AfD und Reichsbürgerideologie sind attraktiv für deutsche Adelige

Hoffen auf den Staatsstreich

So skurril die Gruppe, die einen bewaffneten Umsturz angestrebt haben soll, auch wirkt: Ihre mutmaßlichen Mitglieder wie auch deren Ansichten waren fest verwurzelt in den wachsenden rechtsextremen Milieus der Bundesrepublik. Eine besondere Rolle spielt in der rechten Szene der deutsche Adel.

Von einem der größten Antiterroreinsätze der Bundesrepublik war die Rede. 3 000 Polizist:innen durchsuchten 130 Häuser, Wohnungen und Büros im ganzen Land. 25 Personen sind festgenommen worden. In einer bemerkenswert ausführlichen Pressemitteilung informierte die Bundesanwaltschaft am Morgen des 7. Dezember über eine Razzia im Milieu sogenannter Reichsbürger und machte Angaben über Ideologie und Pläne der Gruppe. Fast gleichzeitig veröffentlichten große Medien wie Zeit und Spiegel umfangreiche Artikel über die zunächst skurril wirkende Gruppe, die einen gewaltsamen Umsturz geplant haben soll.

Die Zusammensetzung der Gruppe scheint szenetypisch zu sein, mit ei­nigen Besonderheiten: Heinrich XIII. Prinz Reuß, Abkömmling einer Adels­familie, sollte als neues Staatsoberhaupt eingesetzt werden. Ehemalige Bundeswehrsoldaten und auch ein aktiver gehörten zu den Festgenommenen, ebenso eine AfD-Politikerin, aber auch eine Hellseherin, ein »Survival-Trainer« und – etwas ausgefallen – ein Tenorsänger sollen an den Putschplänen mitgewirkt haben. Dass Reuß laut Medienberichten um die Unterstützung Russlands für den Umsturz ersucht haben soll, ist naheliegend, denn Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker projizieren allerlei Rettungsphantasien auf Russland. Auch der von der Bundesanwaltschaft erwähnten Qanon- und Reichsbürger-Überzeugungen sind in diesem Milieu weitverbreitet. Die Hoffnung auf eine internationale Allianz, die die wahren »Patrioten« im Geheimen beim Kampf gegen den »deep state« unterstützen soll, ist jedoch ein ­verhältnismäßig neuer Twist.

Bürgerkriegsähnliche Zustände sind das Ziel zahlreicher, wenn nicht aller rechtsextremen Umsturzpläne der vergangenen Jahre.

Folgt man der Darstellung der Bundesanwaltschaft, waren zumindest die Pläne für den Umsturz konkret: Vor­gesehen war demnach der Aufbau von 280 bewaffneten sogenannten »Heimatschutzkompanien« (siehe Seite 5). Zudem bestehe der Verdacht, dass ein Teil der Gruppe bewaffnet in das Reichstagsgebäude eindringen wollte. Mutmaßlich Zugang zum Sitz des Parlaments hatte praktischerweise jene Frau, die als Justizministerin vorgesehen gewesen sein soll: Birgit Malsack-Winkemann saß bis 2021 für die AfD im Bundestag und war bis zum Tag der Festnahme Richterin in Berlin.

In manchen Medienberichten wird sie als »gemäßigtes« AfD-Mitglied bezeichnet. Das ist mindestens irritierend: In einer Bundestagsrede forderte sie, den damaligen Außenminister ­Heiko Maas (SPD) und die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ihrer Ämter zu entheben, weil sie die Wahl Joe Bidens zum US-Präsidenten anerkannt hatten. Ihre Bewerbungs­rede für die Aufstellung als Listenkandidatin der AfD zur Bundestagswahl 2021 beendete sie mit den Worten: »Wider den Great Reset!« Recherchen des Blogs keinraumderafd.info legen zudem nahe, dass sie sehr wohl dem völkischen »Flügel« der Partei nahesteht: Demnach habe sie an einem Treffen im Lokal »Mittelpunkt der Erde« in Hönow (Brandenburg) teilgenommen. Die Gaststätte gilt als Treffpunkt für Anhänger des formell aufgelösten »Flügels«.

Auch zwei weitere mutmaßliche Mitglieder der Gruppe haben Verbindungen zur AfD: Christian Wendler war Recherchen von Zeit Online zufolge Stadtrat für die AfD im sächsischen Olbernhau. Die Astrologin Ruth Hildegard Leiding soll Berichten zufolge am Aufbau des AfD-Ortsverbands Heppenheim (Hessen) mitgewirkt haben.
Einige der Festgenommenen sind im Zusammenhang mit der »Quer­den­ken«-Bewegung in Erscheinung getreten, zum Beispiel der ehemalige Polizist Michael Fritsch aus Hannover (siehe Seite 5). Ebenso der Oberst a. D. des Kommandos Spezialkräfte (KSK), Maximilian Eder: Er ist ein prominenter Vertreter der Veteranenverbände, die sich etwa seit April 2021 im »Quer­den­ken«-Dunstkreis gegründet hatten. Mindestens seit dem vergangenen Winter scheint es nichtöffentlich organisierte »Kameradschaftstreffen« solcher ehemaligen Soldaten gegeben zu haben.

