Die Initiative »Stoppt den Krieg«

Solidarität statt Geopolitik

Der von Teilen der Linkspartei initiierte Aufruf »Stoppt den Krieg« sieht im Krieg in der Ukraine nur einen Großmachtkonflikt, die ukrainische Bevölkerung nimmt er als handelnde Subjekte nicht einmal wahr.
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Russische Truppen bombardieren Städte, töten unablässig Menschen und zerstören gezielt die zivile Infrastruktur in der Ukraine. Im ­Osten des Landes haben sie Soledar und weite Teile von Bachmut dem Erdboden gleich gemacht und dringen gen Westen vor. Das Regime Wladimir Putins militarisiert die russische Gesellschaft und Industrie. Seine militärischen Hasardeure treiben täglich Hun­derte junger Männer auf die Schlachtbank. Derzeit bereiten die russischen Besatzungstruppen erneut eine große Offensive vor.

In dieser Situation warnt die Linkspartei vor einer Eskalation des Kriegs – durch den Westen. »Waffenlieferungen führen nur zu einer weiteren Eskalation des Krieges«, heißt es in einem kürzlichen Beschluss des Parteivorstands. Man unterstütze zwar »das völkerrechtlich verbriefte Recht auf Selbstverteidigung der Ukraine gegen den Angriff Russlands«, will den Menschen aber keine Waffen zur Selbstverteidigung zugestehen.

Diese widersprüchliche Haltung faktischer Solidaritätsverweigerung geht aber manchen Parteiströmungen noch nicht weit genug. Vergangene Woche wurde der Aufruf »Stoppt den Krieg« veröffentlicht. Initiiert hatten ihn unter anderem der Präsident der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung, Heinz Bierbaum, und Christine Buchholz, die im Parteivorstand sitzt. Der Aufruf interpretiert den Krieg geopolitisch, als Stellvertreterkrieg. Der »Nato und der EU geht es jeweils darum, ihren geopolitischen Einfluss auszubauen und Russland in die Knie zu zwingen«. Der Krieg in der Ukraine sei deshalb »überwiegend ein Krieg zwischen Russland auf der einen und der Nato auf der anderen Seite«.

Dieser Aufruf sieht nur Großmächte und deren angebliche Interessen, er missachtet die ukrainische Bevölkerung. Er benennt sie nicht einmal als handelnde Beteiligte. Meinen die Autor:innen wirklich, die Dynamik dieses Kriegs lasse sich ohne den gesellschaftlich breit gestützten Widerstand gegen die russische Besatzung verstehen? Viele Menschen in der Ukraine wehren sich gegen den ­russischen Imperialismus – unabhängig davon, was die USA oder Deutschland tun. Erst dieser Widerstand eröffnete den Nato-Staaten überhaupt erst die Chance, Russlands Position zu schwächen.

Auch nach einem Jahr Krieg besteht dieser Widerstandswille, obwohl die neoliberale Regierung Wolodymyr Selenskyjs die Rechte der Arbeitenden stark einschränkt und die Unternehmen die Ausbeutung verschärfen. Gäbe es diesen Widerstand nicht, stünden die Regierungen der Nato-Länder gar nicht erst vor der unbequemen ­Entscheidung, ob sie Panzer an die Ukraine liefern.

Eine Voraussetzung für Frieden ist, dass die ukrainische Bevölkerung sicher und souverän in ihrem Land leben kann. Wer einen Waffenstillstand fordert, ohne dieses elementare Anliegen zu berücksichtigen, toleriert die russische Aggression. Will man die Ukraine in eine Situation zwingen, in der sich die Regierung genötigt sieht, einen Teil der Bevölkerung der russischen Besatzungsdiktatur mit Gefangenenlagern, Folter, Vertreibungen, und russischer Indoktrination im Schulunterricht auszuliefern?

Die ganze Welt weiß, dass ein Waffenstillstand auf der Grundlage konkreter militärischer und politischer Kräfteverhältnisse abgeschlossen wird. Wer aber sollte Putin an den Verhandlungstisch bringen können? Würden die Ukrainer:innen nicht mehr kämpfen, ­kämen sie unter eine Besatzungsdiktatur. Würden die USA und Deutschland keine Waffen mehr liefern, wäre eine ukrainische Niederlage gewiss. Putins Regime rüstet sich für einen langen Krieg und richtet die ganze Gesellschaft darauf aus.

Viele in der Linkspartei warnen vor einer Eskalation. Eine Atommacht könne man militärisch nicht besiegen. Aber für die Menschen in der Ukraine findet diese Eskalation jeden Tag statt. Ein Rückblick in die Geschichte: Der vietnamesische Widerstand zwang mit starker Unterstützung durch die UdSSR und China die Atommacht USA zum Rückzug. Auch die antikolonialen Kämpfer:innen in Algerien sowie die Mujahedin und die Taliban in Afghanistan haben Atommächte bezwungen. Wie soll sich gesellschaftlich etwas zum ­Positiven verändern, wenn die imperialen Ansprüche von Atommächten von Vornherein akzeptiert werden?

Man kann Zweifel an der Lieferung von Waffen an die Ukraine haben. Inakzeptabel ist allerdings, dass man die Solidarität mit dem Widerstand der terrorisierten ukrainischen Menschen verweigert, sie nicht einmal als handelnde Subjekte wahrnimmt. Dass dieser Widerstand vermittels der Armee eines kapitalistischen Staats geschieht, ist dafür unerheblich. Emanzipatorische Kräfte haben sich ausschließlich an den Interessen der Angegriffenen, Unterdrückten und Verjagten zu orientieren, und zwar unabhängig davon, was die eine oder andere imperialistische Macht gerade will.