Die neue Herr-der-Ringe-Serie wird von Rechten angegriffen

Kulturkampf in Mittelerde

Amazon versucht sich an einer Adaption von Tolkiens Mittelerde-Stoff. Die Vorgeschichte von »Der Herr der Ringe« wird in der Serie »Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht« erzählt. Deren Start spült auch die rechten Anhänger von Tolkiens Saga wieder an die Oberfläche.

Die Anfang September angelaufene Amazon-Serie »Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht«, bislang die teuerste Serienproduktion überhaupt, wird – wie so gut wie alles heutzutage – in den sozialen Medien viel kritisiert. Unter anderem werden dramaturgische Mängel hervorgehoben, besonders laut aber sind diejenigen, die der Treue zur Vorlage von J. R. R. Tolkien das Wort reden und die Hautfarben mancher Darsteller in rassistischer Manier monieren. Spoiler: An Weißen stören sie sich nicht. Vielmehr treibt den rechten Online-Mob zur Weißglut, dass in der neuen Serie zum ersten Mal im Franchise Elfen und Zwerge auch von nichtweißen Schauspielerinnen und Schauspielern dargestellt werden.

Die Bücher des katholischen Linguistikprofessors Tolkien sind bei Rechten schon länger beliebt. Nicht wenige Rechtsextreme sind Fans von »Der Herr der Ringe« (zuerst erschienen 1954 bis 1955), wie der Musiker, verurteilter Mörder und Neonazi Kristian Vikernes, der sich tief fasziniert von der Geschichte über Mittelerde zeigte. Es gibt auch bekanntere Beispiele: Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni nannte die Buchreihe sogar eine »heilige Schrift«; nicht überraschend in Italien, wo in den siebziger Jahren in sogenannten Hobbit Camps Fans der Bücher zum Diskutieren und Hören von Rechtsrock zusammenkamen.

Es fällt nicht schwer, einzelne Elemente aus Tolkiens Werk als Versatzstücke faschistischer Ideologie zu deuten. Stets droht irgendwoher der Untergang, der nur durch die Besinnung auf die Ahnen und die Wiedereinführung ihrer Machtstrukturen abgewendet werden kann.

Müsste Tolkiens fiktionale Welt statt Mittelerde konsequenterweise Rechtserde heißen? Von Tolkien selbst sind durchaus antirassistische Aussagen bekannt, der politische ­Gehalt seines Werks wird allerdings bereits seit Jahrzehnten kritisiert. 1977 schrieb der anarchistische Science-Fiction-Autor Michael Moorcock: »Wenn ich in der U-Bahn sitze und alle Leute mir gegenüber würden ›Mein Kampf‹ mit Genuss lesen, wäre ich nicht verstörter, als wenn sie Heinlein, Tolkien oder Richard Adams lesen würden.« Er attestier­te Tolkiens Werk die Glorifizierung bürgerlicher Werte und sah in den Antagonisten der Buchreihe Metaphern für Arbeiteragitateure. Eine zeitgenössische Rezension des Journalisten Edmund Wilson, der kein Anarchist war, konzentrierte sich auf den Manichäismus in der Buchreihe: Tolkien stelle eine »simple Konfrontation« zwischen bösem Fremden und gutem Heimischen dar, die Figuren seien allesamt Stereotype.

Es fällt nicht schwer, einzelne Elemente aus Tolkiens Werk als Versatzstücke faschistischer Ideologie zu deuten. Stets droht irgendwoher der Untergang, der nur durch die Besinnung auf die Ahnen und die Wiedereinführung ihrer Machtstrukturen abgewendet werden kann. Zwischen den Orks auf der einen Seite und den sogenannten freien Völkern, bestehend aus Zwergen, Menschen, Elfen und Hobbits, auf der anderen gibt es eine essentielle Differenz. ­Diese rassische Unterscheidung bleibt auch in »Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht« erhalten. In Buch, Film und Serie sind die Orks gesichtslose Häscher des Bösen. Ihre Geschichte endet nicht mit einem Friedensschluss, sondern mit Vernichtung und Vertreibung. Das Skript der nie verwirklichten Verfilmung von John Boorman, die in den Sieb­zigern in Planung war, schlug einen anderen Weg ein: Zum Schluss versöhnen sich Menschen und Orks.