Heinrich XIII. Prinz Reuß hatte in den vergangenen Jahren in verschwörungstheoretischen Kreisen Bekanntheit ­erlangt, weil er zu unerwarteten Anlässen Reichsbürger-Thesen zum Besten gab. So kursiert ein Video im Netz, das ihn angeblich bei einer UN-Veranstaltung in Genf zeigt, wo er auf Einladung der Russischen Föderation gesprochen haben soll. In dem Video sagt er: »Deutschland ist kein völkerrechtlich souveräner Staat (…) und hat keine Verfassung.« 2019 tat er auf dem Worldwebforum in Zürich szeneübliche Irrmeinungen kund. Der Titel seines Vortrags lautete übersetzt: »Wieso die blaublütige Elite Diener geworden ist«. Er beklagte darin die Entmachtung des deutschen Adels, an der auch die Fa­milie Rothschild mitgewirkt habe.

In der Reichsbürgerideologie könnte Reuß eine Möglichkeit gesehen haben, diesen schmachvollen Zustand zu beenden. Im Oktober 2021 soll er sich mit Frank Haußner getroffen haben, einem führenden Vertreter des rechten Protests in Thüringen. Haußner zeigte sich angetan: »Wir haben im Gebiet des Fürstentum Reuß die einmalige Konstellation, einen legitimen Rechtsnachfolger eines Reichsfürsten zu haben, der den Weg zu Staatlichkeit und Souve­ränität mit uns gehen will«, sagte Haußner, wie eine Videoaufnahme dokumentiert.

In einem Strategiepapier, dass in Thüringer Telegram-Gruppen kursierte und Haußner zugeordnet werden kann, wird der Adel als Verbündeter für den rechten Widerstand genannt. »Wir sehen in ihnen Verbündete zu Staatlichkeit und Souveränität«, heißt es dort. Auch auf Demonstrationen wünschen sich Anhänger der Reichsideologie teilweise lautstark, dass Hohenzollern-Sprösslinge wieder den Thron besteigen.

Der Soziologe Andreas Kemper betont, dass Gruppen von Aristokraten eine der wichtigen Strömungen in der AfD darstellen. Auch antifeministische Organisationen in Deutschland seien vom »Erbadel (…) dominiert«. Jobst Graf von Wintzingerode, CDU-Mitglied und Landesbeamter in Niedersachsen, suchte 2018 in einem Essay in der Leipziger Volkszeitung die Antwort auf die Frage, ob die AfD eine »Alternative für den Adel« sei. Er kam zu dem Schluss, dass das Vertrauen des deutschen Adels in die Bundesrepublik 1990/91 »einen Stoß« bekommen habe: Bei Abwicklung der DDR sind ursprünglich im Besitz von Adelsfamilien befindliche Flächen über die Treuhandanstalt verkauft worden, statt sie den Erben zurückzugeben. »Der Vertrauensverfall bewirkte bei einigen eine schleichende Radikalisierung«, schreibt Wintzingerode. Auch Heinrich Reuß beklagte auf dem Worldwebforum 2019 in Zürich, dass seine Familie »entrechtet und ­enteignet« worden sei.

Die vermeintlich abseitigen Ideologeme der Reichsbürger sind in der deutschen Rechten längst Mainstream: Redner auf sogenannten Montagsdemonstrationen schwadronieren inzwischen routiniert von einem angeblich noch ausstehenden »Friedensvertrag« und dem Widerstand gegen die »Besatzungsmächte«, zuletzt zum Beispiel auf der »Ami Go Home«-Demonstra­tion in Leipzig (Jungle World 48/2022). Reichsideologie findet sich auch beim Führungspersonal der AfD: Bundessprecherin Alice Weidel soll 2013 in einer privaten E-Mail die Bundesregierung als »Marionetten der Siegermächte« bezeichnet haben. Der Zeitung Welt zufolge behauptet Weidel inzwischen nicht mehr, dass diese Mail eine Fälschung sei.

Martina Renner, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, kritisierte im ­Interview mit dem Nachrichtensender NTV die Informationspolitik der Sicherheitsbehörden: »Die Infos waren derart breit gestreut, dass es wie eine PR-Aktion wirkt«, sagte Renner. »Die kann den zuständigen Behörden und Ministerien als Arbeitsnachweis dienen.« Zumindest einer der Verdächtigen soll auch schon mit den Durchsuchungen gerechnet haben: Recherchen der Neuen Passauer Presse und des ZDF ­zufolge habe Maximilian Eder bereits eine Woche vor seiner Verhaftung seine Nachbarin gewarnt, dass eine Razzia bevorstehen könnte.

Eine andere bewaffnete Gruppe aus dem Milieu ist im April 2022 hochgenommen worden: Mitglieder der Chatgruppe »Vereinte Patrioten« sollen ­Anschläge und die Entführung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geplant haben. Bei einem Mitglied der Gruppe haben Ermittler eine SS-Uniform und ein AK-47-Sturmgewehr gefunden, meldete die Rundfunkanstalt RBB. Man plante offenbar, durch Anschläge auf das Stromnetz ­einen großflächigen Stromausfall und letztlich bürgerkriegsähnliche Zustände herbeizuführen, hieß es.

Diese »bürgerkriegsähnlichen Zustände« sind das Ziel zahlreicher, wenn nicht aller rechtsextremen Umsturzpläne der vergangenen Jahre. Dass rechtsextreme Polizisten und Sol­da­t:in­nen hierfür eine Schlüsselrolle spielen, weiß man auch in Teilen der AfD: »Die ›Festung der Etablierten‹ muss von mindestens zwei Seiten in die Zange genommen werden: von der protestierenden Bürgerbasis her und von uns als par­lamentarischer Speerspitze der Bürgeropposition. Wichtig wäre noch eine weitere Front aus den frustrierten Teilen des Staats- und Sicherheitsapparates heraus«, sagte der Thüringer Landesvorsitzende der AfD Björn Höcke in ­seinem 2018 veröffentlichten Interviewband »Nicht zweimal in denselben Fluss steigen«.