Micha Schulze von Queer.de über eine Anzeige wegen des kritischen Nachrufs auf Joseph Ratzinger

»Es wurde viel Porzellan zerschlagen«

Die Nachrichtenseite Queer.de hat einen kritischen Nachruf auf den kürzlich verstorbenen Ex-Papst Joseph Ratzinger veröffentlicht. Kurz darauf wurde eine Anzeige wegen »Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener« eingereicht, die Polizei leitete ein Strafverfahren ein. Doch aus Sicht von Queer.de ist nicht nur der Vorwurf gegenstandslos, sondern sogar das Strafverfahren rechtswidrig. Die Jungle World sprach mit Micha Schulze, geschäftsführender Redakteur von Queer.de.
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Warum wird gegen »Queer.de« ermittelt?

Auf Queer.de ist am Silvestertag ein Nachruf auf Joseph Ratzinger mit der Überschrift »Mit Joseph Ratzinger starb einer der größten queerfeindlichen Hetzer« erschienen. Im Text haben wir eine Auswahl seiner queerfeindlichsten Zitate veröffentlicht. Daraufhin ­haben wir zwei Wochen später eine E-Mail von der Polizei Berlin bekommen, durch die der Redaktion mitgeteilt wurde, dass gegen sie ermittelt wird.

Wie bewerten Sie das Vorgehen der Polizei?

Die Ermittlungen sind aus unserer Sicht rechtswidrig. Der Straftatbestand der »Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener« ist ein Antragsdelikt, das heißt, es kann jeder diese Anzeige stellen, aber ermittelt werden darf nur, wenn eine Person, die antragsberechtigt ist, das auch will. Wenn man ein bisschen recherchiert, stellt sich heraus, dass Joseph Ratzinger nicht mehr viel Verwandtschaft hat. Es leben noch zwei Cousinen. Ein einfacher Blick ins Strafgesetzbuch genügt, um zu sehen, dass Cousinen nicht antragsberechtigt sind. Es hätte nie ermittelt werden dürfen in diesem Fall. Ich war wirklich überrascht von diesen Ermittlungen. Wir haben niemanden beleidigt. Wir haben Fakten genannt und unsere Arbeit als kritisches Presseorgan wahrgenommen. Die von uns genannten Beleidigungen und Entgleisungen gegen die queere Community sind Originalzitate gewesen. Es ist unsere Aufgabe als Journalist:innen, das ein­zuordnen.

Was bedeutet dieser Vorfall für die Pressefreiheit?

Da wurde viel Porzellan zerschlagen. Es entstand der Eindruck, dass die Polizei die Arbeit von kritischen Journalist:innen nicht respektiert, sondern torpediert. Das ist ein ganz gefährliches Zeichen. Wir haben in Deutschland eine lange Geschichte des großen Misstrauens der queeren Community in die Polizei. Das hängt mit der Geschichte der Verfolgung durch den Paragraphen 175 Strafgesetzbuch zusammen, mit dem Homosexualität in Deutschland lange kri­mi­na­lisiert war. Es werden immer noch viele queerfeindliche Straftaten nicht angezeigt, weil viele Opfer den Ermittlungs­behörden nicht trauen. Mit den Ermittlungen in dieser Ange­legenheit hat die Polizei hier nichts verbessert, im Gegenteil. Das schafft kein Vertrauen. Ratzinger und alle anderen, die sich so äußern, werden nie belangt, aber wenn wir einfach die Fakten über diejenigen benennen, die gegen uns ­hetzen und uns beleidigen, wird gegen uns ermittelt.

Was sind die nächsten Schritte für »Queer.de«?

Ich hoffe – die Geschichte hat ja eine große Medienaufmerksamkeit bekommen –, dass man in den Polizeidienststellen dazugelernt hat und dass so was nicht noch einmal passiert. Das ist zumindest die naive Hoffnung, die ich habe. Aber ganz klar ist auch: Wir wehren uns dagegen. Und wir haben es geschafft, in der Öffentlichkeit nochmal in Erinnerung zu rufen, was dieser Herr alles über queere Menschen losgelassen hat. Somit haben wir zumindest ein Ziel erreicht. Die Person, die die Anzeige gestellt hat – wer das war, werden wir wahrscheinlich nie erfahren –, hat sich damit keinen Gefallen getan.