aufgefallen. Das Alpincenter Hamburg-Wittenburg wirkt auffallend deplatziert in der norddeutschen Tiefebene. Ein Eindruck, der sich noch verstärkt, wenn man von der Autobahn abfährt und vorbei an Schnellrestaurants und Tankstellen auf den überdimensioniert wirkenden Parkplatz einbiegt und das angrenzende Hotel mit ­seinem pseudobayerischen Kitsch erblickt. Die Skihalle selbst gibt es bereits seit 2006 und doch gibt sie ein Bild von der Zukunft.

Entstand der Skisport einst, weil es Schnee gab, muss heute meist Schnee herbeigekarrt oder künstlich erzeugt werden, damit Skisport betrieben werden kann. Das gilt für Skihallen genauso wie für natürliche Berghänge. Erstere bieten dabei ­jedoch den Vorteil, dass man für sie keine Berge benötigt und dass sie ­bedeutend einfacher zu kühlen sind als offenes Gelände. Die Skihalle in Wittenburg ist daher auch bei weitem nicht die einzige ihrer Art. Allein in Deutschland gibt es fünf weitere, weltweit sind es über 50. Eine davon befindet sich in Dubai in einem ­gigantischen Kaufhaus. 2021 fand dort ein offizieller Qualifikationswettkampf des Weltskiverbandes FIS für die Olympischen Spiele in Peking statt. In Wittenburg werden immerhin Rennen des Amateuren und Senioren vorbehaltenen FIS Masters Cup veranstaltet.

Anfang November fand im polnischen Wisła zum ersten Mal ein Weltcupspringen auf Matten statt, weil es selbst für Kunstschnee zu warm war.

In eine gänzlich neue Dimension stößt das Königreich Saudi-Arabien vor. Dort soll zwar keine Halle errichtet werden, dafür aber ein komplettes Skigebiet mitten in der Wüste. In der Bergregion Trojena im Nordwesten des Landes soll als Teil des megalomanischen Großprojekts Neom, einer 170 Kilometer langen Planstadt, ein Ressort entstehen, in dem dann 2029 die Austragung der asiatischen Winterspiele geplant ist. Auf den dortigen Bergen sinkt die Temperatur im Winter zwar tatsächlich unter den Gefrierpunkt, es schneit jedoch so gut wie nie.

Abfahrtsrennen in Einkaufszentren, Winterspiele in der Wüste, ­Skihotels in Mecklenburg-Vorpommern – der Wintersport hat die ach so heile Bergwelt, aus der er stammt, schon lange hinter sich gelassen. In Dresden finden seit 2017 regelmäßig Weltcuprennen im Langlauf statt. Im gleichen Jahr gab es in Mönchengladbach einen Wettkampf im Freestyle-Skiing. In der Arena des Fußballbundesligisten Schalke 04 ist für den 28. Dezember ein Biathlonrennen angekündigt. Bereits 1986 fand auf dem Teufelsberg im Westen Berlins ein offizielles Weltcup-Rennen im Parallelslalom statt – allerdings schneite es seinerzeit in Berlin noch regelmäßig, der Teufelsberg hatte deshalb seit 1964 einen Skilift.

Dass der Wintersport die Berge verlässt, ist naheliegend. Der Deutsche Skiverband erwartet, dass »die derzeitig steigenden Durchschnittstem­peraturen« dazu führen könnten, dass »die für den Wintersport ausreichenden Schneehöhen erst oberhalb von 1 200 bis 1 500 Metern anzutreffen sind.« Mit Ausnahme des Feldbergs im Schwarzwald, des Großen Arbers im Bayerischen Wald und des Fichtelbergs im Erzgebirge erreichen in Deutschland nur Alpengipfel diese Höhe. Skisport in den Mittelgebirgen wird es also, sofern nicht durch künstliche Beschneiung nachgeholfen wird, nicht mehr geben. Wenn man nun aber ohnehin auf Kunstschnee angewiesen ist, warum soll man dann die Wettkämpfe nicht dorthin verlegen, wo das Publikum wohnt, anstatt es umständlich in irgendwelche Gebirgstäler zu locken?

Tatsächlich könnte es auch für die Natur besser sein, den Skisport von seinem ursprünglichen Lebensraum zu entkoppeln. Kunstschnee verbraucht ungemein viel Wasser. Laut WWF Deutschland erfordert die künstliche Beschneiung einer Fläche von einem Hektar pro Jahr etwa eine Million Liter Wasser. »In den Alpen führen einige Flüsse schon bis zu 70 Prozent weniger Wasser als vor Einführung der Schneekanonen«, so die Umweltschutzorganisation.

Den Skisport dorthin zu verlegen, wo es ausreichend Wasser gibt, würde zumindest dieses Problem beheben. Gleichzeitig würden weniger Menschen in die empfindlichen Naturregionen des Hochgebirges reisen, was die dortigen Ökosysteme deutlich entlasten würde. Von den bis zu 50 Mil­lionen Tourist:innen in den Alpen reisen gerade einmal fünf Prozent mit der Bahn an. In verkehrstechnisch besser angebundenen Regionen wäre dieser Anteil sicher merklich höher.

