Die geologischen Bedingungen der Schlammschlacht von Lützerath

Die Schlammschlacht von Lützerath

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In einem Land vor unserer Zeit, genauer gesagt, südlich der damaligen Nordseeküste, begann sich vor etwa 30 bis 20 Millionen Jahren die Erde zu senken. Es entstand ein flaches Becken, in dem die Vorläufer von Rhein, Rur, Erft, Sieg und Maas wasserundurchlässige Tonsedimente ablagerten. Mal entstanden darüber Moore, deren Vegetation sich im sauerstoffarmen Wasser nicht zersetzte und dicke Lagen von Torf bildete, zu anderen Zeiten drang die Nordsee in das Gebiet vor und überdeckte das Ganze mit Sand- und Schotterschichten. Unter Druck und Luftabschluss entstand aus der organischen Materie im Lauf der Jahrmillionen ein bräunlich-schwarzes Gestein und gab in späteren Zeiten dem Rheinischen Braunkohlerevier seinen Namen.

Dort läge das Zeug noch heute unter der Erde, hätte sich nicht etwa zur gleichen Zeit in Afrika eine Gruppe von Primaten mit großen Gehirnen entwickelt, aus der zunächst die Gibbons und etwas später die Hominiden – Orang-Utans, Gorillas, Schimpansen und Menschen – hervorgingen. Der jüngste Spross der Familie erwies sich als besonders findig darin, die Ressourcen seiner Umwelt zu nutzen, verbreitete sich rund um den Globus und entdeckte schließlich, dass sich die Kohle zur Energiegewinnung nutzen ließ – mit den bekannten Folgen für das Weltklima.

In der Zwischenzeit geschah noch etwas anderes: In den Kaltzeiten des Pleistozäns, vor etwa 2,6 Millionen bis 12 000 Jahren, bildeten sich in Europa ausgedehnte Kältesteppen. Windig war es auch, so dass große Mengen Staub aus diesen Regionen über weite Strecken transportiert wurden und sich in diversen unvergletscherten Gebieten ablagerten – beispielsweise über den Braunkohleflözen im Rheinland. Der so entstandene Boden wird als Löss bezeichnet und ist besonders fruchtbar (weshalb es eine noch mal extra dumme Idee ist, ihn wegzubaggern, um an die Kohle zu gelangen), unter anderem, weil er gut darin ist, Nährstoffe und Wasser zu speichern. Letzteres bedeutet auch, dass sich Lössboden bei kräftigem Regen wie derzeit in zähen Matsch verwandelt.

Das stellten auch die Polizeibeamten fest, die im Auftrag des Energiekonzerns RWE lästige Klimaaktivist:innen aus dem besetzten Dorf Lützerath und von der Abbruchkante des angrenzenden Tagebaus entfernen sollten: Tagelang wurden in den sozialen Medien schadenfroh die Bilder von Ordnungshütern geteilt, die in schwerer Kampfmontur im Modder feststeckten oder sich unfreiwillig darin wälzten.

Letztlich resultierte die Schlammschlacht von Lützerath also aus dem Zusammentreffen von Millionen Jahren geologischer und bodenkundlicher Vorgänge. Und da behaupte noch jemand, Erdkunde sei langweilig.