Warum neuerdings nur noch „um“ etwas diskutiert wird

Diskutieren um Kopf und Kragen

Das letzte Wort. Die postmodernen Formen des Streitens sind weniger demokratisch, als es den Anschein hat.
Das letzte Wort Von

Diskussionen und Debatten werden heutzutage vorzugsweise um ein Thema geführt. Das ist kurios, denn nach wie vor diskutiert und debattiert man ganz eindeutig nicht um, sondern über etwas. Warum also der Austausch der Präposition beim substantivischen Gebrauch, und nur dort? Ein spekulativer Deutungsversuch sei erlaubt.

Die Verhältnisse, welche »über« und »um« in Verbindung mit Sub­stantiven anzeigen, kontrastieren miteinander als vertikale beziehungsweise horizontale. Wer über etwas diskutiert, blickt von oben auf den Gegenstand, versucht, sich ein Urteil über ihn zu bilden; die Sache soll objektiv erfasst werden. Wenn das gelingt, ist das Ergebnis Wissen, und wer diesem widerspricht, hat unrecht. Wer über ein Thema diskutiert, kann dieses auch verfehlen; ein Gedanke, der mit peinlichen Erinnerungen an verhauene Schulaufsätze verknüpft sein mag.

»Um« hingegen grenzt ein Thema nicht gegen seine Umgebung ab; was darum herum liegt, gehört ja auch irgendwie dazu, die Übergänge sind ohnehin fließend. Eine Diskussion um ein Thema lässt an die diversen Seiten denken, von denen es sich betrachten lässt, und tendiert mithin zu einem demokratisch anmutenden Multiperspektivismus statt zu der hierarchischen Unterscheidung von wahr und falsch: Es gibt eben verschiedene Sichtweisen, wer kann schon die eine für gültig, die andere für ungültig erklären? Das entspricht dem postmodernen Zeitgeist, der nicht mehr an die Wahrheit glaubt, sondern nur noch an meine Wahrheit und deine Wahrheit, und der Objektivität als verklärtes Machtinstrument ächtet.

In Verbindung mit den Verben liegt die Sache anders: »Um etwas diskutieren« erinnert an »um etwas streiten«. Anders als beim Streiten über etwas gibt es hier, ohne die Wahrheit als vermittelndes Drittes, auf welches die Streitenden zielen, keine Instanz, die eine Versöhnung ermög­lichen könnte, sondern einzig Konkurrenzkampf: Es kann nur einen Sieger geben. Das ist die Dialektik, welche den kritisch daherkommenden Relativismus ereilt: Wenn Wahrheitsansprüche nichts anderes sind als verschleierte Machtansprüche, dann ist Kritik eben nur noch als Waffe im allumfassenden Machtkampf denkbar, nicht mehr als Zurückweisung desselben. Streben nach Wahrheit erscheint nur mehr als die heuchlerischste Form des ausweglosen Ringens um diskursive Hegemonie, in dem jeder versucht, für sich und seine Verbündeten das Beste herauszuschlagen.