Das Vernetzungstreffen der Gruppe »Progressive Linke«

Auf die Spaltung vorbereitet

Die Linkspartei ist tief gespalten. Am Samstag traf sich in Berlin die Gruppe »Progressive Linke« zu einem ersten Vernetzungstreffen. Sahra Wagenknecht hingegen kokettiert mittlerweile öffentlich mit der Gründung einer eigenen »linkskonservativen« Partei.

Die Lage der Partei »Die Linke« ist desolat. Bei jeder der vier Landtagswahlen dieses Jahr erhielt sie weniger als drei Prozent der Zweitstimmen. In bundesweiten Umfragen kommt sie derzeit nur auf vier bis fünf Prozent. Zudem ist die Linkspartei von einer Austrittswelle gebeutelt, seit Jahresbeginn verlor sie mindestens 4 000 Mitglieder.

Im Mittelpunkt der Krise steht Sahra Wagenknecht. Allein nach ihrer Rede im Bundestag Anfang September, in der sie der Regierung vorwarf, »einen beispiellosen Wirtschaftskrieg« gegen Russland »vom Zaun zu brechen«, soll es innerhalb eines Monats über 800 Austritte gegeben haben. Viele Funktionsträger:innen der Linkspartei kritisieren, dass Wagenknecht öffentlich nicht die Parteilinie vertrete. Der Ende Juni in Erfurt abgehaltene Bundesparteitag hatte »den verbrecherischen Angriffskrieg Russlands und die von Russland begangenen Kriegsverbrechen aufs Schärfste« verurteilt und sich für gezielte Sanktionen gegen Russland ausgesprochen. Wagenknecht kokettierte im Gespräch mit dem Fernsehsender Bild zudem mit der Gründung einer eigenen Partei.

Mittlerweile hat sich auch innerparteilich Widerstand gegen Wagenknecht formiert. Im Oktober veröffentlichte die Gruppe »Progressive Linke« einen Aufruf zu einem bundesweiten Vernetzungstreffen. Darin wird Wagenknecht zwar nicht namentlich genannt, jedoch richtet er sich explizit gegen das Konzept des »Linkskonser­vatismus«, das Wagenknecht in ihrem 2021 erschienenen Buch »Die Selbst­gerechten« für sich in Anspruch nahm. Die Gruppe »Progressive Linke« wolle »die politisch zerstörerische Koexistenz mit linkskonservativen Bestrebungen in der Partei« beenden, heißt es in dem Aufruf. Am Samstag fand nun das öffentliche Vernetzungstreffen in der Jugendherberge Berlin-Ostkreuz statt, auf dem die »Berliner Erklärung« beschlossen wurde. Zudem fanden Po­dien zur Lage der Partei, zum Ukraine-Krieg und zum weiteren Vorgehen statt. Getragen wird die neue Gruppe – über verschiedene Flügel der Linkspartei hinweg – unter anderem vom stellvertretenden Parteivorsitzenden Lorenz Gösta Beutin, den beiden sächsischen Landtagsabgeordneten Luise Neuhaus-Wartenberg, die auch Sprecherin des »Forums Demokratischer Sozialismus« ist, und Juliane Nagel sowie den Bundestagsabgeordneten Caren Lay, Cornelia Möhring und Martina Renner.

Der Mitinitiator und ehemalige Bundestagsabgeordnete Thomas Nord sagte zur Eröffnung der Tagung, dass die Spaltung zwischen Linkskonser­vativen und Progressiven bereits seit 2018 bestehe. Damals sei man an zwei sehr unterschiedlichen Sammlungsbewegungen beteiligt gewesen, nämlich »Unteilbar« und »Aufstehen«. Wenn die Partei ihre Krise überwinden wolle, »muss sie den Konflikt austragen«, so Nord. Man müsse den Wähler:innen wieder zu erkennen geben, was für eine Partei man sei.

Diese Ansicht wiederholten im Laufe des Tages viele der Redner:innen. Zudem sprachen sie sich für mehr Diskussionen und mehr Streit in der Partei aus, aber auch für eine neue Diskussionskultur. Möhring prangerte insbesondere die Situation in der Bundestagsfraktion an. Dort herrschten »monarchistische Zustände«. Es werde nicht mehr diskutiert, so Möhring, »letztlich macht jeder, was er will«.

Zum inhaltlichen Konflikt hörte man auf der Konferenz unterschiedliche Meinungen. Einig war man sich darin, dass Begriffe wie »Lifestyle-Linke« in Bezug auf die Partei »Die Linke« und die ihr nahestehenden Bewegungen falsch seien. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Niema Movassat verortete den »Linkskonservatismus« im »Lager der Rechten«. Deshalb könne es mit seinen Vertreter:innen kein Bündnis ­geben. Hingegen zeigte der Bremer Landesvorsitzende Christoph Spehr Verständnis für die Versuche der »Linkskonservativen«, gesamtgesellschaftliche Diagnosen zu stellen. Der Vorwurf, die Linkspartei kümmere sich nicht mehr um die soziale Frage, sei jedoch nicht länger hinnehmbar, so Spehr.

Den Namen Wagenknecht vermieden die meisten Redner:innen. Das Credo der Initiator:innen lautete, den Konflikt nicht auf eine Personalfrage zu reduzieren. Womöglich wollte man auch Wagenknecht keine Möglichkeit liefern zu behaupten, dass sie aus der Partei herausgedrängt werde. Den größten Applaus erhielten jedoch die Redebeiträge, die sich direkt an Wagenknecht richteten. »Wenn man einen anderen Laden aufmachen möchte, kann man nicht für die Partei sprechen«, sagte Beutin, »ich erwarte von Sahra Wagenknecht eine Entscheidung.«

Energische Kritik richtete sich auch an die Vorstände von Partei und Bundestagsfraktion. So habe der Parteivorstand keinen Delegierten für das Vernetzungstreffen benannt. Der stellvertretende Bundesvorsitzende Beutin sagte, er sei »privat« anwesend. »Das ist eine klare Ansage an den Parteivorstand, mit uns Gespräche aufzunehmen«, sagte die Mitinitiatorin und ehemalige Berliner Sozialsenatorin Elke Breitenbach. Den Vorstand der Bundestagsfraktion kritisierte die Gruppe in ihrer auf dem Treffen beschlossenen »Berliner Erklärung«. Darin heißt es, dass »insbesondere in der Bundestagsfraktion« eine »hartnäckig tolerierte Koexistenz unvereinbarer Positionen« betrieben werde. Dies ist ein deutlicher Angriff auf den Co-Fraktions­vorsitzenden Dietmar Bartsch, der seit Jahren mit Wagenknecht und ihrem Flügel paktiert, um seine Macht zu erhalten.

Zum Abschluss der Tageskonferenz verständigte man sich noch auf weitere Vernetzungstreffen und darauf, eigene Positionspapiere zu erarbeiten. Dass Wagenknecht die Linkspartei verlassen wird, scheint so gut wie ausgemacht, aber die große Frage lautet: wann? Bereits im Februar soll die 2021 chaotisch verlaufene Abgeordnetenhauswahl in Berlin wiederholt werden, ­Mitte Mai wird dann die Bremer Bürgerschaft gewählt und im Herbst des kommenden Jahres stehen Landtagswahlen in Bayern und Hessen an.