Über die kürzlich verstorbene jugoslawische Fußball-Legende Siniša Mihajlović

Der Eine, der nie Mittelmaß war

Ein Nachruf auf Siniša Mihajlović

»Im Fußball finde ich mich selbst. Darin sehe ich alle meine Träume und Wünsche erfüllt«, sieht man einen 21jährigen Lockenkopf in ein Mikrophon sagen. Es ist der 10. Dezember 1990 und in den Presseräumlichkeiten des im Volksmund »Marakana« genannten Stadions des Belgrader Clubs Roter Stern war soeben ein Wunderkind gelandet. Sein Name: Siniša Mihajlović, geboren am 20. Februar 1969 im kroatischen Vukovar.

Aufgewachsen in einer multiethnischen Umgebung – der Vater Serbe, die Mutter Kroatin –, spielt er bereits als Kadett für die Auswahl der Sozialistischen Republik Kroatien. Dinamo Zagreb zeigt bald Interesse, so auch die Vojvodina aus Novi Sad. Letztere verpflichtet das junge linksfüßige Talent schließlich. Ein Taschengeld über 30 000 D-Mark in bar sei das überzeugende Argument gewesen, sagen Gerüchte. Ein schöner Beginn für eine traumhafte Karriere.

Ältere Generationen pflegten zu sagen, dass sie auf zwei Dinge im Leben vertrauten. Das eine war das Maschinengewehr der Jugoslawischen Volksarmee. Das andere der linke Fuß von Siniša Mihajlović.

»Miha«, so sollte er später von seinen Mannschaftskameraden genannt werden, bezeichnete sich selbst in Interviews immer als »Serbe von Kopf bis Fuß«. Da ist das gemeinsame Land schon längst blutig zerbrochen und ethnische Zugehörigkeit ist der Öffentlichkeit auf beiden Seiten der Donau überaus wichtig. Seine Herkunftsstadt Vukovar wird schon früh zum Symbol des Bruderkriegs. Monatelang belagern Truppen der Jugoslawischen Volksarmee und serbische Freischärlerverbände die ethnisch gemischte Stadt direkt am Grenzfluss Donau. Sie wird fast vollständig zerstört und ist Schauplatz einer Vielzahl von Kriegsverbrechen – zum Beispiel im November 1991, als serbische Truppen 250 Patienten des Krankenhauses, Soldaten wie Zivilisten, einsammeln und anschließend ermorden.

Schon im Folgejahr weilt Mihajlović im Ausland. Er verlässt das von Krieg und Sanktionen gebeutelte Belgrad im Sommer 1992 in Richtung Italien, zum AS Rom. Zuvor war er nach drei Jahren in Novi Sad gemeinsam mit seinem Trainer Ljupko Petrović auf dem Olymp des jugo­slawischen und später serbischen Fußballs ­gekommen: Crvena Zvezda, der Rote Stern aus Belgrad. Das war seit jeher sein Herzensverein gewesen. Miha gewinnt nur ein halbes Jahr nach seiner Ankunft 1991 den Europapokal der Landesmeister. Er wird Nationalspieler, qualifiziert sich für die EM 1992. Wegen des Kriegs wird Jugoslawien disqualifiziert – Nachrücker Dänemark holt den Titel. Der Landesmeisterpokal für Belgrad bleibt der einzige große Erfolg dieser goldenen Zeit des jugoslawischen ­Fußballs.

Insbesondere die Ultras von Crvena Zvezda schlossen Mihajlović ins Herz. Und diese Liebe war stets von Gegenseitigkeit geprägt. Zeit seines Lebens betonte Siniša Mihajlović seine Freundschaft zum einstigen Anführer der organisierten Fanszene Željko Ražnatović – genannt Arkan. Der war vor allem ein notorischer Krimineller. Als sich der Zusammenbruch des Staats abzeichnete, verwandelte sich Belgrad in ein Eldorado der serbischen Mafia. Eine Zeit, die als »die dunklen Neunziger« in die serbischen Chroniken einging. Arkan gründete bald nach Kriegsbeginn eine Freiwilligeneinheit aus Kriminellen und Hooligans. Er beteiligte sich an blutigen Kämpfen und Verbrechen in Kroatien und Bosnien – unter anderem in Vukovar. Nur sein gewaltsamer Tod im Jahr 2000 bewahrte Ražnatović vor dem Kriegsverbrechertribunal.

