Die geplanten Reformen des Staatsbürgerschaftsrechts

Einbürgern für Deutschland

Innenministerin Nancy Faeser hat einen Gesetzesentwurf für ein neues Staatsbürgerschaftsgesetz vorgelegt. Bevor dieser überhaupt im Kabinett diskutiert wird, überschlägt sich die Debatte bereits.

Insbesondere CDU und CSU laufen derzeit Sturm gegen die geplante Reform des Staatsbürgerschaftsgesetzes. CSU-Landesgruppenchef Alexander Do­brindt sagte der Bild-Zeitung: »Die deutsche Staatsbürgerschaft zu verramschen, fördert nicht die Integration, sondern ­bezweckt geradezu das Gegenteil und wird zusätzliche Pull-Effekte bei der ­illegalen Migration auslösen.« Immer wieder war zu hören, dass die Staatsbürgerschaft »am Ende eines Integrationsprozesses« stehen müsse, nicht am Anfang – so etwa von Thorsten Frei, dem Parlamentarischen Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag. Der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz sprach sich gegen die doppelte Staatsbürgerschaft aus und warnte vor Einwanderung in die Sozialsysteme.

Die Konservativen kritisieren vor allem zwei Punkte der Reform: Der Grundsatz der Vermeidung doppelter Staatsangehörigkeiten soll abgeschafft und die Frist, nach der die deutsche Staatsangehörigkeit beantragt werden kann, soll von acht auf fünf Jahre verkürzt werden. Darin ein Verramschen der deutschen Staatsbürgschaft zu sehen, ist weit hergeholt. Noch weiter hergeholt ist der Zusammenhang zur illegalisierten Migration. Damit hat der Gesetzentwurf überhaupt nichts zu tun, er betrifft ausschließlich Personen, die langfristig rechtmäßig in Deutschland ­leben – und ihren Lebensunterhalt selbst finanzieren.

Auch Verteidiger der Reform argumentieren vor allem damit, dass Migrant:innen Deutschland nützlich sein können.

Die Rede von Pull-Faktoren und Zuwanderung in die Sozialsystem ist also vor allem eines – rechtspopulistische Stimmungsmache. Die Äußerungen erinnern in Teilen an die Debatte über die doppelte Staatsangehörigkeit Ende der neunziger Jahre – 1998 hatte die Union unter dem Motto »Integration ja – doppelte Staatsangehörigkeit nein« eine Kampagne gegen ein ähnlich gelagertes Reformvorhaben der damaligen rot-grünen Bundesregierung geführt. Im darauffolgenden Jahr gewann die CDU unter anderem damit die Landtagswahl in Hessen – ihr Spitzenkandidat Roland Koch hatte sogar Unterschriften gegen den Regierungsentwurf für ein neues Staatsangehörigkeitsrecht sammeln lassen. »Wo kann ich hier gegen Ausländer unterschreiben?« fragten damals nicht wenige Wähler:innen an den Infoständen.

In ähnlicher Weise wird auch in der heutigen Debatte an rassistische Ressentiments appelliert. Sogar die an der Regierung beteiligte FDP mischt dabei mit, die sich inzwischen von dem Gesetzentwurf des Innenministeriums unter Nancy Faeser (SPD) distanziert hat. Jetzt sei nicht »der Zeitpunkt für eine Vereinfachung des Staatsbürgerschaftsrechts«, sagte FDP-General­sekretär Bijan Djir-Sarai der Rheinischen Post, denn es gebe »bisher keinerlei Fortschritte bei der Rückführung und Bekämpfung der illegalen Migration«. Damit steht in Frage, ob die Ampelkoalition die Reform so verabschieden wird, wie sie ursprünglich vorgesehen war. Die FDP hat im Oktober bei der Landtagswahl in Niedersachsen ein schlechtes Ergebnis eingefahren und dort Wähler vor allem an die CDU und die AfD verloren. Im Koalitionsvertrag war eigentlich ein »Neuanfang in der Migrations- und Integrationspolitik« vereinbart worden, »der einem modernen Einwanderungsland gerecht wird«.

Tatsächlich sind die geplanten Änderungen bei der Einbürgerung nicht so gravierend, wie die Debatte ver­muten lässt. Bisher kann die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben, wer seit mindestens acht Jahren legal dauerhaft in Deutschland lebt und bestimmte Voraussetzungen erfüllt. Dazu zählen ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis, ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache sowie der hiesigen Rechts- und Gesellschaftsordnung. Außerdem muss man seinen Lebensunterhalt selbst finanzieren können und darf nicht wegen einer Straftat verurteilt worden sein.

Faesers Entwurf sieht vor, dass die Staatsbürgerschaf bereits nach fünf Jahren und in begründeten Ausnahmefällen, wie beispielsweise bei heraus­ragenden beruflichen Leistungen, schon nach drei Jahren erworben werden kann. Außerdem soll der Grundsatz wegfallen, dass die bisherige Staatsangehörigkeit aufgegeben werden muss, wovon bisher etwa 40 Prozent der Antragsstellenden betroffen sind; Antragsstellende aus der Schweiz, EU-Staaten und Ländern wie dem Iran, die eine Entlassung aus ihrer Staatsbürgerschaft verunmöglichen, waren schon bislang von diesem Grundsatz ausgenommen. Menschen über 67 müssen keinen Einbürgerungstest mehr machen, sondern nur gute mündliche Sprachkenntnisse vorweisen. Damit soll der sogenannten Gastarbeitergeneration entgegengekommen werden, für deren Angehörige es seinerzeit noch keine Förderungen zum Erwerb der Schriftsprache gab. Anstelle einiger schwammiger Formulierungen, die bisher recht großen Spielraum bei der Entscheidung über die Anträge boten, sollen zudem konkrete Gründe festgeschrieben werden, wann eine Einbürgerung ausgeschlossen wird.

