Schotten- und Indianerdarsteller auf beiden Seiten des Atlantiks

Indigener Atlantik

Eine kleine Geschichte zirkumatlantischer Ethnomode und was sie über Rassismus, Kolonialismus und ­kulturelle Aneignung erzählen kann.

Wer sich als Indianer verkleidet, so weit der Stand der aktuellen Regression, betreibt sogenannte kulturelle Aneignung. Wer sich als Highlander verkleidet, tut es nicht. Was aber, wenn Indianer sich als Schotten verkleiden? Ob das jetzt Hänselei oder doch die Fangfrage einer argumentativen Auseinandersetzung ist, dürfte den sich mit Minderheiten solidarisch gekränkt Fühlenden einerlei sein; bedroht fühlen sie sich von beidem und kompensieren das durch eine Ambivalenzabwehr, die sie stolz wie eine Adlerfedernhaube zur Schau stellen.

Wer sich auf die Debatte über kulturelle Aneignung einlässt, wird geistig nicht unbeschadet daraus hervorgehen. Sie nötigt, auf Platitüden mit Platitüden zu reagieren – und kritische Energie in Endlosdiskussionen zu vergeuden, zu Fragen, die man vor wenigen Jahren noch als infantil oder scherzhaft aufgefasst hätte. Doch drängt die Aneignungskritik unter progressiver Flagge jeden Einspruch in die Defensive und zur Rechtfertigung, ihn nicht rassistisch oder prokolonial zu meinen. Doch wer sich rechtfertigt, so weiß man, der hat schon verloren.

Der Kilt ist ein Beispiel dafür, dass Symbole uralter Tradition, die man gegen die traditions­zer­störende Dynamik der Moderne in Anschlag bringt, jünger sind als jene Dynamik selbst.

Über den vernünftigen Kern der Aneignungskritik redet kaum mehr jemand: der Kritik von kulturalisierender Aneignung als Romantisierung der Kultur Diskriminierter und von kultureller Enteignung als Definitions- und Vermarktungsmacht über diese Kulturen.

Vielmehr betreiben die einen kulturellen Artenschutz, und die anderen belehren sie dann mit der Banalität, dass doch jede Kultur aus Vermischung entstanden und notwendig hybrid sei. Der nächste logische Schritt dieser Totalkulturalisierung im Zeichen von Folk­lore und Mummenschanz ist, dass die Debatte dorthin zurückkehrt, wo sie vor 200 Jahren ihren völkischen Anfang nahm: bei der Erfindung der Nationalkultur, die sich stets als bedrohte indigene deklarierte und in der sich nicht nur die rechte Antimoderne wohlfühlt.

Der Kilt – zwischen Crossdressing und Arbeitskluft

In schottischen Internetforen zum Beispiel wird hitzig darüber gestritten, ob Nichtschotten den Kilt tragen dürfen, jenes Karoröckchen, über das Ambrose Bierce um 1900 vermerkte, dass es Schotten in Amerika und Amerikaner in Schottland trügen. In der neueren postkolonialen Völker- und Faschingskunde besteht der wesentliche Unterschied zwischen der Verkleidung als Winnetou und der als Braveheart darin, dass Native Americans unterdrückte people of color, Schotten als Bleichgesichter hingegen natural born colo­nialists seien. Eine Behauptung, der viele Schott:innen heftig widersprechen würden, sehen sie sich doch selbst als Opfer englischer Kolonialisierung.

Es ließe sich nun fachsimpeln, dass die abscheulichste kulturelle Aneignung in Schottland wohl diejenige der Symbole einer zuvor rassistisch abgewerteten Hochlandkultur durch anglophone Lowlander war, zwecks Konstruktion einer panschottischen Identität. Die auffälligste Paradoxie der schot­tischen Selbstfolklorisierung besteht nämlich darin, dass sie sich mit Accessoires schmückt und von englischer Kultur abhebt, mit denen sich die als Barbaren verachteten Highlander zuvor von der teils urbanen südschottischen Kultur abgehoben hatten. Die Verklärung und Vermarktung ethnischer Kultur kann erst dann richtig vonstatten gehen, wenn ihre Trä­ge­r:in­nen unterworfen und vertrieben sind. Die Unterwerfung der hochländischen Clankultur nach dem gescheiterten Jakobitenaufstand von 1745, der im Hochland seinen Anfang nahm, und mehr noch die Vertreibung der Kleinbauern und Pächter durch ihre eigenen feudalisierten Clanchefs ließen die Highlands als Weideland für Schafe und Fläche für Projektionen zurück.

