Containern soll künftig entkriminalisiert werden

Den Müll können sie haben

In einem Schreiben fordern die Minister Cem Özdemir (Grüne) und Marco Buschmann (FDP), das Containern von Lebensmittel teilweise zu entkriminalisieren. Legales Müllsammeln wird das eigentliche Problem allerdings nicht lösen.
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Das Containern von Lebensmitteln soll teilweise entkriminalisiert werden. Das haben Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) und Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) in einem Schreiben an die Justizminister:innen und -senator:innen der Länder vorgeschlagen. Sie wollen Richtlinien für Straf- und Bußgeldverfahren so ändern, dass Gerichte Verfahren einstellen können, sofern weder ein Hausfriedensbruch, »der über die Überwindung eines physischen Hindernisses ohne Entfaltung eines wesentlichen Aufwandes hinausgeht«, noch eine Sachbeschädigung vorliegt. Als Sachbeschädigung gälte beispielsweise, wenn ein Tor aufgehebelt und dabei beschädigt werde. Die Forderung der beiden Minister stoßen auf Freude bei der Letzten Generation. »Unser Protest wirkt«, sagte Carla Hinrichs, eine der Sprecherinnen der Gruppe, die bereits im vorigen Winter unter dem Motto »Essen retten, Leben retten« unter anderem für eine Entkriminalisierung des Containerns geworben hatten. Dabei hatten die Aktivist:innen unter anderem die Parteizentrale der FDP mit Gemüse beworfen. Gegen Hinrichs selbst läuft derzeit ein Strafverfahren wegen Diebstahls, weil sie containert habe.

Selbstverständlich sollte niemand dafür bestraft werden, ein paar Äpfel oder eingedellte Dosen aus dem Müll geholt zu haben. Allerdings wäre das ein bescheidener Erfolg. Die Verschwendung von Lebensmitteln wird seit langem von vielen Seiten kritisiert, derzeit vor allem aus Gründen des Klimaschutzes. Die EU åund die Bundesregierung wollen die Menge der Lebensmittel, die als Abfall enden, halbieren. In der Studie »Das große Wegschmeißen« des World Wide Fund for Nature (WWF) von 2017 heißt es, dass in Deutschland mehr als 18 Millionen Tonnen Lebensmittel jährlich weggeworfen würden. Davon seien knapp zehn Millionen Tonnen vermeidbar, was fast 22 Millionen Tonnen Treibhausgasen entsprechen soll.

Der Leiter des Bereichs Landwirtschaft und Landnutzung des WWF, Rolf Sommer, sagte deshalb, die Legalisierung des Containerns sei »ein guter Schritt«, das Problem werde damit aber nicht an der Wurzel gepackt. Stattdessen forderte er eine gesetzliche Pflicht zur Reduzierung von Lebensmittelabfällen für alle Wirtschaftsbeteiligten auf allen Herstellungs- und Vertriebsebenen.
Sommers Vorschlag allerdings wäre aber auch nur eine Absichtserklärung in Gesetzesform, die den Kern des Problems ebenso verfehlt. Denn die Debatte über das Containern ist nur ein Nebenschauplatz, während der eigentliche Skandal offenbar als völlig normal wahrgenommen wird: dass viele Menschen ihre Existenz mit Hilfe der Tafeln, die gespendete Lebensmittel verteilen, der Suppenküchen, der christlichen Gemeinden und Wohlfahrtsverbände landauf und landab bestreiten und mit Hinterlassenschaften aus der Mülltonne fristen.

Verschwendung ist auch eine Klassenfrage. Fast 40 Prozent der Lebensmittelverluste entfallen auf die Konsument:innen. Die Studie der WWF weist indes darauf hin, dass der Anteil in »wirtschaftlich stärker entwickelten Regionen« höher ist als in »wirtschaftlich eher schwach entwickelten Gebieten«. Haushalte mit einem höheren Einkommen können sich nun mal mehr Nahrungsmittel kaufen und es sich leisten, mehr davon wegzuwerfen; zugleich leiden mehr als 1,5 Millionen Menschen hierzulande unter Mangelernährung, wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin e. V. 2020 in einem Pressebericht bekanntgab.

Aus dem Blick gerät, dass Armut ebenso wie Verschwendung und Umweltzerstörung zum kapitalistischen Normalbetrieb gehören. Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion sind Branchen wie andere auch. Nahrung wird nicht für den Bedarf produziert, sondern um maximale Profite zu erwirtschaften, um in der Konkurrenz zu bestehen.

Das führt zu widersprüchlichen Resultaten. Es ist betriebswirtschaftlich in der Regel nicht rational, viel wegzuwerfen. Der Einzelhandel, den das Containern betrifft, ist nur mit sieben Prozent an den Verlusten beteiligt. Gleichzeitig führen Normen und Standards, die letztlich auch Bedürfnisse, Essgewohnheiten und Geschmäcker formen, dazu, dass gerade Obst und Gemüse oft gar nicht erst geerntet wird, zum Beispiel weil es nicht formschön aussieht.

Vor allem aber wird bei der Herstellung von Lebensmitteln unter kapitalistischen Bedingungen regelmäßig ein Überschuss an Waren produziert, der vernichtet oder weggeworfen wird, wenn er nicht gewinnbringend verkauft werden kann; ausschlaggebend sind nicht Bedarf, Mangel oder gar Hunger. Darin hat die Verschwendung ihre Ursache und legales Müllsammeln ändert daran gar nichts.