Natürlich kann man auch fragen, ob, wenn man all das berücksichtigt, der Wintersport überhaupt eine Zukunft haben sollte. Richtiger wäre aber vielleicht zu schauen, unter welchen Voraussetzungen, in welcher Form und in welchem Ausmaß er eine Zukunft haben kann. Fakt ist: Skigebiete wie das geplante Megaprojekt in Trojena sind lediglich deshalb denkbar, weil ein autoritäres Regime wie das saudische die Regeln des Marktes in den Wind schlägt, um durch Sportswashing das eigene Image aufzupolieren. Es ist nichts anderes als die Fußballweltmeisterschaft, die gerade in Katar stattfindet, nur halt mit Kunstschnee. Wenn das die Zukunft des Skisports ist, wäre es besser, er hätte gar keine.

Zu unterscheiden gilt es zum einen zwischen Breiten- und Leistungssport, zum anderen zwischen den alpinen und den nordischen Skisportarten sowie skilosen Wintersportarten wie dem Bobsport, dem Rodeln oder auch dem Curling. Für Letzteres wie auch für Eishockey besteht wenig Grund zur Sorge, da beides ohnehin meist in Hallen betrieben wird. Im Bobsport und beim Rodeln werden die Bahnen schon jetzt künstlich gekühlt, auch um für alle Teilnehmenden vergleichbare Verhältnisse zu ermöglichen. Durch die WM in Katar beginnt in diesem Winter die Rodelsaison deutlich später. Um Energie zu sparen, könnte man einen so späten Saisonstart auch in Zukunft beibehalten.

Da die nordischen Skisportarten im Gegensatz zu den alpinen nicht unbedingt steile Abhänge benötigen, können sie prinzipiell überall betrieben werden, wo es genug Platz für eine Loipe, eine Schanze und gegebenenfalls einen Schießstand gibt. Auch die nordischen Disziplinen werden vom Klimawandel betroffen sein, aber sie haben auch weit mehr Ausweichmöglichkeiten. Prinzipiell lässt sich ein Biathlonwettkampf überall abhalten, wo es kalt genug ist, dass der Kunstschnee lange genug liegenbleibt – und das wird trotz des Klimawandels auch in Zukunft an vielen Orten im Winter der Fall sein, wenn auch sicher für immer kürzere Zeiträume. Im Skispringen kommt man notfalls sogar ganz ohne Schnee aus. Anfang November fand im polnischen Wisła zum ersten Mal ein Weltcupspringen auf Matten statt, weil es selbst für Kunstschnee zu warm war.

Die alpinen Skisportarten hingegen stehen vor weit größeren Herausforderungen. Skihallen wie die in Wittenburg oder Dubai eignen sich vielleicht, zumal im Sommer, als Trainingshügel. Wirkliche Wettkämpfe, die die Weltspitze an Athleten vor ausreichend Herausforderungen stellen, sind auf ihnen jedoch nicht möglich. Hinzu kommt, dass sie in ihrer heutigen Form keinen oder nur wenig Platz für Zuschauer:innen bieten, die jedoch, wie die Pandemie gezeigt hat, für aufregende Fernsehbilder unerlässlich sind.

Wettkämpfe an den traditionellen Standorten durchzuführen, wird auf lange Sicht deutlich teurer und merklich schwieriger werden, vor ­allem wenn man weiterhin die Saison bereits im Oktober beginnen lassen will. Von den ersten acht Wettkämpfen der laufenden Saison des FIS ­Alpine Ski World Cup fand lediglich einer tatsächlich statt. Neue Standorte in höheren Gebirgen wie etwa dem Kaukasus oder dem Ural sind nicht nur derzeit aus politischen Gründen keine Alternative, es gibt dort auch schlicht kein Publikum für derlei Wettkämpfe. Vermutlich wird kein Weg daran vorbeiführen, die Saison in Zukunft kompakter zu gestalten und notfalls mehrere Wettkämpfe an denselben Standorten durchzuführen, was auch die Reisekosten und den damit verbundenen ökologischen Fußabdruck verringern würde.

All das betrifft jedoch nur den Profisport, und den kann es nur geben, wenn es auch einen Breitensport gibt. Nur aus diesem können zukünftige Profisportler:innen rekrutiert werden, und auch die Wahrscheinlichkeit, sich als Publikum für Skisport zu interessieren, ist sicherlich deutlich ­höher, wenn man selbst schon einmal auf Skiern gestanden hat. Hier liegt der grundlegende Widerspruch. Wenn es immer aufwendiger wird, Skigebiete sportlich nutzbar zu machen, werden in einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung auch die Preise für deren Benutzung steigen, was wachsende Teile der Bevölkerung vom Skisport ausschließt.

Schon jetzt ist das Interesse am Skisport deutlich rückläufig. In den vergangenen 20 Jahren hat der Deutsche Skiverband mehr als 180 000 und damit ein Viertel seiner Mitglieder verloren. Überlässt man den ­alpinen Wintersport dem Markt, wird es ihn bald höchstens noch als Nischenphänomen geben, weil er für einen Breitensport zu teuer sein wird.