Über den Körpereinsatz bei Protesten und Aufständen

Den Körper dazutun

Der Stand der Bewegung Von

Poner el cuerpo, »den Körper dazutun«, ist eine Strategie lateinamerikanischer Feministinnen: Wenn beispielsweise ein Femizid bekannt wird, gehen alle, die es gerade einrichten können, auf die Straße und tun gemeinsam ihre Wut und Trauer kund. Als vor zwei Jahren in Argentinien das Recht auf Abtreibung durchgesetzt wurde, harrten Tausende vor dem ­Regierungsgebäude aus, erinnerten den Senat an seine Verantwortung gegenüber ungewollt Schwangeren und bestärkten einander in ihrem gemeinsamen Kampf.

Auch die Aufständischen im Iran tragen ihren Körper auf die Straße. Die Journalistin Gilda Sahebi betont, dass die unbewaffneten Protestierenden im vollen Bewusstsein der eigenen Verletzlichkeit demonstrieren, streiken, blockieren, filmen. In Konfrontation mit der Repression des Mullah-Regimes riskieren sie ihre körperliche Unversehrtheit.
Solche Proteste lassen sich nicht mit Strategie­erwägungen vom heimischen Sofa aus abtun. Es ist nötig, sie als geschichtsoffene Prozesse zu betrachten, in denen erst ausgehandelt wird, in was für einer Welt wir leben wollen und mit wem es sich dafür auf welche Weise zu kämpfen lohnt. Die Veränderung der Gesellschaft ist eine leibliche Erfahrung: nicht mehr nur ausgeliefert sein, sondern sich in der Auslieferung zusammenzutun.

Man muss dafür nicht bis in den Iran oder nach Lateinamerika schauen. Die Klimaaktivist:innen der »Letzten Generation« stellen unter Einsatz ihrer Körper Forderungen an die Bundesregierung, als hätten sie nie etwas von der Annahme der sogenannten Alternativlosigkeit der Verhältnisse gehört, die sich auch in den Köpfen der radikalen Linken ausge­breitet hat wie zäher Brei. Ihre auf den Asphalt geklebten Hände lassen an die Körper ­derjenigen denken, die schon jetzt dem Klimawandel ausgeliefert sind: die Leidtragenden der anhaltenden Dürren in Ostafrika oder der gewaltigen Überschwemmungen in Pakistan. Das ­Gerede von einer »Klima-RAF« und ein Blick in die sozialen Medien hingegen lassen den Moment fürchten, in dem Polizist:innen die Hände der Blockierenden nicht mehr vorsichtig vom Pflaster lösen – und die Autos nicht mehr stehen bleiben. Wie viel mehr muss man den Atem bei der Nachricht ­anhalten, dass die Mullahs am 8. Dezember begonnen haben, inhaftierte Demonstrant:innen hin­zurichten.

Den Körper dazutun – sinnieren meine Freundin und ich auf dem Sofa – kann bedeuten, die allzu häufig artikulierte Ohnmacht hinter sich zu lassen und sich selbst als politisches Subjekt zu begreifen. Die Sache, für die man sich einsetzt, ist vielleicht noch keine fertige; wie weit das Bündnis mit den anderen Anwesenden trägt, ist unklar, und der Liedermacher mag peinlich sein. Dennoch tut es not, die eigenen Kämpfe in Beziehung zu den Kämpfen anderer Linker und Feministinnen zu setzen. Der Ausgang ist, wie immer, offen.