Das Böse kommt bei Tolkien immer aus dem Osten, was zumindest als eine antislawische und antikommunistische Chiffre verstanden werden kann. Im Westen und Norden gibt es in Mittelerde Hochkultur und Zivilisation, während im Osten und Süden Ödnis und Barbarei herrschen. Im Hintergrund arbeitet ein unsichtbarer Strippenzieher. Der Vorwurf des strukturellen Antisemitismus ist übertrieben, aber die freien Völker mit den Alliierten gegen Nazideutschland zu identifizieren, wie das seit Jahrzehnten diskutiert wird, ist ebenso Quatsch, wie auch Tolkien selbst einmal sagte.

Man sollte meinen, dass eine heutige Adaption des Tolkien-Stoffs mit diesen Themen sensibler umgehen oder Neues aus ihm herausholen würde. Peter Jackson hatte nur eine Romanze zwischen Zwerg und Elf in seine zweiten Filmtrilogie (2012–2014), jene zu »Der Hobbit«, hineingeschrieben. Dabei gibt genügend Anknüpfungspunkte: Die engen Männerfreundschaften könnten weitergesponnen werden, vielleicht gibt es ja schwule Hobbits?

Frauen hingegen existieren bei Tolkien nur als weise Matriarchin, keusche Amazone oder Trophäe. Zumindest das machen die Amazon Studios mit ihren kürzlich eingeführten Diversitätsrichtlinien anders, eine Frau ist Protagonistin in »Die Ringe der Macht«: Galadriel, die schon in »Der Herr der Ringe« eben als diese eine weise Matriarchin auftaucht. In der neuen Serie ist sie die Einzige, die die von den Orks ausgehende Gefahr ernst nimmt, was von allen anderen als Hysterie abgetan wird, sich aber im Laufe der Handlung als gerechtfertigt herausstellt. Galadriels Auftreten hat fast den Anmut einer Nazijägerin. Ist sie etwa die erste antifaschistische Elfe?

Die Serie ist ein Prequel zu »Der Herr der Ringe« und »Der Hobbit«, spielt im Zweiten Zeitalter von Mittelerde (und damit Tausende Jahre vor den Ereignissen aus »Der Herr der Ringe«) und behandelt Großes, unter anderem den Aufstieg des bösen Sauron und das Schmieden der Ringe, die später so bedeutungsvoll werden.

Politisches Geschehen wird in der neuen Serie durchwegs kryptisch kommentiert. Weil die Zwerge zu tief buddeln, wecken sie ein Monster – sind fossile Brennstoffe und der Klimawandel gemeint? Bei den Menschen wird währenddessen darüber diskutiert, ob zugelassen werden darf, dass Elfen politischen Einfluss gewinnen. Ob das alles Metaphern für politisches Weltgeschehen sein sollen, lässt die Serie freilich offen, vermuten darf man es aber.

Interessant ist die Serie dabei nicht. Die Figuren scheinen meist nur herumzustehen, ein paar wenige Darsteller versuchen mit ihrem Spiel immerhin, die aufgesetzten Dialoge zu konterkarieren, überwiegend gelingt das allerdings nicht. Andauernd wird versucht, Spannung zu erzeugen, die sich aber dann nicht einstellt. Pathetisch singen Hobbits und pathetisch schauen Darsteller in die Ferne. Die Schlüsselereignisse jedoch brechen ohne vorherigen Spannungsaufbau herein.

Die rassistische Twitter-Hetze gegen einige Darstellerinnen und Darsteller verdeckt ein anderes Problem, nämlich wie man sich hier anscheinend auf der Beliebtheit des Stoffs ausgeruht hat und die Qualität darunter leidet. Wenigstens muss man beim Schauen nicht ein Mischmasch aus Farben und Tönen wie in den Marvel-Filmen aushalten – es gibt auch ruhige Einstellungen, die neuseeländische Landschaften zeigen. Vielleicht wird das aber in der nächsten Staffel nicht mehr so leicht möglich sein: Mitarbeiter beschwerten sich im Guardian über beim Dreh erfolgte Umweltverschmutzung.

Natürlich wird nicht jeder Zuschauer von Tolkien-Verfilmungen zum Rechtsterroristen, aber Aufklärung geht anders – auch »Die Ringe der Macht« schafft keine wirkliche Neuinterpretation. Edmund Wilson kam in seiner Rezension von »Der Herr der Ringe« 1956 zu der Einschätzung: »Ich glaube, dass bestimmte Leute – vor allem in Großbritannien – einen lebenslangen Hunger nach infantilem Abfall haben.« Was damals eine Diagnose des Zustands britischer Literatur war, lässt sich ­heute auch auf allerlei audiovisuelle Produkte ausweiten, schaut man sich die erfolgreichsten Filme und Serien der vergangenen Jahre an.

»Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht« kann bei Amazon Prime gestreamt werden.