Der Bürgerkrieg in Myanmar ­weitet sich aus

Außer Kontrolle

Die Militärjunta Myanmars hat die Gewalt über den Großteil des Lands zwei Jahre nach dem Putsch verloren. Kämpfe und Repression eskalieren.

Zwei Jahre ist es her, dass in Myanmar die Hoffnungen auf eine Entwicklung zu friedlichen und demokratischen Verhältnissen einmal mehr zerstört wurden. Der Militärputsch am 1. Februar 2021 unter dem Oberbefehlshaber der Armee, Min Aung Hlaing, war präzise vorbereitet und verhinderte den Amtsantritt einer abermals von Aung San Suu Kyi angeführten Regierung. Unter Präsident Win Myint hatte die Friedensnobelpreisträgerin Suu Kyi seit 2016 als Ministerin und sogenannte Staatsrätin amtiert, galt aber als De-facto-Regierungschefin. Ihre Nationale Liga für Demokratie (NLD), seit ihrer Gründung 1988 wichtigste politische Partei des Landes, hatte die Wahlen 2020 mit einer noch größeren Mehrheit gewonnen als jene fünf Jahre zuvor. Suu Kyi und ihre Getreuen hatten sich in den vergangenen Jahren angeschickt, den immer noch großen politischen Einfluss der Armee (Tatmadaw) zurückzudrängen, die das Land in einer Militärdiktatur jahrzehntelang regiert und dagegen gekämpft hatte, ihr Machtmonopol aufzugeben. Die Verfassung von 2008 garantierte der Armee eine Sperrminorität von 25 Prozent der Parlamentssitze, mit der sie alle Verfassungsänderungen blockieren konnten, sowie die Kontrolle über die Schlüsselministerien Inneres, Verteidigung und Grenzschutz.

Die Menschenrechtsorganisation AAPP gibt die Zahl der politischen Häftlinge in Myanmar mit fast 13 700 an.

Die Behauptung der Putschisten, bei der Parlamentswahl 2020 habe es Manipulationen gegeben, ließ sich entkräften. Mit fehlender Legitimation können die Machthaber leben. Doch die Kontrolle über das Land, die schon direkt nach dem Putsch durch Massendemonstrationen in Frage gestellt worden war, entgleitet ihnen immer mehr. Nur noch 17 Prozent des Gesamtterritoriums seien fest in der Gewalt der Junta, schätzte die internationale Expertenorganisation Special Advisory Council for Myanmar im September, knapp die Hälfte sei unter Einfluss oppositioneller Kräfte, der Rest umkämpft. Myanmar, das seit der Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich vor 75 Jahren von militärisch ausgetragenen Konflikten geprägt war, versinkt in einem neuen Bürgerkrieg. An nahezu allen Ecken des multiethnischen Staats gibt es Kämpfe, soziale Infrastruktur wie Bildungs- und Gesundheitssystem zerfallen.

Diverse Konflikte sind eskaliert: Mit neuer Intensität kämpfen bewaffnete Rebellengruppen ethnischer Minderheiten gegen die Zentralmacht; der Hauptgegner der Militärjunta sind jedoch die Kämpfer:innen der Volksverteidigungskräfte (People’s Defence Force, PDF). Die nach dem Putsch von untergetauchten Mitgliedern des neuen Parlaments gebildete Regierung der Nationalen Einheit (NUG) schuf die PDF als ihre Streitkräfte. Ihnen gehören vormalige Krankenschwestern, Hochschullehrer oder Hausfrauen an; die meisten hatten nie zuvor ein Gewehr in der Hand. Ein militärisches Grundtraining erhalten die Soldat:innen bei eng mit NUG und PDF verbündeten Rebellenarmeen. Immer öfter geraten vor allem Militärkonvois in Hinterhalte. Die Verluste des Regimes an Soldaten und Material sind beträchtlich und steigern die Brutalität bei Vergeltungsmaßnahmen. Der Tatmadaw ist noch deutlich überlegen, seine Luftwaffe bombardiert ohne Rücksicht ganze Ortschaften, während Bodentruppen Dörfer niederbrennen, deren Bewohner:innen als mehrheitlich oppositionell gelten. Dennoch haben PDF, lokale Bürgermilizen und Rebellengruppen beträchtliche Geländegewinne errungen, kontrollieren weitestgehend die zentrale Region Sagaing.