Auch sollen Kinder zukünftig automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten, solange mindestens ein Elternteil seit mehr als fünf Jahren rechtmäßig in Deutschland lebt und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht ­besitzt. Bisher waren es acht Jahre. Die Reform wäre also eine Erleichterung, doch vom ius soli (Geburtsortsprinzip), wie es etwa in den USA herrscht, ist man immer noch weit entfernt. So fallen zum Beispiel in Deutschland ge­borene und aufgewachsene Kinder von Geflüchteten, die in Kettenduldungen stecken, nicht unter diese Regelung.

Das Gesetz bringt also einige Erleichterungen, gerade die Änderungen für ehemalige sogenannte Gastarbeiter:­innen sind erfreulich. Die Abkehr vom Zwang, die bisherige Staatsbürgerschaft aufzugeben, ist zudem längst überfällig. Die bisherige Regelung ist nicht nur unfair und diskriminierend, da nur Menschen aus bestimmten ­sogenannten Drittstaaten ihre Staatsangehörigkeit abgeben müssen, sie ist in einer globalisierten Welt auch selbst für deutsche Verhältnisse unzeitgemäß. Das geplante Gesetz könnte also dazu führen, dass mehr Migrant:innen in Deutschland volle Rechte erhalten können, was zu begrüßen ist.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verteidigte in seiner wöchentlichen Videobotschaft Faesers Pläne und sagte, Deutschland brauche bessere Regeln für die Einwanderung. Lob kam vom Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher. Dem Handelsblatt sagte er: »Deutschlands Fachkräfteproblem wird sich durch die Demographie und durch den zunehmenden Wettbewerb um die klügsten Köpfe massiv verschärfen, wenn die Politik nicht viel entschiedener als bisher handelt.« Eine klare Per­spektive auf Staatsangehörigkeit sei ein wichtiges Element, um Deutschland attraktiver für ausländische Arbeitskräfte zu machen.

Auch Verteidiger der Reform argumentieren vor allem damit, dass Migrant:innen Deutschland nützlich sein können, beispielsweise die Inte­grationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan (SPD). »Wir wollen ein modernes Einwanderungsland gestalten. Dazu gehört, dass wir schneller, besser und mehr einbürgern«, sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Dabei gehe es auch »um die Stärke unseres Landes«. Alabali-Radovan verwies in diesem Zusammenhang auf »Fach- und Arbeitskräfte, die gerne zu uns kommen und bleiben«.

In Deutschland macht sich Arbeitskräftemangel immer stärker bemerkbar, es ist mittelfristig auf Migration angewiesen. Oder wie die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) es ausdrückte: »Das Boot war noch nie voll, jetzt ist es leer.« Auch bei zwei anderen Gesetzesvorhaben, die zusammen mit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts das im Koalitionsvertrag vereinbarte »Migrationspaket« bilden, geht es in erster Linie um den Standortvorteil Deutschlands. So sollen Fachkräfte leichter nach Deutschland kommen können. Vorgesehen ist unter anderem, dass Menschen künftig über ein Punktesystem, das vor allem ihre beruflichen Qualifikationen bewertet, nach Deutschland einwandern können, auch wenn sie hierzulande noch keinen Arbeitsplatz haben. Unter anderem die Industrie- und Handelskammer hatte eine solche Reform gefordert, weil vielen Unternehmen derzeit Fachkräfte fehlen. Der Bundestag soll sich Anfang des kommenden Jahres mit den Änderungsvorhaben befassen.

Bereits am Freitag vergangener Woche beschlossen wurde das sogenannte Chancen-Aufenthaltsrecht. Gemäß dem Gesetz können geduldete Flüchtlinge, die zum Stichtag am 31. Oktober 2022 mindesten fünf Jahre im Deutschland gelebt haben und nicht straffällig geworden sind, innerhalb von 18 Monate ein langfristiges Aufenthaltsrecht beantragen, wenn sie die sonstigen Voraussetzungen (Sprachkenntnisse, eigener Lebensunterhalt, sicherer Identitätsnachweis) dafür erfüllen. Dadurch sollen endlose Kettenduldungen, die nie zu einem dauerhaften Aufenthaltsrecht führen, der Vergangenheit angehören. Das Gesetz gilt allerdings nicht für jene Flüchtlinge, die nach dem Oktober 2017 nach Deutschland gekommen sind.

Von der Maxime, Menschen nach Nützlichkeitskriterien zu sortieren, weicht keines der Gesetze ab. Dass diese die deutsche Migrationspolitik immer noch leitet, wird spätestens dann deutlich, wenn man sich weitere Regelungen anschaut, die gemeinsam mit dem »Chancen-Aufenthaltsrecht« beschlossen worden sind. Unter anderem ­wurden die Abschiebung von Straf­täter:­innen sowie die Anordnung für Abschiebehaft deutlich erleichtert. Entgegen den Befürchtungen der Unionsparteien wird sich in der deutschen Ein­wanderungspolitik wohl kaum allzu viel ändern.