Der SC Freiburg blickt auf ein ausgezeichnetes Jahr zurück

Immer schön den Ball flachhalten

Die bisher erfolgreichste Saison des SC Freiburg in der Fußball-Bundesliga verdankt sich der Tatsache, dass der Club noch effektiver agiert als früher.

Das letzte Match der Bundesliga-Hinrunde im November 2022 war ein wildes Spiel im neu errichteten Europa-Park-Stadion, in dem der SC Freiburg seit 2021 seine Heimspiele austrägt. Der SC Freiburg schickte damals den zwischenzeitlichen Überraschungstabellenführer der Liga, den 1. FC Union Berlin, mit einem deutlichen 4:1 nach Hause. Drei dieser Tore hatte Freiburg bereits in den ersten 20 Minuten des Spiels erzielt – und stand zum Ende der Winterpause am vergangenen Wochenende auf Platz zwei der Tabelle.

Die Freiburger legten an diesem letzten Spieltag des vergangenen Jahres einen Sieg hin, der ein erfolgreiches Jahr abschloss. In der Rückrunde der vergangenen Saison 2021/2022 kämpfte man um die Champions-League-Plätze in der Liga mit und war im Finale des DFB-­Pokals. Zum Jahreswechsel steht man im DFB-Pokal und in der Europa League im Achtelfinale und lag in der Liga nur noch hinter Rekordmeister Bayern München.

»Ich freue mich, weil wir super dastehen und man sich keine Gedanken machen muss, ob man nächstes Jahr wieder in der Bundesliga spielt.« Christian Streich, Trainer des SC Freiburg

Doch typisch für den SC Freiburg war dieser fulminante Sieg gegen Union Berlin nicht, ebenso wenig wie die nahezu unverständlich deutliche 0:6-Klatsche gegen den VfL Wolfsburg am vergangenen Wochenende. Freiburg erringt zumeist eher knappe Arbeitssiege, die oft wenig spektakulär sind. Nach der Niederlage seines Clubs gegen Freiburg im Oktober sagte der Trainer des 1. FC Köln, Steffen Baumgart, über den Gegner: »Freiburg hat eine sehr clevere, eingespielte Mannschaft. Freiburg springt immer genau so hoch, wie es muss. Sie schlagen jeden Gegner knapp, aber nicht unverdient, weil sie es einfach gut machen.« Freiburg hatte gegen den 1. FC Köln, wie vorher in den meisten anderen Spielen, die wenigen Schwächen der gegnerischen Abwehr sauber, cool und konsequent ausgenutzt und so sein auf Dominanz ausgelegtes Spiel durchgesetzt: laufintensiv und mit schnellen Kombinationen. Grundlage des Spiels sind die »Leidenschaft und die Intensität im Spiel gegen den Ball« – so Tobias Escher, Gründer der Expertenplattform »Spielverlagerung« in seinem neuen Buch »Was Teams erfolgreich macht«.

Zur »Intensität« kommt die spielerische Raffinesse hinzu, die technische Klasse der Einzelnen. Freiburg spielt besseren Fußball als noch vor zehn Jahren, da man im Laufe der Zeit sich nicht nur auf die konditionellen Stärken, das Tempo und die Athletik, sondern auch auf technisch und taktisch bessere Spieler konzentriert hat, die oft aus der eigenen Jugend und natürlich auch von den globalen Transfermärkten kommen. Es sind keine teuren Superstars wie bei Bayern, Dortmund oder Leipzig, aber – so zitiert Tobias Escher den Freiburger Sportdirektor Klemens Hartenbach – Spieler, die »eher über Feingefühl, Spielintelligenz und über ihr gutes Raumgefühl kommen«.

Freiburg spielt heutzutage mit viel mehr Ballbesitz als früher und geduldiger. Man lässt den Ball länger laufen, um den Gegner müde zu spielen. »Der FC Freiburg will nicht nur das Spiel des Gegners zerstören«, so Tobias Escher. »Bei der Passquote befinden sich die Freiburger stets im oberen Mittelfeld der Liga ebenso wie bei den Ballbesitzwerten.«

Der Trainer des SC Freiburg, Chris­tian Streich, erklärt sich die Erfolge seiner Mannschaft in dieser Saison auch daraus, dass man meistens mit derselben oder einer sehr ähnlichen Startelf begonnen habe. »Ich bin gottfroh, dass wir uns entschieden haben, viele Wochen lang oft eine ähnliche Mannschaft spielen zu lassen«, so Streich. »Das war für das Selbstverständnis der Spieler und den Rhythmus richtig. Zum Glück haben wir es so gemacht.«Das Stammpersonal besteht aus einer soliden Abwehr um den Nationalspieler Matthias Ginter sowie Philipp Lienhart und Kapitän Christian Günter, das Freiburger Urgestein. Im defensiven Mittelfeld sind die sogenannten Sechser, Nicolas Höfler und Maximilian Eggestein, präsent. Im offensiven Mittelfeld spielt zentral oder links der kreative Techniker Vincenzo Grifo und davor läuft der österreichische Auswahlspieler Michael Gregoritsch, der Mittelstürmer.