»Uns Spielern gegenüber hat er sich immer korrekt verhalten«, war Mihajlovićs Antwort auf unbequeme Journalistenfragen zu seinem zwielichtigen Freund. In einem späteren Interview behauptete er schließlich, dass der ansonsten für Mord und Plünderungen bekannte Arkan einem kroatischen Onkel des Spielers das Leben gerettet habe. Just dieser Onkel habe zuvor gegenüber Mihajlovićs Mutter noch »bedauert«, ihren Ehemann (»das Serbenschwein«) nicht »schlachten« zu können, da dieser nach Belgrad geflohen sei. Es sind solche schier unglaublichen Geschichten, die das Leben des Fußballtalents in dieser Zeit prägen. So wie auch jene, dass sein bis dahin bester Freund zu Kriegsbeginn Mihas Elternhaus zerstörte. Später kommt es zur Aussöhnung. Das mit dem Haus sei »von oben« gewollt gewesen.

Als Spieler hatte Miha Übersicht, er hatte Spielwitz. Er wurde provoziert und provozierte selbst. Er wurde hart angegangen und war seinerseits auch nie ein Kind von Traurigkeit. Und dann dieser linke Fuß. Diese Freistöße. Torleute fürchteten ihn ebenso wie jene armen Schweine, die in der Mauer stehen mussten.

Bei der WM 1998 traf Mihajlović bei einem Freistoß mit einem seiner linken Geschosse Jürgen Klinsmann derart unglücklich am Brustkorb, dass dieser vom Platz getragen werden musste. Beim selben Spiel spuckte er in einem Wortgefecht Jens Jeremies ins Gesicht – ob mit Absicht oder versehentlich durch feuchte Aussprache, das lässt sich selbst nach Videostudium nicht aufklären. Zuvor war ihm ein deutscher Spieler nach einem Tackling verdächtig »ungeschickt« auf den Bauch getreten. Er schoss bei diesem 2:2 auch ein Tor – allerdings ins eigene Netz. Mihajlović war eben nie nur mittelmäßig.

Ältere Generationen im ehemaligen Jugoslawien pflegten zu sagen, dass sie auf zwei Dinge im Leben vertrauten. Das eine war das Maschinengewehr der Jugoslawischen Volksarmee. Das andere der linke Fuß von Siniša Mihajlović. Dieser hat für Roter Stern maßgeblich »den Himmel geöffnet«, wie es ein Fernsehreporter beim Europapokal-Halbfinale gegen Bayern München 1991 beschrieb. Der spätere Sieg im Finale war da nur noch Formsache. Wenn Mihajlović spielte, dann war er entweder der Held auf dem Platz oder verantwortete eine Katastrophe. Dazwischen gab es nur selten etwas. Das mussten auch Fans von Roma, Sampdoria, Lazio und Inter Mailand lernen.

So unberechenbar, wie Mihajlović als Spieler und Trainer war, war auch sein Leben selbst. Im Jahr 2019 wurde öffentlich, dass er, damals Trainer des FC Bologna, an einer aggressiven Form von Leukämie litt. Er begab sich sofort in Behandlung, weigerte sich jedoch, seinen Trainerposten aufzugeben. Mannschaftstreffen soll er manchmal vom Fenster seines Krankenhauszimmers aus abgehalten haben – und wurde damit auch in Bologna zum Fanliebling. Dennoch blieb ihm in seinen vielen Stationen das Trainerglück meist verwehrt. Siniša Mihajlović starb am 16. Dezember im Alter von 53 Jahren in seiner Wahlheimat Italien.

Er war ein Mann, der das schöne Spiel gespielt hat wie nur wenige ­andere. Kein Held, aber auch kein Bösewicht. In seinem Verhalten und so mancher Aussage manchmal kein Vorbild für die Jugend, aber in hellen Momenten ein Poet. Er war ein Schuhmachergeselle aus der jugoslawischen Provinz, den selbst in Italien alle nur »Mister« nannten. Er hat in seinem zu kurzen Leben vielen Menschen sehr schöne Erinnerungen beschert und hat sie tief berührt. Generationen von Heranwachsenden prügelten sich darum, wer beim Kicken Mihajlović sein und die Freistöße schießen durfte. Er war ein Kind aus einfachen Verhältnissen, so wie sie. Er war eben alles, nur nie Mittelmaß.