Deutschland importiert mehr Flüssiggas aus Katar, Aserbaidschan und sogar Russland

Auf der Jagd nach Flüssiggas

Weil Russland kaum noch Erdgas liefert, sind die Bundesregierung und die EU auf der Suche nach Ersatz. Besonders wählerisch ist man dabei nicht. So gelten Katar und Aserbaidschan inzwischen als wichtige »Energiepartner«.

Nur wenige Staaten haben in Deutschland derzeit eine so schlechte Presse wie Katar. Wegen der Fußballweltmeisterschaft berichten deutsche Medien ausgiebig über Menschenrechtsverletzungen und Missstände in dem kleinen Emirat am Persischen Golf. Da mutet es fast schon grotesk an, dass Katar gleichzeitig als Hoffnungsträger für die Energiekrise in Deutschland gehandelt wird. Sichtlich stolz präsentierte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vergangene Woche ein neues Abkommen mit Qatar Energy. Demnach soll der Staatskonzern ab 2026 mindestens 15 Jahre lang jährlich 2,7 Milliarden Kubikmeter Flüssigerdgas (LNG) nach Deutschland liefern.

Das entspricht zwar gerade mal rund drei Prozent der Menge, die deutsche Haushalte und Unternehmen jährlich verbrauchen. Die vereinbarten Liefermenge sei aber noch ausbaufähig, betonte der katarische Energieminister Saad Sherida al-Kaabi kürzlich in ­einem Interview mit der Bild-Zeitung. »Wir werden so viel liefern, wie wir Aufträge bekommen«, sagte er.

Habeck ist vor allem über die lange Laufzeit begeistert, die maßgeblich zur Energiesicherheit beitragen werde. »15 Jahre ist super«, meinte der Grünen-Politiker, denn der zeitliche Rahmen passe zu den Klimazielen der Bundesregierung. Diese sehen vor, dass spätestens ab 2040 der Gasverbrauch deutlich reduziert wird. Fünf Jahre später will Deutschland dann klimaneutral wirtschaften. »Die Klimaschutzziele von Paris zu erreichen, hat für uns oberste Priorität«, heißt es dazu im Koalitionsvertrag.

Die Bundesregierung will also in wenigen Jahren den Verbrauch fossiler Energie drastisch reduzieren, während sie gleichzeitig langfristige Lieferverträge für Flüssiggas aushandelt. Niklas Höhne, Klimaexperte beim New Climate Institute, sieht darin, anders als Habeck, einen krassen Widerspruch zu den nationalen Klimazielen. »Wenn Flüssiggas zur Energiesicherheit beitragen soll, dann von jetzt an für etwa fünf Jahre. Spätestens dann sollten wir in Deutschland so viel Gas eingespart haben, das LNG-Importe nicht mehr nötig sind«, sagte Höhne dem Tagesspiegel. »Jetzt einen Vertrag auf 15 Jahre bis 2041 abzuschließen, steht der Energiewende im Weg.«

Hinzu kommt, dass die für die Flüssiggaslieferung benötigte Infrastruktur erst noch gebaut werden muss, ein teures und aufwendiges Unterfangen. ­Allein für die schwimmenden LNG-Terminals hat die Bundesregierung rund 6,56 Milliarden Euro eingeplant. Um es für den Transport zu verflüssigen, muss das Gas extrem gekühlt werden, was im ungünstigsten Fall so viel Energie verbraucht, wie in einem Viertel der transportierten Gasmenge steckt. Energieeffizient ist das Verfahren also nicht.

Künftig sollen auch große Mengen an Flüssiggas aus den USA kommen. Dort wird das Gas vorwiegend durch Fracking gewonnen – eine Methode, die Umweltschäden verursacht und bei der das Treibhausgas Methan freigesetzt wird. In Deutschland ist Fracking deswegen bislang nicht erlaubt. Finanzminister Christian Lindner hält aber die Fördermethode hierzulande für umweltverträglich und fordert, das Verbot aufzuheben.

Der erste mit Flüssiggas beladene Tanker wird Ende dieser Woche in Wilhelmshaven erwartet. Bis Ende 2023 könnten sieben schwimmende LNG-Terminals an das Gasnetz angeschlossen sein. Hinzu kommen drei stationäre Anlagen in Wilhelmshaven, Stade und Brunsbüttel, die frühestens 2025 oder 2026 in Betrieb gehen sollen.

Pipelines und Terminals seien auch für »grüne« Energie geeignet, die geplanten LNG-Projekte seien »wasserstoffready«, meint Habeck. Man denke »gleichzeitig die Loslösung der fossilen Infrastruktur« mit. Ob das wirklich stimmt, ist allerdings zweifelhaft. Einer neuen Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung zufolge sei eine spätere Umrüstung von LNG-Terminals für den Import von Flüssigwasserstoff oder Ammoniak zumindest mit großen Unsicherheiten verbunden. Gut möglich also, dass gerade mit sehr viel Geld eine Infrastruktur aufgebaut wird, die Deutschland für viele Jahrzehnte an den fossilen Energieträger Erdgas bindet.

Weil die zusätzlichen Importe aus Katar erst in einigen Jahre kommen werden, ist die Bundesregierung ebenso wie die Europäische Union intensiv bemüht, zusätzliche Energielieferanten zu finden. So reiste die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bereits im Sommer nach Aserbai­dschan, einem Land, dass ebenso wie Katar über große Rohstoffvorkommen verfügt und zugleich für schwere Menschenrechtsverletzungen bekannt ist. Zwei Monate nach dem Besuch griff Aserbaidschan erneut Armenien an. Von der Leyen hatte damals eine Absichtserklärung über eine »strategische Energiepartnerschaft« verkündet. Das Abkommen sei ein Meilenstein in den Beziehungen zum »zuverlässigen Energielieferanten« Aserbaidschan, der der EU helfen werde, ihre Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen aus Russland zu verringern, sagte sie. Die Vereinbarung ist allerdings denkbar ­unverbindlich formuliert. Die aserbaidschanische Regierung soll demnach die Verdoppelung der Gasausfuhren des Landes »anstreben«.

Pikanterweise hat Aserbaidschan kürzlich einen Gasliefervertrag mit dem russischen Staatskonzern Gazprom unterschrieben – das Land könnte also russisches Gas importieren, um selbst mehr an die EU zu liefern. Auch auf anderen Wegen importiert die EU weiterhin russisches Gas. Während die Pipelines zwischen Russland und der EU – außer der durch die Ukraine – stillgelegt sind, hat der Import von russischem Flüssiggas zwischen März und Oktober im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent zugenommen.

Der europäische Hunger nach Flüssiggas hat weltweit Konsequenzen. Weil Staaten wie Deutschland bereit sind, für dieses hohe Preise zu bezahlen, geraten ärmere Regionen ins Hintertreffen. Länder wie Pakistan oder Bangladesh haben deutlich weniger Kaufkraft und können bei den Preissteigerungen nicht mehr mithalten. Sie müssen mit Stromausfällen rechnen oder wieder vermehrt Kohle nutzen. In Bangladesh kam es im Oktober bereits zu einem der schwersten Stromausfälle seit ­Jahren. Ein Großteil der Bevölkerung war betroffen – über 130 Millionen Menschen.