Aus dem Sammelband "Verschwörungsdenken. Zwischen Populärkultur und politischer Mobilisierung"

Elemente des Verschwörungsdenkens

In seinem Essay aus dem kürzlich erschienenen Band »Verschwörungsdenken« geht der Sozialwissenschaftler Florian Hessel dem Phänomen noch einmal auf den Grund und breitet aus, inwiefern das Verschwörungsdenken mit abstrakten gesellschaftlichen Verhältnissen, der Moderne und dem Antisemitismus zusammenhängt.
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Das Denken in Verschwörungen begegnet uns in der modernen Welt als selbstverständlich. Es existiert in unterschiedlichsten Formen und in nahezu allen gesellschaftlichen Milieus. Der Kern der Vorstellung präsentiert sich als eine Schicksalsfrage der Menschheit: Eine verborgene, aber doch genau zu benennende Gruppe von Personen würde das Leben und die Lebensumstände einer anderen, weitaus größeren Gruppe – einer ­Gesellschaft, Kultur, vielleicht gar der ganzen Welt – nach ihrem (bösen) Willen, aus »fremden«, eigensüchtigen Interessen unmittelbar, verdeckt und unbemerkt beeinflussen, lenken oder gar vollständig beherrschen. Als »Basis einer Repräsentation von Gesellschaft« (Serge Moscovici) stattet diese Vorstellung bestimmte Ereignisse ebenso wie gesellschaftlichen Alltag mit bestimmtem Sinn aus und kreiert eine intensiv »gefühlte Wahrheit«. Die Erfahrung von Rea­lität wird nahezu vollständig nach diesem bedrohlichen Bild geordnet und kann, insofern die jeweilige »Verschwörung« per definitionem für Uneingeweihte unsichtbar und verborgen sei, sinnhaft als eine sich selbst begründende Struktur unabhängig von jedem Beweis oder Gegenbeweis fortgeschrieben werden. Zentriert auf das Selbst und die eigene Person, werden Zumutungen von gesellschaftlicher Komplexität und emotionaler Ambivalenz reduziert sowie Erfahrungen und Gefühle von Angst und Ohnmacht, Frustration und Dissonanz kompensiert. Doch so hermetisch geschlossen der Erfahrungsraum – in Bezug auf das Funktionieren und die innere Ordnung einer Gesellschaft, Kultur, der ganzen Welt – sich für die Einzelnen entsprechend gestalten mag, ist dessen Struktur, Gehalt und Genese selbst keineswegs so einheitlich, wie es intuitiv erscheint, und nur aus seinen einzelnen gesellschaftlichen Elementen heraus zu verstehen.

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