Der Iran reichert weiter kernwaffenfähiges Uran an

Neue Anreicherung, kein Monitoring

Der Iran verstößt gegen die internationale Vereinbarung von 2015 und reichert deutlich mehr kernwaffenfähiges Uran an.

Die Proteste im Iran halten an, während westliche Regierungen einige Sanktionen gegen das Mullah-Regime verhängt haben, die allenfalls als Symbolpolitik verstanden werden können. Zum Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) von 2015 herrscht währenddessen eher betretenes Schweigen vor. Mit diesem Abkommen zwischen der Islamischen Republik und einer Gruppe von sechs Staaten, der die USA, Russland, China, Deutschland, Großbritannien und Frankreich angehörten, wurde die Urananreicherung im Iran begrenzt, wodurch die Entwicklung von Atomwaffen erschwert werden sollte. Im Gegenzug wurden Sanktionen gegen den Iran aufgehoben. 2018 kündigte der damalige US-Präsident Donald Trump den Vertrag auf und verhängte neue Sanktionen. Den Diplomaten der Länder, die den JCPOA unterzeichnet hatten, liegt mittlerweile ein Entwurf zur Reaktivierung des Atomabkommens vor, der vom EU-Außenbeauftragten Josep Borrell ausgearbeitet wurde und im Großen und Ganzen als zustimmungsfähig angesehen wird. Aber will man ein umfassendes Abkommen mit einem Regime aushandeln, das die eigene Bevölkerung massakriert?

Mitte November sagte der US-Sonderbeauftragte für Iran, Robert Malley, seine Regierung werde ihre Bemühungen um eine Wiederbelebung des ­JCPOA vorerst einstellen und sich nun auf eine »Politik der Sanktionen und des Drucks konzentrieren«. Als Gründe für diesen Schritt nannte Malley die stockenden Verhandlungen, das Vorgehen der iranischen Ordnungskräfte ­gegen regierungskritische Demons­trant:innen sowie den Verkauf von Kampfdrohnen an Russland. Einige Tage später verurteilten die Außenminis­terien der sogenannten E3-Staaten, Deutschland, Frankreich und Großbritannien, die jüngsten Schritte des Iran zur Aushöhlung des JCPOA: »Über den Umgang mit dieser fortdauernden Eskalation durch Iran werden wir weiterhin mit unseren internationalen Partnern beraten« – das war nicht mehr als diplomatisches Alltagsgeschäft. Die E3-Staaten haben bereits ein Dutzend ähnlicher Erklärungen zu den Atomverhandlungen abgegeben, allesamt folgenlos.

In ihrem jüngsten Report schätzte die Internationale Atomagentur IAEA den iranischen Bestand an angereichertem Uran auf etwa das Zehnfache dessen, was im Atom­abkommen von 2015 vereinbart worden war.

Die SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken hatte im Oktober wegen des brutalen Vorgehens der iranischen Behörden gegen die Proteste gefordert, die Atom­gespräche mit dem Iran zu beenden. Der außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion ihrer Partei, Nils Schmid, wies sie allerdings umgehend zurecht: Ein Abbruch der Gespräche habe mit einer verantwortungsvollen Außenpolitik nichts zu tun. In einem Gastbeitrag für die FAZ schreibt Schmid, es gebe »keinen geeigneteren Weg«, den Iran am Bau von Atomwaffen zu hindern, als eine Rückkehr zum JCPOA. Deutschland habe gemeinsam mit Frankreich, Großbritannien und der EU »Verantwortung für die Weltgemeinschaft übernommen – ganz im Sinne der Zeitenwende«. Deutschland müsse eine »Führungsrolle« ausfüllen, wenn es darum geht, eine internationale Strafverfolgung für die Verantwortlichen des iranischen Repressionsapparats vorzubereiten.

Deutschland gibt sich so, als tue es alles politisch Mögliche, nur bei den Atomverhandlungen solle es keine Konsequenzen geben. Denn »die Rückkehr zum Atomabkommen ist in un­serem Interesse«, meint Schmid, darin der Außenpolitik aller Bundesregierungen der vergangenen 20 Jahre folgend. Wäre es nicht an der Zeit, diese Politik gründlich zu überdenken? Deren Bilanz zeigt immerhin, dass sich der Iran in diesen zwei Jahrzehnten mitnichten dazu bringen ließ, sein Atomprogramm aufzugeben oder zu verkleinern. Stattdessen ist das Land seit mindestens einem Jahr dazu in der Lage, rasch atomwaffenfähiges Uran an­zureichern. Die sogenannte breakout time, die Zeit, die der Iran bräuchte, um genug nuklearen Sprengstoff für eine Atombombe herzustellen, ist drastisch reduziert – dabei hatte die US-Regierung unter Präsident Barack ­Obama als stärkstes Argument für das JCPOA angeführt, dass es eine breakout time von nicht weniger als zwölf Monaten garantiere. Nunmehr schätzen Optimisten diese Frist auf ein bis zwei Monate, anstatt realistischerweise davon auszugehen, dass es gar keine Frist mehr gibt.

