Bianca Klose von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin über den Prozess

»Kein Interesse an einer umfassenden Aufklärung«

Beim Prozess zum sogenannten Neukölln-Komplex ist das erste Verfahren beendet. Es geht um Dutzende Brandanschläge, Sachbeschädigungen und gesprühte Morddrohungen, die in einem Zeitraum von mehreren Jahre vor allem im Berliner Bezirk Neukölln zu verzeichnen waren. Im Dezember hat das Berliner Amtsgericht einen der Hauptangeklagten, den Neonazi Tilo P., vom Vorwurf der Brandstiftung freigesprochen, er wurde lediglich wegen Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe von 4 500 Euro verurteilt. Im neuen Jahr wird gegen den zweiten Beschuldigten Sebastian T. weiterverhandelt – wegen Brandstiftung, Sozialbetrug und Drohgraffiti an Hauswänden von politisch Aktiven. Die Jungle World sprach mit Bianca Klose, Projektleiterin der »Mobilen Beratung gegen Rechts­extremismus Berlin« (MBR), über den Stand der Dinge.
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War der Freispruch von Tilo P. zu erwarten? Sind Sie enttäuscht von der Gerichtsentscheidung?

Schon im Vorfeld wiesen Beobachter:innen darauf hin, dass eine Verurteilung auf Grundlage der zusammengetragenen Indizien keineswegs sicher ist. Von daher hat mich der Teilfreispruch von Tilo P. nicht gänzlich überrascht. Dennoch teile ich die Enttäuschung der Betroffenen über das Urteil. Enttäuscht bin ich vor allem auch über den Prozessverlauf. Von Beginn an kam nur ein Bruchteil der Taten zur Anklage, die wir als MBR der rechtsextremen Angriffsserie zuordnen. Das Gericht hat zudem den Kontext der Taten weitestgehend ausgeblendet. Das betrifft ihre Auswirkungen auf die Betroffenen, aber vor allem die rechtsextremen Netzwerke hinter der Serie. Hier hätte ich mir aufrichtiges Interesse an einer umfassenden Aufklärung gewünscht.

Wie geht es nun weiter in der juristischen Auf­arbeitung des Neukölln-Komplexes?

Noch läuft der Prozess und gegen den zweiten Hauptangeklagten Sebastian T. wird vermutlich im Februar ein Urteil fallen. Gegen den Teilfreispruch von Tilo. P. hat die Generalstaatsanwaltschaft inzwischen Berufung eingelegt. Die juristische Aufarbeitung könnte also noch eine Weile dauern und währenddessen auch die Arbeit des Untersuchungsausschusses zum Neukölln-Komplex erschweren. Denn die laufenden Strafverfahren dienen als Begründung, dem Ausschuss dringend benötigte Akten nicht zugänglich zu machen.

Was sehen Sie als besonders problematisch beim Vorgehen der Behörden in dieser Sache bislang?

Das grundlegende Versäumnis ist aus meiner Sicht, dass rechtsextreme Angriffe zu lange nicht ernst ­genommen worden sind. Zusammenhänge wurden nicht untersucht oder gar nicht erst gesehen, Betroffenen nicht zugehört. Ein Kreis militanter Neonazis konnte sein Vorgehen über Jahre hinweg un­gestört professionalisieren. Dabei hätten sie bei genauerem Hinschauen womöglich früher gestoppt werden können. Nachträglich ist das schwer aufzuholen.

Mir stellen sich auch noch viele Fragen: Wie gelangten die Täter an Adressen Betroffener und wer half ihnen dabei? Wurde genug getan, um auszuschließen, dass Daten aus einem Behördencomputer stammen? Warum wurde ein Mittäter von T., der mit ihm bei einer der Taten gefilmt wurde, für diese nicht ebenfalls angeklagt?