Liberales Buchwissen würde nun anhand des schottischen Beispiels drauflos bramarbasieren, ­inwiefern die spätere romantisierende Aneignung der Schottenkaros durch die britische Mehrheitsgesellschaft um 1820 die internationale Mode und sogar das Design indonesischer Wickelröcke inspirierte. Doch man sollte nicht die Hybriditätshymnen bildungsbürgerlicher Selbstberuhigung anstimmen, weil sie – da hat Identitätspolitik, wenn auch mit falschen Kategorien, gegen sie recht – die Misstöne von Macht, Unterdrückung und Verdinglichung aussparen.

Folgende Anekdote sagt mehr über Wesen und Funktion ethnischer Kultur in Zeiten der kapitalistischen Conquista alles Seienden aus, denn das Pikante am Design des schottischen Kilts ist nicht allein, dass sein Designer ein sassenach, ein Engländer war, sondern der Grund, warum er ihn designt ha. Die traditionelle Tracht der Hochländer war der ­féileadh-mór (Philamore), eine lange Bahn aus gewalkter Wolle, die um die Hüften gegürtet wurde, den Rest wickelte man um eine oder beide Schultern. 1715 wurden die Highlands per Beschluss des britischen Parlaments der wirtschaftlichen Erschließung freigegeben. Der englische Unternehmer Thomas Rawlinson aus Lancashire sicherte sich im Gebiet seines Geschäftspartners Ian MacDonnell of Glengarry Abholzungskonzessionen. Dieser stellte ihm außerordentlich billige Arbeitskräfte zur Verfügung. Die Kleidung der Arbeiter erwies sich allerdings als sehr unpraktisch, da sich die gefällten Stämme gerne im Schulterwurf des Philamore verhedderten. Als praktischer Geist fand Rawlinson eine Lösung und ließ die Tracht kurzerhand in zwei Teile schneiden. Somit war der féileadh-beag (Philabeg) oder Kilt erfunden.

Dieser Inbegriff zeitloser Tradition und schottischen Nationalgefühls ist also das Produkt eines Prototaylorismus, einer frühkapitalistischen Effizienzsteigerung, die noch dazu von der englischen Unternehmerklasse insinuiert wurde – ein extremes Beispiel von Tausenden, dass angeblich uralte Symbole und Traditionen, die man gegen die zersetzende Dynamik der Moderne in Anschlag bringt, jünger sind als jene Dynamik selbst. Weiter gedacht, sind die nackten Hügel des Hochlands, deren Düsternis der romantische ossianische spirit sehnsuchtsvoll umschwadete, selbst die ökologischen Ruinen der frühen Industrialisierung. Zwar büßten die Highlands schon im Mittelalter einen Großteil ihrer Wälder ein, doch steigerte sich der Hunger der Glasgower Werften und mittelenglischen Kohleöfen nach Holz im 18. Jahrhundert immens. Man kann das als ­Polemik oder amüsante Illusionszerstörung sehen, aber es hat sein Körnchen Wahrheit, dass die Nacktheit der wild-romantischen Nebelberge ein Freiluftmuseum frühindustrieller Umweltzerstörung und Trostlosigkeit ist.

Indianer als erste Aneigner ­schottischer »couture«

Nach dem niedergeschlagenen Jakobitenaufstand war das Tragen der alten und doch neuen Tracht nur Soldaten der neugeschaffenen Highland-Regimenter im Dienste der britischen Krone gestattet. Diese betrieb eine doppelte Kolonialisierung: Die potentiell rebellischen Hochländer wurden in den amerikanischen Kolonialkriegen geopfert. Doch wäre es nur ein Teil der Wahrheit, sie deshalb als Kolonialisten in die Geschichte eingehen zu lassen. Anhängern der neuesten identitätspolitischen Komplexitätsreduktionen sei davon abgeraten, sich auf die Ambivalenzen der Geschichte der nordamerikanischen Besiedlung durch die Weißen einzulassen, da sie ihren Antirassismus sonst nicht mehr auf einer unterkomplexen Cow­boy-Indianer-Pola­rität bauen könnten.

Glaubt man den zeitgenössischen Quellen, hatten viele Native Americans eine Schwäche für diese Krieger in den karierten Röcken, mit denen sie zuweilen Seite an Seite gegen die Franzosen kämpften, und die Sympathie beruhte durchaus auf Gegenseitigkeit. Die Kolonialherrschaft betrachtete Indianer ebenso wie Hochländer als Wilde, und als solche dürften beide einander erkannt haben. Tartans, also Wollstoffe im Karodesign, zählten zu den beliebtesten Handelsgütern der von Highlandern dominierten Hudson Bay und North West Company.