In ihrem jüngsten Report schätzte die Internationale Atomagentur IAEA den iranischen Bestand an angereichertem Uran etwa auf das Zehnfache dessen, was im JCPOA vereinbart war, und auf eine Tonne mehr als vor einem Jahr. Darunter seien rund 62 Kilogramm Uranhexafluorid mit 60prozentiger Anreicherung von U235, dem spaltbaren Uranisotop, und damit 50 Kilogramm mehr als vor einem Jahr. Rund 386 Kilogramm seien zu 20 Prozent angereichert, 300 Kilogramm mehr als vor ­einem Jahr. Das Atomabkommen hatte für eine Dauer von 15 Jahren nur eine Anreicherung von 3,67 Prozent und die Lagerung von maximal 300 Kilogramm niedrig angereicherten Uranhexafluorids vorgesehen.

Noch schwerer wiegt die Feststellung der IAEA, dass ihr Monitoring der iranischen Nuklearaktivitäten seit fast zwei Jahren unterbrochen sei. Im Sommer dieses Jahres hat der Iran die IAEA sogar gezwungen, ihre im JCPOA vereinbarten Überwachungsinstrumente abzubauen. Daher sieht sich die IAEA nicht in der Lage, die iranischen Mengenangaben zu verifizieren und die Verwendung des Materials zu friedlichen Zwecken sicherzustellen. Vor diesem Hintergrund wirkt die Beschwerde der IAEA noch beunruhigender, dass der Iran Auskünfte über drei nicht deklarierte Standorte möglicher Atomaktivitäten verweigert. Mit einem Wort: Die Bilanz fällt ziemlich katastrophal aus.
Die Reaktion darauf ist bekannt und denkbar simpel: Daran sei nicht der JCPOA schuld, sondern Trump, der das Abkommen einseitig kündigte und den Iran veranlasst habe, seinerseits dagegen zu verstoßen. Diese Behauptung entspricht der iranischen Darstellung und ist in einem wesentlichen Punkt falsch. Zur ganzen Wahrheit gehört die deutsche Mitverantwortung für die Fortschritte, die der Iran seit 2015 machen konnte. Der JCPOA untersagte zwar die Lieferung von Nukleartechnik an den Iran für acht Jahre. Doch der damalige iranische Außenminister Mohammed Javad Zarif erreichte eine wichtige Ausnahme von dieser Regel. Er akzeptierte das ebenfalls im JCPOA festgeschriebene Verbot von Urananreicherung in der Anlage von Fordo nur unter der Bedingung, dass dort weiter Zentrifugen betrieben werden dürften – »zu medizinischen Zwecken«, wie Zarif versicherte. Seine Verhandlungspartner, darunter die deutschen Diplomaten, waren einverstanden. Dann aber, argumentierte Zarif weiter, müssten westliche Unternehmen auch bei der Installation und Inbetriebnahme dieser Zentrifugen helfen.

Zarifs Argumentation mochten sich die EU-Vertreterin für Außen- und ­Sicherheitspolitik, Federica Mogherini, die Außenminister der USA und Deutschlands, John Kerry und Frank-Walter Steinmeier, sowie ihre anderen in Wien teilnehmenden Kollegen nicht entziehen. So kam es, dass die Resolu­tion 2 231 des UN-Sicherheitsrats, beschlossen am 20. Juli 2015, eine Sonderregel für zwei Zentrifugenkaskaden in der Atomanlage Fordo südlich von Teheran enthält, die vom Ausfuhrverbot für Nukleartechnik ausgenommen sind. Die Resolution spricht nur von der Fordow facility, doch es handelte sich vorher und nachher um eine enrichment facility, eine Anreicherungsanlage. In ihr wird seit Januar 2021 offiziell wieder Uran verarbeitet. Nichts ­anderes war von Anfang an vom Iran geplant. Um Zarifs Manöver zu durchschauen, hätte Steinmeier nur seinen Hausarzt fragen müssen, ob derartiges Gerät irgendwo auf der Welt medizinisch eingesetzt wird. Das ist nicht der Fall. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Kaskaden fortgeschrittener Zentrifugen, mit denen der Iran alle roten Linien überschritten hat, die man sich im JCPOA ausgedacht hatte, mit europäischer Hilfe iin Betrieb gehen konnten, wobei deutsche Firmen sicherlich bemüht waren, ihrer Führungsrolle gerecht zu werden.

Sieht so die Verhinderung einer Nuklearbewaffnung des Teheraner Regimes aus? Für die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock gibt es eine Menge Fragen, die auf Antworten warten, und eine Menge Gelegenheiten, es besser zu machen als ihre Vorgänger. Aber vielleicht verbietet sie sich das aus übergeordneten Erwägungen. Denn wie schon ihr Parteifreund Joschka Fischer erkannte, als er noch Außenminister war: Ewig locken die iranischen Gasvorkommen, nach Ansicht von Geowissenschaftlern die größten der Welt.