Der SC Freiburg, früher steter Ab- und Aufsteiger zwischen Liga eins und zwei, verbringt nun schon seine zehnte Spielzeit von insgesamt elf in der Ära von Christian Streich in der ersten Liga (insgesamt kommt der Club auf 22 Bundesliga-Saisons, seit ihm 1994 erstmals der Aufstieg gelang). Viermal landeten die Freiburger im Endklassement in der oberen Tabellenhälfte, während sie eigentlich, gemessen an ihrem Budget, in der unteren Tabellenhälfte stehen müssten.

Dass man sich im Südwesten nicht nur in der Trainerfrage gegen den Einstieg in das branchenübliche Personalkarussell wehrt, sondern auch bei der sportlichen Leitung, dem Scouting und der Jugendarbeit, diese Kontinuität ist gewiss ein wichtiges Erfolgsgeheimnis. Sie wird in Freiburg kombiniert mit enger Zusammenarbeit weniger Leute. Nur nicht zu groß, nur nicht zu anonym.
Der Cheftrainer des SC Freiburg, Christian Streich, ist seit zwölf Jahren im Amt, er wurde selbst im Jahre 2015 nicht entlassen, als der FC Freiburg für eine Saison in die Zweite Liga abstieg. Die beiden Sportmanager, Jochen Saier (Sportvorstand) und Klemens Hartenbach (Sportdirektor/Scouting), sind zusammen mit Christian Streich seit über 20 Jahren im Verein, gemeinsam haben sie bei der Freiburger Fußballschule angefangen, die eine sehr lange Tradition hat. Heutzutage ist der SC Freiburg neben Borussia Dortmund der einzige Bundesligaverein, dessen »zweite Mannschaft«, die U23, in der Dritten Liga spielt. Dort wird sehr genau darauf geachtet, dass die größten Talente unter den Freiburger Jugendspielern den Übergang von der Jugend- zur Profiabteilung schaffen. Derzeit gehören dem Profikader fünf junge ­Talente an, die zwölf Monate vor ihrem 18. Geburtstag für den SC Freiburg aktiv waren, die meisten übertreffen diese Anforderung sogar: die U-21-Nationalspieler Yannik Keitel (22), Noah Weißhaupt (21), Noah Atubolu (20) und Kevin Schade (21) sowie U20-­Nationalspieler Robert Wagner (19).

Natürlich hat auch der SC Freiburg sein Scouting im Laufe der vergangenen zehn Jahre verstärkt und professionalisiert – dank Digitalisierung und Globalisierung. Also: ­Datenscouting, Videoanalyse, Besuche vor Ort. Man weiß genau, welche Spieler man für welche Position haben will und wo auf der Welt man sie findet. Beim FC Freiburg ist die Scouting-Ab­teilung eng verbunden mit der Sportdirektion und dem Trainerteam. Oft erkennen die Scouts die Fähigkeiten eines Spielers schneller und besser als der Trainer. Umgekehrt sind Trainer und Manager beim Scouting von Beginn an mit dabei. Das beschleunigt die Entscheidungsprozesse, deren Geschwindigkeit immer wichtiger wird, um den ­finanzstärkeren Clubs zuvorzukommen.

Da es ein längerfristiges Vereinskonzept gibt, für das Hartenbach, Saier und Streich einstehen, kann ein Teamgeist aufkommen, der alle Spieler besser macht. Auf die Frage der 11 Freunde-Redaktion, was die Freiburger Vereinskultur ausmache, antwortete Manager Jochen Saier: »Dass man seine Arbeit möglichst gut macht, demütig ist und vernünftig miteinander umgeht. Dazu kommt die südbadische Weltsicht, nach der das Glas eher halbleer als halbvoll ist. Das mag man für langweilig halten. Aber wer hier arbeitet, wird im Erfolg nicht für den Größten gehalten, und man muss sich auch nicht in den Staub werfen, wenn es mal schwieriger wird.«

Während des zehntägigen Trainingslagers Anfang Januar im andalusischen Sotogrande zur Vorbereitung auf das neue Pflichtspieljahr äußerte sich Streich gewohnt skeptisch. Er glaube nicht daran, dass seine Überraschungsmannschaft den zweiten Platz halten könne. So ist der Erfolgscoach grundsätzlich entspannt. »Ich freue mich, weil wir super dastehen und man sich keine Gedanken machen muss, ob man nächstes Jahr wieder in der Bundesliga spielt«, sagte Streich dem Südwestrundfunk SWR. »Wenn es in ­einem Jahr anders ist, was ziemlich wahrscheinlich ist, oder wenn es mal wieder ein Kampf gegen den Abstieg ist, dann hoffe ich, dass wir es gemeinsam angehen. Genauso wie man jetzt die Europacupspiele gemeinsam genießen kann.«

Doch immer wieder, wenn der SC besonders erfolgreich ist, muss er Spieler abgeben. Bereits zum Jahreswechsel galt der 21jährige Kevin Schade, das große Freiburger Talent, als Wechselkandidat. Nun steht fest: Kevin Schade, der U-21-Nationalspieler, verlässt den SC Freiburg und wechselt zum Premier-League-Club FC Brentford. Die Freiburger Verantwortlichen konnten der höchste Ablösesumme in der Vereinsgeschichte, 25 Millionen Euro, nicht widerstehen. Coach Streich hingegen wird wohl nie wechseln. Bei einem anderen Verein wäre er »vollständig verloren«, gibt er zu.