Tausende einfache wie prominente Vertreter:innen der Demokratiebewegung sitzen hinter Gittern. Suu Kyi ist bisher in sechs Prozessen zu insgesamt über 30 Jahren Haft verurteilt worden, ähnlich erging es auch dem ehemaligen Präsidenten Win Myint. Ranghohe Mitglieder des entmachteten Kabinetts und der NLD-geführten Regionalregierungen wanderten in den Knast, ihre Haftstrafen betrugen teils 20 Jahre. Die derzeitige Gesamtzahl der politischen Häftlinge, die im berüchtigten Gefängnis in Insein und in anderen Anstalten einsitzen, gibt die Menschenrechtsorganisation AAPP (Assistance Association for Political Prisoners), die Daten über Verbrechen der Junta sammelt und sich für Gefangene einsetzt, mit fast 13 700 an. Im vergangenen Juli wurden zudem die ersten vier Todesurteile vollstreckt, zehn weitere Hinrichtungen könnten folgen. AAPP nach wurden seit dem Putsch bis Ende Januar mindestens 2 894 Zivilist:innen von der Junta getötet – Angehörige der PDF nicht eingerechnet.

Während viele Mönche sich der Demokratiebewegung anschlossen, haben sich die Spitzen des buddhistischen Klerus in einer unheiligen Allianz mit der Junta verbündet, so auch der namhafte Mönch Ashin Nyanissara. Seine Worte boten einst den Inhaftierten während der Militärdiktatur emotionalen Halt, nach der Jahrtausendwende suchte er die Nähe zu hohen Offizieren. Endgültig verspielte er sein Ansehen, als er den jüngsten Putsch rechtfertigte. Nyanissara gehörte, obwohl er sich später distanzierte, auch zu den Gründern der radikalen antiislamischen Mönchsvereinigung Ma Ba Tha. Deren prominentester Vertreter, Ashin Wirathu, ist bekannt für seine Hasspredigten und wurde von Kritikern als »buddhistischer bin Laden« bezeichnet. 2019 wurde er verhaftet, nach dem Putsch jedoch aus dem Gefängnis entlassen und Anfang des Jahres anlässlich des 75jährigen Jubiläums der Unabhängigkeit Myanmars von der britischen Kolonialherrschaft vom Oberbefehlshaber der Armee, Min Aung Hlaing, neben anderen fragwürdigen Persönlichkeiten mit Auszeichnungen bedacht. Ebenfalls unter den Geehrten waren posthum General Ne Win, der erste Machthaber der Militärdiktatur ab 1962, und verschiedene Größen der späteren Diktatur nach 1988.

Enttäuscht sind viele der für Demokratie Kämpfenden von der internationalen Reaktion auf den Putsch. Zwar hält die NUG den UN-Sitz Myanmars, doch selbst die westlichen Staaten agieren eher zurückhaltend gegenüber der Generalsclique, auch wenn sie Sanktionen gegen deren Angehörige verhängt haben. Rüstungskäufe kann die Putschregierung bei ihrer Schutzmacht China und in Russland tätigen, in Pakistan erhalten Truppen aus Myanmar militärisches Training. Derweil ist der südostasiatische Staatenbund Asean, zu dessen zehn Mitgliedern Myanmar gehört, mit seinen Versuchen gescheitert, eine Mittlerrolle zu spielen. Während Malaysia und Indonesien der Militärjunta immer ablehnend gegenüberstanden, hat der Starrsinn von General Min Aung Hlaing, der den brutalen Bürgerkrieg immer weiter verschärft hat, mittlerweile selbst wohlgesinnte Nachbarn wie Kambodscha verärgert.