In Thüringens Kommunalpolitik paktieren demokratische Parteien mit der AfD

Der Osten grollt

Während der thüringische Landesverband der AfD mit verschiedenen Vertretern und Vertreterinnen der extremen Rechten kooperiert, legen die demokratischen Parteien ihre Berührungsängste ab.

Die thüringische Opferberatung Ezra befürchtet in ihrem jüngsten Newsletter (»Kaltland-Report«), dass »eine Eskalation wie in den Jahren 2015/2016 droht, in denen täglich mindestens vier bis bis Menschen in Ostdeutschland und Berlin Opfer eines rechten Angriffs geworden sind«. Die besorg­nis­erregende »neue Welle rechter und rassistischer Gewalt« geht einher mit einer starken Mobilisierung der extremen Rechten vor allem im Osten Deutschlands, die zu einem Anstieg rechtsmotivierter Gewalttaten führt.
Vor allem die Proteste im Zuge der Covid-19-Pandemie und des Ukraine-Kriegs waren im vergangenen Jahr laut Mobit, der Mobilen Beratung in Thüringen, »von zentraler Bedeutung«. Tonangebend sei dabei die »Alternative für Deutschland« (AfD). Während die Thüringer Neonazi-Szene nach internen Streitigkeiten und organisatorischen Zerwürfnissen weiterhin versuche, sich neu zu organisieren, kooperierte der Landesverband der AfD erfolgreich mit den verschiedenen Lagern der extremen Rechten. Die Partei zähle »zu den zentralen Strukturen für die extrem rechten Mobilisierungen auf der Straße und bei der Verbreitung von Verschwörungsmythen«.

Der AfD gelang es gemeinsam mit Vertretern des rechtsextremen Bündnisses »Freies Thüringen«, beinahe überall im Freistaat sogenannte Montagsdemonstrationen beziehungsweise unangemeldete »Spaziergänge« zu initiieren. Höhepunkt war der 3. Oktober, als sich nach offiziellen Angaben über 36 000 Menschen im gesamten Bundesland an den Protesten beteiligten. Obwohl der angekündigte »heiße Herbst« ausblieb und die extreme Rechte bundesweit keine größeren Mobilisierungserfolge zu verzeichnen hatte, gingen Ende November in ganz Thüringen immer noch 10 000 Personen auf die Straße.

Laut Prognosen könnte die thüringische AfD bei der nächsten Landtagswahl mit 30 Prozent der Wählerstimmen zur stärksten Partei werden.

In dem Bundesland wird diese Melange aus Reichsbürgern, Verschwörungsideologen, Neonazis und der AfD immer mehr zu einer in der Bevölkerung breit etablierten Bewegung. Laut Prognosen könnte die AfD bei der nächsten Landtagswahl mit 30 Prozent der Wählerstimmen zur stärksten Partei werden. Im benachbarten Sachsen käme die Partei laut einer repräsentativen Umfrage auf 26 Prozent, hinter der CDU mit 32 Prozent. Allerorts bröckeln die einst von den demokratischen Parteien, insbesondere der CDU, eilig hochgezogenen »Brandmauern« (Friedrich Merz); die Zusagen, nicht mit der AfD zu kooperieren, werden gebrochen.

Mitte Dezember stimmten im Kreistag von Bautzen die Mitglieder der CDU-Fraktion mehrheitlich einem Antrag der AfD zu, der die Kürzung von Integrationsleistungen für ausreisepflichtige Ausländer forderte. Bei den Leistungen des Landkreises handelt es sich zum Beispiel um Sprachkurse, Begegnungs- und Beteiligungsangebote für Zugewanderte und Einheimische sowie Beratungen zu Kita und Schulpflicht.