Theodore W. Allen hat in den 1990er Jahren in seinem bahnbrechenden zweibändigen Werk »Die Erfindung der Weißen Rasse« die Besonderheiten des antiirischen Rassismus und die Geschichte irisch-afroamerikanischer Symbiose herausgearbeitet, weniger bekannt ist die mannigfaltige schottisch-indianische Osmose.

1767 schickte die von Quäkern dominierte Regierung Pennsylvanias ein Highland-Regiment in den Westen, um Natives gegen eine mordende weiße Siedlermiliz, die Paxton Boys, zu Hilfe zu eilen. Diese waren sogenannte Ulster Scots, Nachkommen südschottischer Siedler, welche die britische Krone in Nordirland angesiedelt hatte, um die irischen Gälen zurückzudrängen. In Amerika führten sie den Kampf gegen Indigene fort, die nun von den gälischsprachigen »Cousins« dieser Iren beschützt werden mussten.

Als sich Osceola, der Anführer des zweiten Seminolenaufstands, im Jahr 1838 zum Sterben bettete, legte er den Tartanplaid seines schottischen Großvaters an. Ein Indiz nur dafür, dass ein beträchtlicher Teil der Oberschicht der südlichen Stämme der Creek, Seminolen, Cherokee, Choctaw und Chickasaw Nachkommen meist hochlandschottischer Händler waren. Auch die Mischbevölkerung der sogenannten Métis in Kanada, die in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts einen großen antikolonialen Aufstand unternehmen sollten, hatten neben einem französischen ­auch ein schottisches Substrat, die sogenannten Anglo-Métis, in deren kreolischer Sprache, dem Bungee, sich eine nicht unbeträchtliche Zahl gälischer Wörter erhielt. Der Historiker Colin G. Calloway schrieb, im 19. Jahrhundert habe man in Westkanada, im Bundesstaat New York sowie in den Bergen Montanas und Tennessees Cree, Mohawk, Cherokee und Salish mit gälischem Akzent sprechen hören. Ein gewisser Robert MacDougall hielt in seinem in Gälisch verfassten »Emigrant’s Guide to North America« die Sprache der kanadischen Algonquin wegen ihrer »slow, soft, pleasant speech« sogar für »merely a branch of the Gaelic language« – einen Zweig der gälischen Sprache. Auch von indianischer Seite wurde oft eine kulturelle und sprachliche Verwandtschaft mit den Hochländern angenommen.

Hollywood als Inspiration

Eines der vernünftigsten Argumente gegen kulturelle Aneignung lautet, dass sie geschichtsblind Stereotype und Klischees reproduziert, die aus Fremdwahrnehmung und Fremdzuschreibung erwachsen und nicht die Perspektiven der Betroffenen berücksichtigen. Völlig zu Recht wird darauf verwiesen, dass der Faschingsindianer die Diversität Aberhunderter indianischer Kulturen mit Füßen trete. Was aber, wenn der Versuch, Marginalisierte vor Stereotypisierungen zu schützen, selbst Stereotypen aufsitzt? Die Vorstellung kulturell geschlossener Stämme und einheitlicher Kleidung ist der Archetyp aller europäischen romantisierenden Projektionen, die nichts mit einer ethnographischen Wirklichkeit zu schaffen haben. Desgleichen das Bedürfnis nach jener künstlichsten Feder in der Krone antimoderner Ideologie: der Authentizität. Wer die Geschichte indianischer Mode studiert, wird nicht nur einen permanenten Wandel gewärtigen, sondern auch eine individualistische Variabilität in der Wahl der Accessoires, die übrigens alle Gesellschaften dieser Welt vor ihrer kleinbürgerlichen Fremd- und Selbstfolklorisierung auszeichnete.

Die größten Aneigner indianischer Kultur sind aber noch immer die Native Americans selbst. Nicht nur entsprechen die Phantasietrachten einer synkretistischen Native-American-Kultur aus in China gefertigten Kunststoffaccessoires, wie sie bei heutigen Powwows dargeboten werden, der Requisite Hollywoods, vielmehr war jeder John-Ford-Western, ja, jedes Sommerlager von DDR-Freizeitindianern designmäßig einer traditionellen Indianerkultur näher als sie. Natürlich entwickelt sich auch Volkskultur weiter, und natürlich darf niemand marginalisierten und unterdrückten Minderheiten vorschreiben, wie sie ihre eigene Kultur zu interpretieren hätten. Doch sind Marginalisierte, sozial Depravierte und ihrer Herkunft Entfremdete weder Ethnologen noch Hüter kultureller Echtheit, sondern mitunter Menschen mit Faible für Flitter und Fummel, ganz gleich ob Sambakostüm, Oktoberfest- oder Faschingsindianerkluft.

