Rentner:innen verarmen immer ­häufiger

Arbeit macht arm

Trotz des Ukraine-Kriegs und Krise konnten die meisten der großen deutschen Konzerne in den ersten drei Quartalen von 2022 ihren operativen Gewinn um 22 Prozent im Vergleich zum Vorjahr steigern. Gleichzeitig erreicht die Armutsquote einen Höchststand von 16,6 Prozent. Gerade Rentner:innen sind immer häufiger von Armut betroffen.

Die rasante Inflation im Zuge der Energiekrise und der Covid-19-Pandemie erweist sich als Armutstreiber. Im zurückliegenden Jahr stieg die Armutsquote von 15,9 Prozent auf einen neuen Höchststand von 16,6 Prozent. Damit gelten hierzulande inzwischen 13,8 Mil­lionen Menschen als arm, 600 000 mehr als vor der Covid-19-Pandemie.

Der gängigen Definition zufolge gilt als arm, wer weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Nettohaushaltseinkommens zur Verfügung hat. Lag der Anteil der Armen bis Mitte der neunziger Jahre noch bei etwa zehn Prozent, stieg er unter anderem aufgrund der Arbeitsmarktreformen der rot-grünen Bundesregierung in den Jahren 2003 bis 2005 im Verlauf der nuller Jahre kontinuierlich an.

Von den Vollzeitbeschäftigten, die auch nach 45 Arbeitsjahren auf eine Rente von weniger als 1 000 Euro zusteuern, sind überproportional viele weiblich.

Gerade Rentner:innen verarmen immer häufiger. So bezieht eine wachsende Zahl von Ruheständler:innen Grundsicherung. Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Empfänger:innen allein von Juni bis September von 628 570 auf 647 515. Im Vergleich zu 2021 ist das ein Zuwachs von 68 420 hilfsbedürftigen Personen. Sozialverbände gehen jedoch davon aus, dass die tatsächliche Lage noch deutlich schlimmer ist. »Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein«, schätzt Verena Bentele, die Bundesvorsitzende des Sozialverbands VdK. »Aus unserer Rechtsberatung wissen wir, dass viele Menschen keine Grundsicherung beantragen, weil sie das stigmatisierend finden«, so Bentele weiter in der »Tagesschau«. Die Zahlen des Statistischen Bundesamts zeigen bei den über 65 jährigen 2021 eine Armutsquote von 17,4 Prozent. Auch das Ausmaß an Altersarmut hat damit einen neuen Höhepunkt erreicht.

Die Zahl der Rentner:innen, die mit einem Altersruhegeld unterhalb des Armutsniveaus auskommen müssen, dürfte auch in Zukunft signifikant steigen. Vor allem für viele Frauen ist der Weg in die Altersarmut programmiert. Das liegt nicht nur an der Tatsache, dass viele Frauen in Teilzeit arbeiten. Wie eine Anfrage der Partei »Die Linke« beim Bundesarbeitsministerium ergab, sind auch Frauen mit einer Vollzeitstelle wesentlich häufiger mit besonders niedrigen Renten unterhalb des Armutsniveaus konfrontiert als ihre männ­lichen Kollegen. So sind zwar nur 32,6 Prozent aller in Vollzeit abhängig Beschäftigten Frauen. Von den Voll­zeitbeschäftigten, die auch nach 45 Arbeitsjahren auf eine Rente von weniger als 1 000 Euro zusteuern, sind jedoch 48,5 Prozent weiblich. Insgesamt hat je­de dritte Frau mit einer Vollzeitstelle nach Angaben des Bundesarbeitsministeriums auch nach 40 Arbeitsjahren eine Rente von weniger als 1 000 Euro netto zu erwarten. Das bedeutet, dass rund 2,7 Millionen Frauen in den kommenden Jahren eine Rente unterhalb des Armutsniveaus droht.

Wesentliche Ursache für die wachsende Armut bei künftigen Rentner:innen ist der in den vergangenen zwei Jahrzehnten ausgeweitete Niedriglohnsektor mit prekären Beschäftigungsverhältnissen wie Leiharbeit, Werkverträgen oder Minijobs, die nicht nur mit geringen Löhnen, sondern auch mit proportional noch geringeren Einzahlungen in die Rentenkasse einhergehen.

In den vergangenen Jahren ist insbesondere die Armutsquote bei Erwerbstätigen generell gestiegen. Ein Trend, der sich im Zuge der Covid-19-Pandemie abermals verstärkt hat. Dieser »Armut trotz Arbeit« stehen auch in Zeiten von Krieg und Krise stetig wachsende Unternehmensgewinne gegenüber. Im Geschäftsjahr 2021 verdienten die 40 Dax-Konzerne eine Rekordsumme von 128,5 Milliarden Euro netto, was einem Gewinnplus von 122 Prozent und einem Umsatzwachstum von 14 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Bisheriges Rekordjahr war 2017 mit einem Gewinn von knapp 94 Milliarden. Das Kriegs- und Inflationsjahr 2022 könnte diese Zahlen noch einmal in den Schatten stellen. In den ersten neun Monaten konnten 93 Prozent der 100 größten börsennotierten deutschen Konzerne ihren operativen Gewinn um 22 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf 145 Milliarden Euro steigern, lässt man den Milliardenverlust von Uniper beiseite. Einer Prognose des Handelsblatts zufolge werden die Dax-Konzerne in diesem Frühjahr Dividenden in Rekordhöhe an ihre Anteilseigner:innen ausschütten. Das sind voraussichtlich 54 Milliarden Euro und damit nochmal sechs Prozent mehr als im vergangenen Jahr.

Der seit Jahren anhaltende Trend, dass die Kapitaleinkünfte hierzulande deutlich schneller steigen als die Arbeitseinkommen, setzt sich also auch in der Krise weiter fort – und damit wächst auch die Vermögenskonzentration in den Händen weniger. Vom enormen Vermögenszuwachs, der in den vergangenen zwei Jahren in Deutschland erwirtschaftet wurde, entfielen einem Bericht der Entwicklungsorganisation Oxfam zufolge 81 Prozent auf das reichste Prozent der Bevölkerung.

Der wachsenden Armut vieler steht also ein wachsender Reichtum einiger weniger gegenüber. In den vergangenen zwei Jahren sind die Energiepreise, die Armutsquote, die Preise für Lebensmittel stark angestiegen – wie auch das Gesamtvermögen der US-Dollar-Milli­onäre. Dieses wuchs 2021 um 7,4 Prozent. In dem Bericht »Ungleichheit tötet« stellt Oxfam dar, dass das Vermögen der zehn reichsten Personen in Deutschland seit Beginn der Coronapandemie von rund 144 Milliarden auf etwa 256 Milliarden US-Dollar angewachsen ist.