Als einziges Mitglied der CDU-Fraktion stimmte der ehemalige Bürgermeister von Bischofswerda, Andreas Erler, gegen diesen Antrag, fünf weitere Mitglieder enthielten sich. Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) betonte als Reaktion zwar, dass er auf Landesebene jegliche Zusammenarbeit mit der AfD ausschließe, aber ein Parteiausschlussverfahren, wie im Januar noch vom CDU-Bundesvorsitzenden Friedrich Merz für Fälle wie den in Bautzen angedroht, müssen die Christdemokraten im dortigen Kreistag derzeit wohl nicht fürchten.

»Die Landesverbände, vor allem im Osten, bekommen von uns eine glasklare Ansage: Wenn irgendjemand von uns die Hand hebt, um mit der AfD zusammenzuarbeiten, dann steht am nächsten Tag ein Parteiausschlussverfahren an«, hatte Merz postuliert. Ein Jahr später herrscht im Konrad-Adenauer-Haus Funkstille. Der Bautzener Landrat Udo Witschas (CDU) hingegen verteidigte das Abstimmungsverhalten. Aus seiner Sicht sei der Antrag inhaltlich völlig in Ordnung gewesen. »Grundsätzlich ist es für mich als gewählter Landrat unerheblich, wer im Kreistag einen Antrag stellt. Der Inhalt eines Antrages ist nicht automatisch falsch, nur weil er nicht von der eigenen Fraktion stammt«, sagte der 51jährige Kommunalpolitiker.

Im thüringischen Hildburghausen stimmte Mitte Dezember eine große Mehrheit der Mitglieder des Stadtrats einem Abwahlverfahren gegen Bürgermeister Tilo Kummer (Linke) zu. Gemeinsam mit dem Abgeordneten der rechtsextremen Vereinigung Bündnis Zukunft Hildburghausen (BZH) sowie den Vertretern der AfD im Stadtrat votierten auch die Stadträte von CDU und SPD für diesen Antrag. Der geschäftsführende Landesvorstand der thüringischen Sozialdemokraten reagierte wütend auf das Abstimmverhalten der eigenen Stadträte in Hildburghausen. »Wer zusammen mit der AfD und Rechtsextremen einen Abwahl­antrag gegen einen demokratisch gewählten Bürgermeister unterstützt, muss sich die Frage gefallen lassen, ob das mit den antifaschistischen Grundwerten unserer Partei vereinbar ist«, heißt es in einer Mitteilung der Landespartei. Der Demokratie und der SPD Thüringen werde durch das Wahlverhalten Schaden zugefügt.

Die wortreiche Missbilligung des Vorstands führte vorerst zu keinerlei Konsequenzen. Kurz vor dem Jahreswechsel erklärte der SPD-Landesvorsitzende Georg Maier, der als Innenminister der Landesregierung angehört, dass die Zusammenarbeit der SPD mit der AfD und dem extrem rechten Wählerbündnis in Hildburghausen keine Konsequenzen haben werde. Trotzdem trat die Stadträtin Carolin Seifert aus Protest gegen den Landesvorstand aus der SPD aus. Es sei inakzeptabel, wenn von der Parteispitze ein Abstimmungsverhalten vorgegeben werde, zitiert der MDR die Stadträtin: Sie habe sich zum Wohle der Stadt für die Abwahl entschieden, doch anstatt sich mit den Gegebenheiten an Ort und Stelle auseinanderzusetzen, werde sofort »die AfD-Keule geschwungen«.

Die Stadträtin Seifert will laut MDR künftig im Stadtrat als parteiloses Mitglied in der SPD-Fraktion weiterarbeiten. Doch bisher habe es ihren Angaben zufolge noch kein Gespräch mit der Fraktion gegeben. Mittlerweile haben führende Thüringer Sozialdemokraten gegen zwei SPD-Stadträte ein Parteiordnungsverfahren beantragt. Dass in Hildburghausen eine Christdemokratin gemeinsam mit den lokalen Rechtsextremen und der AfD gestimmt hat, generierte dagegen keinerlei Schlagzeilen mehr. Diese Brandmauer ist offenbar längst gefallen.