Beim Vererben von Immobilien können bald mehr Steuern anfallen

Ein bisschen mehr Steuern

Ab dem 1. Januar wird das Vererben von Immobilien teurer. Das war lange überfällig, weil die Immobilienpreise im vergangenen Jahrzehnt enorm angestiegen sind. Jedes Jahr werden in Deutschland mehrere Hundert Milliarden Euro vererbt, die steuerliche Belastung ist gering.

Wer Immobilien besitzt und sie an seine Kinder vererben möchte, steht derzeit unter Zeitdruck. Ab dem kommenden Jahr wird der Wert von Immobilien für steuerliche Zwecke neu veranschlagt. Für potentielle Erben kann das teuer werden, auch bei Schenkungen greift diese Neuregelung. Wer seine Immobilien noch zu den alten, günstigen Konditionen weitergeben will, muss sich beeilen und sie noch vor dem Stichtag am 1. Januar an seine Kinder oder Enkel übertragen. »Die Nachfrage ist riesig,« sagte der Notar Marc Ströbele kürzlich der Zeitschrift Capital. »Bis zum Jahresende werden mein Team und ich nahezu im Akkord mit Vermögensübertragungen beschäftigt sein.«

Mit der Neubewertung von Immobilien sollen die teils erheblichen Wertsteigerungen der vergangenen Jahre zukünftig besser berücksichtigt werden. Notwendig wurde sie durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – und sie ist auch überfällig, denn die Kaufpreise für Immobilien haben sich in Ballungsräumen in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten verdoppelt bis verdreifacht. Im deutschlandweiten Durchschnitt sind sie in den vergangenen zwölf Jahren um 65 Prozent gestiegen. Die Erbschaftsteuer, die jenseits eines Freibetrags von einer halben Million Euro für den Ehepartner und von 400 000 Euro für jedes Kind fällig wird, wird demnächst also für viele steigen. Die Neuregelung hatte die Bundesregierung im Dezember im neuen Jahressteuergesetz beschlossen.

Rund 400 Milliarden Euro wurden im vergangenen Jahr in Deutsch­land vererbt. Mitte der neunziger Jahre wurden jährlich nur 105 Milliarden Euro vererbt.

Im Bundesrat, der dem Gesetz zustimmten musste, hatte Bayern Ende vergangener Woche noch versucht, ein schnelles Inkrafttreten zu verhindern. Die Mehrheit der Länder stimmte dem Gesetz jedoch zu. Nun erwägt die baye­rische Regierung eigenen Angaben zufolge, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen.

Die Union hatte das Vorhaben im Bundestag scharf kritisiert und verlangt, die Freibeträge um 65 Prozent zu er­höhen. Leistung dürfe nicht erstickt werden, forderte dort der CDU-Abgeordnete Olav Gutting. Es müsse weiter möglich sein, das »Familienheim« steuerfrei weiterzugeben. »Sie wollen, dass die Menschen in unserem Land kein Vermögen mehr haben«, klagte sein CSU-Kollege Sebastian Brehm die Bundes­regierung an.

Die Sorge ist unbegründet. Es gibt wohl kaum eine bessere Möglichkeit, ohne eigenes Zutun ein Vermögen zu erlangen, als durch Erbschaften. Bis zu 400 Milliarden Euro werden jährlich vererbt, schätzt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) – eine Summe, die fast so hoch ist wie der gesamte Bundeshaushalt, der im kommenden Jahr 476 Milliarden Euro betragen soll. Insgesamt ist das Volumen in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen. Dazu beigetragen haben die deutlichen Wertsteigerungen von Immobilien, Firmenanteilen und Aktienbeständen. Mitte der neun­ziger Jahre wurden jährlich nur 105 Milliarden Euro vererbt.

Und gerade Erben von großen Vermögen zahlen häufig wenig Erbschaftssteuer. Wie das DIW vergangenes Jahr ausrechnete, zahlen Erben, die mehr als 20 Millionen Euro erben, nur 2,9 Prozent Erbschaftssteuer. Grund dafür sind zahlreiche Schlupflöcher, die besonders Unternehmenserben begünstigen. Wer drei Wohnungen erbt, muss Steuern entrichten, weil sie als private Immobilien zählen, 300 Wohnungen erkennt das Finanzamt hingegen als Betriebsvermögen an. Dann gilt die sogenannte Verschonungsregel – 85 bis 100 Prozent des Unternehmensvermögens bleiben steuerfrei.

Hinzu kommt die Möglichkeit, den Erbfall durch Schenkungen vorausschauend zu umgehen. Indem man Eigentum in mehreren Schenkungen über einen längeren Zeitraum überträgt, können Freibeträge mehrmals genutzt werden. Es gibt viele Schlupflöcher, die nahezu steuerfreie Weitergabe von Vermögen ermöglichen. Dem Statistischen Bundesamt zufolge betrugen die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer im vergangenen Jahr nur rund zehn Milliarden Euro. Die Tabaksteuer brachte hingegen fast 15 Milliarden Euro ein.

Im internationalen Vergleich hat Deutschland eine der niedrigsten Besteuerungsquoten auf Vermögen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hatte im vergangenen Jahr in einer Studie verschiedene vermögensbezogene Steuerformen in bevölkerungsreichen OECD-Ländern verglichen. Deutschland sei ein »Paradies für Vermögende«, ­bilanzierte damals das DIW.