Identitätsboutiquen der totalen Shopping Mall

Ein Problem der über die Postmoderne zur Romantik regredierten Linken ist ihr ethnisierter Kulturbegriff. Hierin gehören die kulturellen Aneigner und ihre Kritiker zu ein und demselben Stamm (und meiner bescheidenen Meinung nach auch an denselben Marterpfahl). Der undurchdachte, weil unbewusste Rassismus der Beschützer diskriminierter Menschen liegt außer in der paternalistischen, beinahe kolo­nialen Arroganz, mit der sie diese ungefragt zu naturhaft Dauergekränkten und sich selbst zu Tröstern stilisieren, auch in der Selbstverständlichkeit, mit der sie Folklore als kollektiven Ausdruck von Kultur imaginieren und damit ihr Bedürfnis nach kohärenten Kollektiven befriedigen. Betroffene Diskriminierte, die als wütende Aktivisten ihre Stimme erheben, so recht sie auch haben mögen, werden immer als Repräsentanten der gesamten Gruppe aufgefasst. Darin entlarvt sich der bewährte Rassismus, dem die eigene Gesellschaft als differenziert und individualistisch, die fremde aber als homogene Willensgemeinschaft gilt – nach der man sich insgeheim sehnt.

Auch die historische Imago geschlossener Stämme unter Führung entschlossener Häuptlinge war eine westliche Projektion. Die Häuptlinge, mit denen die US-Regierung Verträge abschloss, vertraten selten den gesamten Stamm, der selbst nie eine politische Einheit bildete, und besaßen somit auch nicht das Mandat, diese Beschlüsse durchzusetzen – ganz im Gegensatz zu ihren zivilisierten Vertragspartnern, die über alle institutionelle Macht verfügt hätten, sie Gesetz werden zu lassen, sie aber regelmäßig brachen.

Auch heutzutage sprächen wütende Indigene nicht für das Gros ihrer Lei­dens­genoss:innen, wenn sie sich durch Indianerkostüme beleidigt fühlten, ebenso wenig wie ihre weißen Lobbyisten, die sich stellvertretend für sie gekränkt fühlen. Wer etwa, um bei der Trachtenkunde zu bleiben, die mehr oder minder phantasievolle hybride Darbietung bei den Powwows als volonté générale der nordamerikanischen Indigenen akzeptiert, negiert die Stimmen derer, die diese Karnevalstrachten zugunsten der lokalen Traditionen ihrer jeweiligen Ethnien ablehnen; er negiert aber mehr noch die weitaus zahlreicheren Stimmen derjenigen Natives, die sich nie wie Indianer anziehen und die der gesamte Ethnoquatsch nichts angeht, weil sie sich den Referenzspielchen zwischen weißen Mittelschichtskindern und den Wichtigmachern und Konservativen der eigenen Communitys entziehen. Ihre Kränkungen als sozial depravierte Amerikaner sind anderer Natur als die im Diskursfasching behaupteten.

Das aber ist ein heißes Eisen, das besser Natives selber anfassen sollten, und sie tun es wohl auch, nur passen ihre sarkastischen Stimmen nicht ins Wunschportefeuille der identity catchers, noch haben sie sich die QR-Codes ihrer Vermarktbarkeit ins Gesicht gepinselt, die den weißen Liberalen als stolze Kriegsbemalung erscheinen. Doch wissen sie vermutlich alles über die kulturindustriell vermittelten und von weißen Liberalen gerne gekauften Embleme der Kultur, die angeblich die ihre ist, von deren Schutz sie sich freilich nichts kaufen können. Wobei diese Stereotype sich nicht nur auf den Zankapfel der kulturellen Aneignung, die Tracht, beschränken, sondern auch all die habituellen Indianerbilder von Spi­ritualität über natives Ökobewusstsein bis zur stolzen, stoischen Schweigsamkeit umfassen, die selbst als identitäre Selbstfindung noch den Makel des ­weißen Blicks und des weißen Marktes tragen.

Da nicht mehr die formulierte Wahrheit, sondern die sogenannte Sprecherposition und die Identität der Spre­cher:innen den Wert einer Aussage bestimmen, wird es wohl an den Marginalisierten selbst liegen, das Kriegsbeil auch gegen eine Solidarität auszugraben, die sie zwar vor der Kränkung durch weiße Faschingsindianer schützen will, der aber die Kränkung, die ein Leben unter dem Existenzminimum bedeutet, zu allgemein materiell, das heißt: zu wenig kulturell ist. Den Betroffenen eine Stimme zu geben bedeutet, nicht nur auf die zu hören, die sich durch Weiße im Indianerkostüm und Engländer im Kilt beleidigt fühlen, sondern auch jene zu Wort kommen zu lassen, für die der Unfug bereits beginnt, wenn sich Indianer als Indianer und Schotten als Schotten verkleiden.