Erbschaften sind in Deutschland zudem sehr ungleich verteilt. In einer anderen Studie hatte das Institut untersucht, wer am meisten von Nachlässen profitiert. Fast die Hälfte der Wertübertragungen geht an die obersten zehn Prozent der Begünstigten. Es profitieren »insbesondere diejenigen von Erbschaften und Schenkungen«, die »schon über hohes Vermögen oder Einkommen verfügen«.

Die regionale Herkunft spielt in Deutschland bei der Verteilung der Erbschaften ebenfalls eine große Rolle. Da es in der ehemaligen DDR nicht möglich war, Vermögen aufzubauen, fallen Erbschaften im Osten Deutschlands entsprechend geringer aus. Dort sind die übertragenen Vermögenswerte im Schnitt nach Angaben des DIW nicht einmal halb so groß wie in den alten Bundesländern.

Die enormen Erbschaften tragen dazu bei, dass sich die Vermögen ­äußerst ungleich verteilen. Das reichste Prozent besitzt dem DIW zufolge rund 35 Prozent des gesamten Vermögens, während die unteren 90 Prozent etwa 33 Prozent besitzen. 16 Millionen Menschen haben gar kein Erspartes oder sind verschuldet.

Bei der Zahl der Millionäre rangiert Deutschland hinter den USA und Japan auf Platz drei, knapp vor China und weit vor Frankreich oder Großbritannien. 2021 gab es dem World Wealth Report zufolge in Deutschland 1,63 Millionen Menschen mit einem Vermögen von mehr als einer Millionen US-Dollar. Dabei sind Immobilien, die selbst genutzt werden, nicht einmal berücksichtigt. Mit einer anderen Methode kommt die Credit Suisse sogar zu dem Ergebnis, dass es in Deutschland 2,638 Millionen Vermögensmillionäre gibt.

Diese Vermögenskonzentration hängt auch mit der hohen Zahl an Familienunternehmen zusammen, die es in Deutschland gibt. Das betrifft keineswegs nur den sogenannten Mittelstand: Jede zweite der 100 größten deutschen Firmen ist in Familienbesitz, darunter riesige Konzerne wie BMW, Merck, und Henkel. Ab einer gewissen Größe tendieren Familienvermögen dazu, sich im Lauf der Generationen zu potenzieren. Je größer Besitz und Privilegien sind, desto einfacher ist es, sie zu erweitern. Wie in kaum einem an­deren Industriestaat hängen Bildungs- und Aufstiegschancen in Deutschland von der Herkunft ab. Wer arm geboren wird, bleibt es in der Regel auch. Vermögende bleiben hingegen unter sich und bauen den Abstand zur restlichen Gesellschaft weiter aus.

Das reichste Prozent der Gesellschaft lebt in »einer der am schlechtesten integrierten Parallelgesellschaften«, seine Angehörigen hätten wenig Ahnung vom Leben der restlichen 99 Prozent, schreibt die Autorin Marlene Engelhorn in ihrem kürzlich erschienenen Buch »Geld«. Dennoch würden sie deren Lebensbedingungen zu einem ­wesentlichen Teil bestimmen. Das Geld der Reichsten erkaufe ihnen nicht nur ein angenehmes Leben, sondern auch Einfluss – in der Wirtschaft, der Politik und in den Medien.

Engelhorn weiß, wovon sie schreibt, denn sie kommt selbst aus einer der wohlhabendsten Familien im deutschsprachigen Raum. Einer ihrer Vorfahren war Friedrich Engelhorn, der Gründer des Chemiekonzerns BASF. Zuletzt hat die Familie große Anteile am Pharmaunternehmen Boehringer Mannheim besessen, das 1997 verkauft wurde.

Die Weitergabe von Vermögen in Familiendynastien nennt Engelhorn feudal, ein Relikt aus vordemokratischen Zeiten. Mit Arbeit haben große Vermögen jedenfalls nichts zu tun: »Es ist eine Lüge, dass Arbeit reich macht«, sagt sie. Dennoch sind die Steuern auf Arbeit deutlich höher als jene auf Erbschaften und Schenkungen in Millionenhöhe. »Es gibt fast kein Land, das Vermögen so gering besteuert und Arbeitseinkommen so stark besteuert wie Deutschland. Und das macht ökonomisch überhaupt keinen Sinn«, bestätigt DIW-Präsident Marcel Fratzscher.

Im vergangenen Jahr hat Engelhorn zusammen mit anderen Vermögenden die Initiative »Tax me now« gestartet. »Demokratiegefährdende Machtkonzentration in Form von Kapital und Einfluss von wenigen steht wachsender materieller Unsicherheit von vielen gegenüber«, heißt es in dem Aufruf. Darin fordern die Initiatoren, die Erbschaftsteuer zu reformieren und Vermögen höher zu besteuern.

Der französische Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty geht noch weiter. Er schlägt eine Art »Erbschaft für alle« vor. Vermögen und Erbschaften sollen demnach stark besteuert werden. Mit dem so gewonnenen Geld solle der französische Staat unter anderem allen Bürgerinnen und Bürgern zum 25. Geburtstag 120 000 Euro schenken, als eine Art Startkapital fürs Leben.